Weitere Journalisten verhaftet
Der gescheiterte Militärputsch in der Türkei vor rund zwei Wochen hat eine Welle von Verhaftungen und Entlassungen vom Bildungs- über den Justizbereich bis zum Sicherheitsapparat gebracht. Am Montag räumte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim erstmals mögliche „Fehler“ ein.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Einige der Verdächtigen seien „zweifellos“ Opfer eines „unfairen Verfahrens“ geworden, sagte Yildirim gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Die Behörden würden nun aber „zwischen Schuldigen und Unschuldigen unterscheiden“. Ankara macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich. Dieser bestreitet jegliche Verwicklung in die Ereignisse.
18.000 Verhaftungen
Seither stehen Gülen-Anhänger im Visier der Regierung. Über 18.000 Menschen - Militärangehörige, Beamte, Politiker, Wissenschaftler, Manager und Journalisten - wurden in den vergangenen zwei Wochen verhaftet. 50.000 Pässe wurden für ungültig erklärt, 66.000 Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst entlassen - der Großteil aus dem Bildungssektor.

APA/AFP/Ozan Kose
Polizisten bei der Verhaftung von für die Regierung verdächtigen Soldaten
Nach Angaben eines Behördenvertreters gibt es schon länger eine Liste Verdächtiger. Die Behörden hätten seit Mai vergangenen Jahres verschlüsselte Nachrichten von Gülen-Anhängern abgefangen, die über die Handy-App ByLock versendet wurden. Darüber seien fast 40.000 Namen, darunter die von 600 Militärangehörigen, identifiziert worden. Eine „große Anzahl“ der auf diese Weise Identifizierten sei „direkt“ in den Putschversuch verwickelt gewesen, ergänzte der Behördenvertreter.
Gülen-Anhänger „werden teuer bezahlen“
Wenn beim Vorgehen gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger „Fehler“ gemacht worden seien, „werden wir diese korrigieren“, betonte auch Vizeregierungschef Numan Kurtulmus. Alle Verdächtige, die keine Gülen-Anhänger seien, könnten sich entspannen. Ihnen werde „nichts Böses angetan“. Gülen-Anhänger müssten aber sehr wohl Angst haben: „Sie werden es teuer bezahlen.“
Die Verhaftungen gehen allerdings weiter. Bis Montag wurden seit dem Putschversuch nach Angaben der Plattform für unabhängigen Journalismus, P24, 29 Journalisten verhaftet. Nach Angaben der Zeitung „Cumhuriyet“ kamen am Montag sechs neue Haftbefehle dazu. Über 130 türkische Medien wurden seit dem Umsturzversuch geschlossen. Die meisten der betroffenen Journalisten arbeiteten für Medien, die der Gülen-Bewegung nahestehen, analysierte der Türkei-Experte von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu.

APA/AFP/Ihlas News Agency
Die prominente Journalistin Nazli Ilicak wurde ebenfalls verhaftet
Das bestreitet die verhaftete Journalistin und bekannte Regimekritikerin Nazli Ilicak aber. Sie habe keine Verbindung zu Gülen-Anhängern, soll sie laut der Nachrichtenagentur DHA bei der Vernehmung gesagt haben. Ilicak war Ende 2013 von der regierungsnahen Zeitung „Sabah“ entlassen worden, als sie nach Korruptionsermittlungen den Rücktritt mehrerer Minister der Regierungspartei AKP forderte. Die Regierung hält die damaligen Korruptionsermittlungen für ein Gülen-Komplott.
Weitere Soldaten entlassen
Indes wurden am Wochenende über 750 Soldaten freigelassen - auf Empfehlung der Staatsanwaltschaft. Fast 1.400 Soldaten wurden allerdings zuvor unehrenhaft entlassen. Unter ihnen soll auch ein ehemaliger Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sein. Am Montag wurden 1.000 weitere Soldaten entlassen. Zudem wurden elf Soldaten, die das Ferienhotel Erdogans in Marmaris beim Putschversuch angegriffen haben sollen, verhaftet.
Diesen Soldaten drohte Wirtschaftsminister Nihat Zeybeki eine brutale Bestrafung an: „Wir werden sie in Löcher stecken, und in diesen Löchern werden sie eine solche Bestrafung erhalten, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug die Sonne nicht mehr sehen werden. ‚Tötet uns‘, werden sie betteln“, wird Zeybeki von der Nachrichtenagentur Dogan zitiert.
Zivile Kontrolle für Armee
Erdogan arbeitet konsequent am Umbau der Armee. In Zukunft sollen alle Kommandanten des Militärs an den Verteidigungsminister berichten. Die Armee soll dadurch vollständig unter zivile Kontrolle gebracht werden. Per Dekret ließ Erdogan auch alle Militärakademien und -gymnasien schließen. Dafür soll eine Universität für nationale Verteidigung aufgebaut werden, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist.
Die türkische Armee hat seit den Zeiten von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk eine herausragende Rolle, gegen deren Willen sich kaum eine Zivilregierung längerfristig halten konnte. Zudem verstand sie sich als Garant für die Trennung von Staat und Religion und geriet damit bereits früher in Konflikt mit dem konservativ-islamisch geprägten Erdogan.
Klagen gegen HDP nicht zurückgezogen
Gegenüber Vorsitzenden der Opposition ließ Erdogan indes Klagen fallen, nicht aber gegen Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP. Man werde auch einige Klagen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zurücknehmen, hieß es von Erdogans Anwalt Hüseyin Aydin. Offiziellen Angaben zufolge sind in der Türkei noch rund 1.800 Verfahren wegen Beleidigung des Staatspräsidenten anhängig - auch gegen Oppositionspolitiker.
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu will im Gegenzug alle Klagen gegen Erdogan fallen lassen. Die dazu nötigen Formalitäten wolle man „sobald wie möglich“ erledigen, sagte Kilicdaroglus Anwalt Celal Celik.
Links: