„Weiß nicht, ob meine Arbeit radikal ist“
Im Interview mit ORF.at spricht Ivo Dimchev über seine Hassliebe zur Oper, das Spiel mit Geschlechterrollen und seine Produktionen „Paris“ und „Operville“, die gerade beim ImPulsTanz-Festival in Wien zu sehen waren.
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ORF.at: Seit Ihrem Durchbruch vor gut zehn Jahren gelten Sie als „Extremperformer“ und „hemmungsloser Narzisst“ – deckt sich das mit Ihrer Selbsteinschätzung?
Ivo Dimchev: Ich weiß nicht, ob meine Arbeit radikal ist. Ich übertreibe, overacte und verwende einfach viel Crescendo, damit Dinge aus der persönlichen Sphäre rauskommen, damit sie global und sehr tragisch werden – ich mag die Referenzen zur Tragödie, zur Geschichte des Theaters. Man muss übertreiben, um zum kathartischen Moment zu kommen. Da stirbt man auch, opfert etwas, geht aus seiner „Comfort Zone“ heraus und kann sehr verletzlich werden. Und dorthin nehme ich das Publikum mit, ich bringe es einfach mit mir dorthin.
ORF.at: Und der Narzisst?
Dimchev: Vielleicht haben die Leute ja recht. Ich rede nie über Dinge, die mit mir nichts zu tun haben. Alles ist gefiltert durch meine eigene Lebenserfahrungen. Gewalt, Liebe, Beziehungen – das geht immer durch meine Geschichte. Ich denke, dass das nur fair ist. Vielleicht sieht das aus, als wäre es Narzissmus, aber so mache ich das einfach.
ORF.at: Als Auftakt Ihres ImPulsTanz-Gastspiels haben Sie das Stück „Paris“ von 2008 gezeigt, das angesichts der europäischen Flüchtlingskrise vor Aktualität nur so strotzt – auch da sind Sie von sich selbst ausgegangen.
Dimchev: Ich habe mich erst letztes Jahr wieder für „Paris“ zu interessieren begonnen, wegen der terroristischen Attacken. Eigentlich ist das Stück von meinem Paris-Aufenthalt vor knapp zehn Jahren inspiriert. Es war damals Winter, und ich habe mich als armer, junger, bulgarischer Künstler in der Stadt unterdrückt gefühlt. Diese dominante Stadtlandschaft – diese Menge an Gebäuden und an Geschichte – hat bei mir eine Art der Verzweiflung, Einsamkeit, Unterdrückung und Frustration ausgelöst, die so gigantisch und dominant war, dass ich gar nicht drum herum kommen konnte.
ORF.at: Die aktuelle Wien-Premiere, das ist Ihr Opernstück „Operville“. Es heißt, dass Sie noch nie eine Oper zu Ende gesehen haben – was interessiert Sie denn überhaupt daran?
Dimchev: Oper existiert als Genre schon seit Hunderten von Jahren, das müssen wir irgendwie respektieren. An sich finde ich die Idee der Oper brillant, mit ihren verschieden Elementen und Ausdrucksmitteln, die sich auf der Bühne zu einem organischen Ganzen versammeln. Die Dramaturgie von traditionellen Operninszenierungen ist aber fürchterlich, die Geschichten naiv, die Texte als Literatur uninteressant, und – mein Hauptproblem, wenn ich Opern anschaue – die Szenografie ist immer so buchstäblich: Man spricht über einen Wald, wir sehen einen Wald. Wenn ich ehrlich bin, ist aber auch die Körpersprache der Sänger ein Problem: Die Produktionen fokussieren so sehr auf die perfekte Musik und den Komfort des Sängers, dass alles andere primitiv wirkt.
ORF.at: Gegen die Beschreibung würden wohl viele heftig protestieren ...
Dimchev: Eigentlich ist letztlich auch die Musik selbst schwierig (lacht). Ich verstehe nicht, wie man diesen ganzen Aufwand betreiben kann, um Opern so perfekt zu inszenieren, wie es schon vor 100 Jahren war. Einmal hab ich jedenfalls versucht, in Wien bei einer Generalprobe von „Ein Leben für den Zaren“ zuzuschauen, es hat nicht funktioniert, ich bin nach einer Stunde gegangen. Aber vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich bisher nur traditionelle Opern gesehen habe und keine schönen, zeitgenössischen, perfekten Inszenierungen.
ORF.at: Geht’s bei „Operville“ also auch darum, sich über die klassische Oper lustig zu machen?
Dimchev: Ich will mich über gar nichts lustig machen. Ich habe mit zwanzig ein Jahr Operngesang studiert und dabei selbst die Beschränkungen erlebt, das „Richtig“ und das „Falsch“. Ich wollte mit „Operville“ einfach eine Oper nach meinen Vorstellungen machen, eine seltsame Mischung aus dem klassischen Format und meinem Geschmack, meiner Theatralität. Das klassische Repertoire decken vor allem die beiden anderen Performer, Plamena Girginova und Nikolay Voynov, ab, ich selbst singe vor allem die chaotischen, primitiven, wilden, außer Kontrolle geratenen Parts.
ORF.at: Durch diese Parts ist „Operville“ letztlich auch ein witziges Stück – es hat, wie viele Ihrer Performances auch, etwas Slapstickhaftes.
Dimchev: Ja, „slapstickhaft“ habe ich schon einmal gehört, ich kann damit aber gar nichts anfangen. Mir geht es überhaupt nicht um Unterhaltung, sondern um das Spiel mit Erwartungen, darum, mit dem Wert der Dinge zu spielen, den Wert aufzublasen – um dann liebenswürdig darauf zu spucken. Weil ich nicht an Hierarchien und Wertsysteme in der Performance und im Theater glaube. Das ist alles total fake.
ORF.at: In „I-Cure“ und bei Ihrem Liederabend „Songs from my Shows“ treten Sie als Dragqueen auf – was interessiert Sie eigentlich am Spiel mit verschiedenen Kostümen und Geschlechteridentitäten?
Dimchev: Für mich war es immer wichtig, weibliche und männliche Energie gleichrangig verwenden zu können. Grundsätzlich glaube ich, dass der performative Körper kein Geschlecht hat – er ist ja nur eine Idee eines Körpers, er muss sich verändern können und jenseits von dem allzu einfachen Zwei-Geschlechter-System sein. Deswegen lasse ich meinen Körper oft geschlechtslos aussehen.
ORF.at: Geschlechtslos? Ich finde diese Charaktere oft sehr feminin ...
Dimchev: Ich kann meine Männlichkeit nicht wirklich verstecken, die ist zu offensichtlich. Die viele Anstrengung, die vielen Muskeln, das kann ich nicht löschen. Mein femininer Anteil ist aber sehr stark, er hat viel Potenzial, Theatralität und kreative Power. Ich helfe mir also mit Make-up oder Schmuck und lasse meine Männlichkeit und Weiblichkeit ineinander verwischen – und mische sie mit meiner animalischen Energie und meiner extraterrestrischen Energie.
ORF.at: Sie haben keinen Agenten, organisieren alles für sich selbst.
Dimchev: Nein, ich brauche das auch nicht. Ein Agent, der finanziell interessiert wäre, würde nur doppelt so viele Shows für mich organisieren – das wäre dramatisch. 50 Shows pro Jahr reichen völlig. Das einzige Problem ist vielleicht, dass ich manchmal sehr chaotisch arbeite. Ein-, zweimal im Jahr passiert es, dass sich Festivaltermine überschneiden, das sind dann explosive Situationen, aber ich kann damit letztlich leben.
ORF.at: Sie sind nach verschiedenen Stationen in Amsterdam, Brüssel, Wien vor zwei Jahren wieder nach Bulgarien zurückgezogen – warum?
Dimchev: Nach langen, anstrengenden Touren will ich einfach wohin fahren, wo ich mich zu Hause fühle. Und das tue ich in Bulgarien. Mit meinen Freunden, der schönen Natur, dem Wald, den Seen. Ich hab am Rande Sofias ganz nahe am Wald ein wunderschönes Haus gefunden – das ist perfekt.
Das Gespräch führte Paula Pfoser, ORF.at.
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