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„Tagtäglich vorkommende Normalität“

Die Großdemonstration von vorwiegend Deutschtürken im deutschen Köln für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Sonntagabend sorgt weiterhin für diplomatische Querelen zwischen Deutschland und der Türkei. Eine Liveschaltung Erdogans war verboten worden. Nun bestellte das türkische Außenministerium einen Gesandten der deutschen Botschaft in Ankara ein.

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Im diplomatischen Verkehr entspricht die Einbestellung einer Rüge. Da Botschafter Martin Erdmann im Urlaub war, nahm der Gesandte Robert Dölger den Termin wahr. Ihm sei im Ministerium dargelegt worden, ein solches Verhalten der Behörden eines „Verbündeten“, der sich auf die gemeinsamen Werte der Demokratie berufe, sei „inakzeptabel“. Dass wegen des Verbots die Botschaft des Präsidenten in Köln habe verlesen werden müssen, wurde laut Anadolu ebenfalls kritisiert.

In Deutschland gibt es laut Auswärtigem Amt indes noch keine Überlegungen, den Botschafter aus Ankara abzuziehen: „Das wäre auch kontraproduktiv, so etwas zu tun. Der Abbruch von Dialog und Kommunikation wäre ganz sicher nicht das richtige Mittel“, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer.

Bundesverfassungsgericht verbot Erdogan-Rede

Die türkische Regierung zeigte sich erbost darüber, dass bei der Demonstration mit bis zu 40.000 Teilnehmern die Zuschaltung einer Rede Erdogans per Videoleinwand verboten wurde. Stattdessen wurde eine Botschaft des Präsidenten verlesen.

Demonstraton von Erdogan-Anhängern in Köln

AP/Martin Meissner

Bei der Demo wurde eine Liveschaltung zu Erdogan verboten

Die Veranstalter der Kundgebung waren gegen das aus Sicherheitsgründen erlassene Verbot gerichtlich vorgegangen. Die Ansprache hätte nach Meinung der Exekutive möglicherweise zu einem Hochkochen gefährlicher Emotionen geführt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht lehnte die Liveschaltung letztlich aus formalen Gründen ab.

„Schande“ für Demokratie

Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin hatte eine „befriedigende Erklärung“ von Deutschland verlangt. Der türkische Justizminister Bekir Bozdag sprach auf Twitter angesichts des Verbots von einer „widerrechtlichen und unhöflichen Art“. Die Entscheidung sei eine „Schande“ für Demokratie und Recht. Auch sei Deutschland für viele „ernste Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten“ gegenüber in Deutschland lebenden Türken verantwortlich. Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus warf Deutschland vor, mit zweierlei Maß zu messen. Auch er nannte die Entscheidung inakzeptabel.

Bekenntnis zu Demokratie gefordert

Wenig Verständnis war in Deutschland zu hören. Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, rief zur Auseinandersetzung mit Unterstützern Erdogans in Deutschland auf: „Das ist ein Konflikt zwischen jenen, die Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie unterstützen, und jenen, die dagegen sind. Das sind unsere Feinde.“ Von den für Erdogan Demonstrierenden fordere er ein klares Bekenntnis zur Demokratie.

Bereits am Sonntag hatte sich auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu Wort gemeldet. Im Kurznachrichtendienst Twitter wurde, unterlegt mit einem Bild von Köln, die Botschaft verbreitet: Die Demonstrations- und Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, das jedem zustehe - das Übertragen türkischer innenpolitischer Spannungen und die Einschüchterung Andersdenkender jedoch „geht nicht!“

Kern kontert Erdogan

Harsche Töne waren am Sonntag auch von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zu hören. Erdogan hatte zuvor gemeint, dass türkische Bürger in Deutschland und Österreich nicht demonstrieren dürften. Dabei nahm er offenbar Bezug auf die Demonstration in Köln und Wien. Hier hatten Erdogan-Sympathisanten Mitte Juli eine unangemeldete Demonstration abgehalten.

Die Kritik wies Kern entschieden zurück. Selbstverständlich gälten in Österreich das „Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Demonstrationsrecht auch für Minderheiten und politisch Andersdenkende“, so Kern in einem Posting auf seiner offiziellen Facebook-Seite. Genau das sei der Unterschied zur Situation in der Türkei. Er, Kern, werde diese Rechte „auch für jene verteidigen, deren politische Meinung ich nicht teile“. Auch sei der Missbrauch religiöser Motive zur Rechtfertigung einer autoritären Politik in Österreich „nicht nur nicht üblich, sondern absolut inakzeptabel“.

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