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Brisantes Sportereignis als zahmer Spielfilm

Die Olympischen Spiele in Nazi-Deutschland lösten 1936 einen politischen Wirbel aus. Der Sport stand im Interesse der Weltmächte. Zunächst mit einem Boykott der Spiele drohend, nahmen die USA doch teil, und der schwarze Athlet Jesse Owens räumte zum Leidwesen der Nazis ab, was es abzuräumen gab. Der Film „Zeit für Legenden” erzählt Owens Geschichte - leider unambitioniert.

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Wie sehr „Zeit für Legenden” das Klischee liebt und dabei nur selten in der Lage ist, es auch glaubwürdig zu inszenieren, zeigen gleich eingangs die brennenden Fässer im Armenviertel von Oakville, Alabama, wo Jesse Owens (Stephan James) aufwächst – ein Vintage-Ghetto wie aus dem Manufactum-Katalog.

Der junge Owens steht kurz vor seiner Abreise nach Columbus, Ohio, wo er an der State University studieren wird. Die Mutter hat ihm einen Anzug geschneidert, in dem Owens ordentlich lächerlich aussieht. Und Regisseur Stephen Hopkins gibt sich größte Mühe, eine Menge Naivität in den Charakter des jungen Owens zu legen.

Stephan James als Jesse Owens im Film "Zeit für Legenden"

Universum Film

Nicht erst in Nazi-Deutschland wurde Owens diskriminiert

Sechs Weltrekorde in 45 Minuten

„Zeit für Legenden“ setzt im Jahr 1933 ein, als Owens unter dem charismatischen Trainer Larry Snyder (Jason Sudeikis) in Ohio zum Sensationsathleten reift. Der Sportler bricht Rekord um Rekord, begegnet aber heftigen Alltagsrassismen vonseiten seiner weißen Kommilitonen. Snyder gibt den Lebenserfahrenen, der weiß, was eine Niederlage bedeutet. Owens ist das hungrige Ausnahmetalent.

Sein Jahrhunderttalent zeigt sich insbesondere im Mai 1935, als er im Zuge eines Wettkampfs an der Universität von Michigan innerhalb von 45 Minuten gleich fünf Leichtathletikweltrekorde offensichtlich mühelos zerbröselt und einen einstellt. Hopkins verhaut allerdings den filmischen Elfmeter und passt gut darauf auf, dass bei der Inszenierung der Weltrekorde bloß keine Spannung aufkommt. Hauptdarsteller Stephan James imitiert den zackigen Laufstil von Owens, der gleichzeitig eine extrem ruhige Oberkörperhaltung zeigt, jedoch ziemlich gut.

Spiele oder Boykott?

Das Jahr 1936, in dem die Olympischen Spiele in Berlin unter der Schirmherrschaft der Nazis über die Bühne gehen, rückt immer näher. Völlig unvermittelt findet sich der Zuseher plötzlich in einer Sitzung des amerikanischen Olympischen Komitees wieder. Es wird die Frage diskutiert, ob die US-amerikanische Olympiamannschaft an den Nazi-Spielen in Berlin teilnehmen soll oder nicht. Damals gab es massive Einwände vor allem vonseiten jüdischer Sportler und Verbände - die Vorgänge in Deutschland wurden mit großer Sorge beobachtet.

Der gewichtige Bauunternehmer Avery Brundage, großartig dargestellt von Jeremy Irons, entwickelt sich innerhalb des Komitees zur Leitfigur, was die diplomatischen Verhandlungen mit Nazi-Deutschland anlässlich der Olympischen Spiele betrifft. Zunächst deutet alles auf einen Boykott der Amerikaner hin. Doch Brundage, der als Ingenieur von der deutschen Effizienz höchst beeindruckt ist, beginnt zu vermitteln und reist nach Berlin.

Volle Ladung Nazi-Deutschland

Nazi-Deutschland kündigt sich im soundtechnisch bis dahin unauffälligen Werk mit bedrohlicher Musik aus dem Off an – mit orchestraler Vehemenz, als stünde statt einer Dienstreise zu Friedenszeiten die letzte Schlacht bevor. Die Errichtung des Olympiastadions inszeniert Hopkins, als handle es sich um die ägyptischen Pyramiden. Und der riesige längliche Schatten, der Gigantisches am Himmel über dem Olympiastadion ankündigt, gehört natürlich zur Hindenburg, die bedrohlich über das Stadion gleitet. Hopkins trägt ganz schön dick auf.

Stephan James als Jesse Owens im Film "Zeit für Legenden"

Universum Film

Stephan James bekommt Owens’ Laufstil gut hin

Eine kurze Autofahrt durch das Berlin der mittleren Dreißigerjahre wird zum Nazi-Themenpark. Da ein frisch affichiertes antisemitisches Plakat – dort eine Deportation. Hopkins wählt eine Darstellung, die große Distanz zum Thema spüren lässt und immer an der Oberfläche bleibt. Barnaby Metschurat gibt dabei einen ziemlich eigenartigen Joseph Goebbels, dem der Psychopath etwas heftig ins Gesicht geschrieben steht. Und im Reigen der Spiele 1936 darf Leni Riefenstahl nicht fehlen: Carice van Houten stellt in „Zeit für Legenden“ die Haus- und Hoffilmerin der Nazis dar, die sich in regelmäßigen Abständen ins Filmgeschehen einmischt.

