Ein „Analprogramm“ wie von Schiller
„Skandal, Schweinerei, Sauerei!“, „Eine Beleidigung für jeden Österreicher!“, „Der Chef vom ORF gehört erschossen oder erschlagen“, „Landesverrat!“, „Anarchistische Tendenzen“. Das ist nur eine kleine Auswahl aus Hunderten Anrufen beim ORF-Kundendienst, wie sie früher - über Tage hinweg - immer protokolliert wurden, wenn „Kottan“ lief, beginnend mit dem 8. August 1976.
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Ein Blick ins TV-Programm des 8. August 1976, ein Sonntag, erklärt schon ein wenig die Aufregung: Das Konkurrenzangebot am Hauptabend war eine „Opernführung“ Marcel Prawys an der New Yorker Met, davor der „Seniorenclub“ auf FS1 und zeitgleich auf FS2 Günther Schifters „Westernsaloon Howdy“, dann später noch die Caterina-Valente-Show und von 20.00 Uhr bis 20.15 Uhr die Präsentation des wissenschaftlichen Buches der Woche. Und inmitten dieser Gediegenheit plötzlich Sex, Crime und Sozialkritik.
Hässliches Österreich in Nahaufnahme
„So etwas wie ein Marek-Krimi?“, fragte sich damals etwa die „Arbeiterzeitung“ gespannt in der Vorschau auf den sonntäglichen TV-Abend - und gab damit die Grenze des Denkbaren vor: Der beleibt-gemütliche Fernsehliebling Fritz Eckhardt sah damals nicht nur als Portier im Hotel Sacher nach dem Rechten, sondern eben auch als österreichischer „Tatort“-Vertreter Viktor Marek - mit nur einem Hauch Grantigkeit und noch viel mehr guter Kinderstube.

ORF/Satel-Film
Nicht wirklich ein „Marek-Krimi“: Peter Vogel als „Kottan“
Die erste „Kottan“-Folge „Hartlgasse 16a“ war alles andere als ein Marek-Krimi, sondern vor allem eine Bestandsaufnahme von Österreich, wie es sich in den 70er Jahren - zumindest auch - präsentierte: grau, spießbürgerlich, obrigkeitshörig, fremdenhassend, verklemmt und ignorant. Dass der Kommissar mit Vornamen „Adolf“ hieß und all diese Eigenschaften auch selbst mitverkörperte, war dabei das Tüpfelchen auf dem i. Und Georg Danzer sang dazu „Des kann do no net alles g’wes’n sein“.
„Man will Entspannung!“
Das sei doch kein Krimi, empörten sich die Anrufer damals beim ORF: „Man will Entspannung!“, forderte einer, man solle das Handwerk „den Engländern“ überlassen. Das sei mit seinen „lebensnahen Ausdrücken“ nur als „Analprogramm“ zu bezeichnen, befand ein anderer. „Kommt gleich nach der ‚Staatsoperette‘, der Dreck“, zog ein Dritter Parallelen zum TV-Skandal von Otto M. Zykan und Franz Nowotny, deren Rang - heuer bei den Bregenzer Festspielen aufgeführt - inzwischen ebenfalls unbestritten ist.
Zenker und Patzak konnten die Anrufe als Kompliment werten. Sie hatten genau in den offenen Wunden gebohrt, die sie anvisiert hatten. Damit war „Kottan“ auch mehr Krimi als alle anderen zusammen, wenn man an die Wurzel des Genres zurückgeht - etwa zu Friedrich Schiller, der schon 1786 mit „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ bewies, dass sich kaum etwas anderes so gut eignet wie Kriminalfälle, wenn man zeigen will, wie Gesellschaft und Kriminalität einander bedingen.
Plötzlich wollen alle griesgrämig sein
Der Skandal war groß, die Resonanz aber damit auch groß. So entschloss sich die ORF-Führung, den als einmaliges Ereignis geplanten Fernsehfilm „Kottan ermittelt“ in - weit gestreckte - Serie gehen zu lassen, mit anfangs rund einer Folge pro Jahr. Ein Aufreger blieb „Kottan“: Am 19. April 1978, nach der Folge „Nachttankstelle“, wollten etwa 19 Anrufer wissen, wann es eine Gedenksendung für den verstorbenen Burgschauspieler Ewald Balser geben würde, 27 beklagten den verpassten Einsendeschluss für das „Euroquiz“ und 484 beschwerten sich über „Kottan“.

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Kottan der Zweite, Franz Buchrieser, mit „Schremser“ Walter Davy und Sandler Drballa (Carlo Böhm), der das Auffinden der Leichen übernahm
„Kottan“ hatte sich inzwischen allerdings geändert. Immerhin waren seit der ersten Folge schon ein paar Jahre ins Land gezogen, Franz Buchrieser hatte die Rolle im fliegenden Wechsel übernommen, und vor allem: Im TV wimmelte es schon von - allerdings halbherzigen - Seelenverwandten. „Tatort“-Kommissare wie Bergmann, Delius und Schäfermann waren auch mieselsüchtig, ermittelten auch in zusehends unwirtlicher Umgebung und hatten auch unfähige Assistenten. „Kottan“ konterte mit Klamauk.
UFO-Angriff auf „Schimanski“
Der düstere Stil von TV-Krimis war Standard geworden und ist es, siehe „Tatort“ oder deutsche Fernsehkommissare, die Skandinavier spielen, bis heute geblieben. Fast immer war er dabei jedoch nur dekoratives Versatzstück wie in den meisten der „Hard boiled“-Krimis made in USA. In diesen Topf wollten Zenker und Patzak nicht geworfen werden - und entwickelten dementsprechend von Folge zu Folge immer mehr Lust, das Genre an sich zu zerschlagen. Hauptdarsteller war inzwischen Lukas Resetarits geworden.

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Lukas Resetarits als dritter Kottan mit „Schrammel“ C. A. Tichy
Morde, wenn es denn noch welche gab, gerieten in den Hintergrund. Parodien, Slapstick-Komik, Running Gags und Satire gewannen umso mehr die Oberhand. Zu einem Skandälchen reichte es aber allemal: Das Insert „UFO bei Duisburg gelandet. Sondersendung nach diesem Beitrag“ in der Folge „Kansas City“ sorgte tatsächlich für Nervosität bei deutschen Zusehern. Und wohl nicht zufällig hatten Patzak und Zenker die Heimat von TV-Ermittler „Schimanski“ ausgesucht, der mit vermeintlicher Lebensnähe zum in Wahrheit harmlosen Publikumsliebling geworden war.
Lukas Zimmer, ORF.at
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