Nicht ohne Liebesgeschichte

Distanz entwickelt Hopkins aber auch zu seinem Hauptprotagonisten: Owens ist zwar ein Superheld auf der Laufbahn, aber sonst mitunter von naivem Gemüt, dem immerhin Bauernschläue und ein großes Herz zugestanden werden. Anstatt den Menschen Owens greifbar zu machen, setzt der Film auf eine klischeehafte Liebesgeschichte zwischen Owens und seiner späteren Frau Ruth (Shanice Banton), die floskelhaft und bieder gezeichnet ist. Mit steigendem Ruhm als Sportler kann Owens den Verlockungen der Frauen und des Geldes jedoch nicht widerstehen. So richtig viel ist über Owens aber nicht zu erfahren.

Berlin und die Legenden

Letztlich nehmen die Amerikaner an den Spielen teil, und Owens löst mit vier Goldmedaillen alle Erwartungen ein. Und damit beginnt die große Legenden- und Mythenbildung rund um Owens und Berlin 1936. Insofern ist der deutsche Titel „Zeit für Legenden” des im englischen Original den Titel „Race” tragenden Films gar nicht schlecht gewählt.

Im Mittelpunkt der Spiele steht Owens’ dort entstandene Freundschaft zu seinem Konkurrenten, dem deutschen Weitspringer und damaligen Europameister Luz Long. Die Umarmung des geschlagenen Long, um Owens nach dem Weitsprungfinale zur Goldmedaille zur gratulieren, hat tatsächlich stattgefunden – und zwar vor den Augen der Nazi-Elite, die darüber nicht erfreut gewesen sein soll. Long wurde nach den Wettkämpfen zu verstehen gegeben, dass sein Verhalten nicht nach dem Geschmack Nazi-Deutschlands ist.

Als historisch gesichert gilt auch der Umstand, dass Hitler Owens nicht zum Sieg gratuliert hat und vorzeitig das Olympiastadion verlassen hat. Über die Beweggründe kursieren diverse Theorien – von tatsächlicher Abneigung davor, gemeinsam fotografiert zu werden, bis hin zu schlichten Termingründen. In jedem Fall eine gute Geschichte, der sich Hopkins entsprechend widmet.

Die Geschichte mit dem Handtuch

Genauso wie dem Vorfinale im Weitsprung, bei dem Owens die ersten zwei Versuche verpatzt hat und auf den dritten angewiesen war. Long soll ihm daraufhin mit einem Handtuch eine Markierung knapp vor der Absprunglinie gelegt haben, damit sich Owens besser orientieren kann. Es hat geholfen. Owens ist ins Finale gesprungen.

Allerdings handelt es sich um einen Olympiaschwank, der immer stärker angezweifelt wird – auch wenn Owens die Geschichte selbst gern verbreitet hat. Hopkins schlachtet das Thema natürlich aus. Die Szenen aus dem Stadion während der Wettkämpfe zählen zu den stärksten des Films. So richtig in Schwung kommt „Zeit für Legenden” jedoch nie, was angesichts der unglaublichen Geschichte dann doch sehr schade ist.

Krude Theorie als Ausrede

Für Owens wurden die Spiele 1936 auch insofern zur bemerkenswerten Erfahrung, als er letztlich in Nazi-Deutschland mehr Anerkennung erhalten hat als zu Hause in den USA. Präsident Franklin D. Roosevelt schickte keine Glückwünsche. Er wollte in den Südstaaten nicht mit der Nähe zu einem Schwarzen anecken.

Und die Nazis standen mit den vier Goldmedaillen Owens in Argumentationsnotstand, was die Überlegenheit einer weißen Herrenrasse betrifft. Um krude Theorien selten verlegen, wurden Schwarze in die Nähe des Tierreichs gerückt, sie seien mit Weißen nicht vergleichbar.

Der rauchende Leichtathlet

Dennoch bedeutete Berlin für Owens eine der großartigsten Erfahrungen seines Lebens, wie er zeitlebens immer bekundet hat. In den 1960er Jahren drehte er einen Dokumentarfilm, in dem er nach Berlin zurückreist, um den Sohn von Luz Long zu treffen. Sein Konkurrent, mit dem ihm auch Jahre nach den Spielen eine Freundschaft verbunden hat, war 1943 im Krieg in Sizilien gefallen. Doch Owens’ Karriere war nach den fulminanten Siegen der 30er Jahre von vielen Tiefpunkten geprägt.

In schlechten Zeiten ist Owens Rennen gegen Tiere und Fahrzeuge gerannt, um sich über Wasser zu halten. „Zeit für Legenden“ spart diese Aspekte aus. In späteren Jahren kam Owens’ Karriere dank diverser Sponsorenverträge und Tätigkeiten als Sport-Testimonial wieder ins Laufen. Owens ist im Jahr 1980 an Lungenkrebs verstorben. Der Spitzensportler war über 30 Jahre lang schwerer Raucher.

Johannes Luxner, ORF.at

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