Künstler knöpft sich die Oper vor
Das bulgarische Multitalent Ivo Dimchev ist bekannt für seine tabulosen und höchst unberechenbaren Performances. Derzeit gastiert er beim ImPulsTanz-Festival in Wien - und knöpft sich dort die Oper vor.
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Auf der Bühne hat er sich Blut abgezapft, um es dann im Zuschauerraum zu versteigern - als alternde Diva in „Lili Handel“ (2004), neun Jahre später warf er in „Fest“ (2013) einen schonungslosen Blick auf die Eitelkeiten des Festivalbetriebs - sexuelle Erniedrigungen und Blow Job inklusive -, und in „I-cure“ (2014) versprach er als Selbsthilfeguru seinen Zuschauern Heilung und entließ sie schließlich verstört aus dem Saal, mit der Botschaft: Es gibt keine Linderung des Leidens, kein Entkommen vor den Grausamkeiten der Welt. „It’s disgusting. Sorry, am I so cynical?“
Nur keine Scham
Dimchev gilt als Extremperformer der Tanzszene. Der 1976 in Sofia geborene Künstler hat sich einen Namen gemacht als einer, der sich stets mit vollem Körpereinsatz, hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste in seine Rollen hineinbegibt - dominant, extrem sexualisiert oder mürrisch knurrend, in jedem Fall mit ungeheurem Facettenreichtum. Müßig zu sagen, dass die drastischen Mittel seiner Performances oft verstörend wirken. Das hat ihm viel Ruhm, aber auch Kritik einbracht: Menschenverachtend seien seine Shows, allzu narzisstisch angelegt.
Dimchev jedoch sucht nicht die effekthascherische Krawallmache, sondern schlachtet vielmehr mit Intensität und einer Portion Exzentrik, wie er sagt, seine sehr persönlichen Erfahrungen aus. „Gewalt, Liebe, Beziehungen - das geht immer durch meine Geschichte“, erzählt er im Gespräch mit ORF.at. Bei sich selbst anzusetzen, finde er nur fair. Der privaten Zurschaustellung enthebelt er sich, indem er seine Erfahrungen verfremdet, stilisiert und auf die Spitze treibt - um sich und seinem Publikum letztlich kathartische Momente zu bereiten.

Ivo Dimchev
Selbstheilungsguru Doktor Dimchev in der Performance „I-cure“
Seit seinem Festivaldebüt 2007 ist Dimchev einer der wichtigsten Performer von ImPulsTanz, derzeit gastiert er in Wien mit fünf Performances. Zu sehen sind zwei veränderte Wiederaufführungen, „Paris“ (2008) und „I-cure“ (2014), die Österreich-Premiere „Operville“, der musikalische Abend „Songs from my Shows“ und die performative Buchpräsentation von „Ivo Dimchev Stage Works 2002 - 2016“. Soeben ist nämlich ein dicker Band erschienen mit Einblicken in seine mittlerweile über 30 Produktionen.
Migrationserfahrung als Kunstblutbad
Begonnen hat Dimchevs ImPulsTanz-Gastspiel nun mit der Wiederaufführung von „Paris“ im Kasino am Schwarzenbergplatz, einem Solo, das Dimchev für seinen bulgarischen Landsmann Christian Bakalov schuf. Das Stück dreht sich um die Erfahrungen der beiden als Immigranten in Paris. Verzweiflung, Einsamkeit und Frustration, die sowohl Dimchev als auch Bakalov in der fremd bleibenden Metropole erlebten, werden mit Witz, Kunstblut und der französischen Tricolore in Bakalovs Hinterteil auf die Bühne gebracht. In Wien war Dimchev selbst on stage als eher zurückhaltender Kompagnon des Soloperformers - und als seine musikalische Begleitung. Denn Dimchev ist, wie er einmal mehr unter Beweis stellen konnte, auch ein atemberaubender Sänger.

Ivo Dimchev
Christian Bakalov als ungezügelter Springbrunnen in Dimchevs „Paris“
Seine Stimme erinnert bisweilen an die Sängerin Anohni, ein entgrenztes, schillernd fragiles Falsett, erweitert um Baritonklänge bis hin zu verzerrtem, röhrendem Kauderwelsch. Diese stimmliche Leistung hat auch mit Dimchevs Werdegang zu tun. Schon als Jugendlicher spielte er in Bulgarien Theater, begann dann eine Schauspielausbildung und studierte währenddessen, als 20-Jähriger, für ein Jahr Operngesang. Sowohl die Schauspiel- als auch die Gesangsausbildung brach er schließlich ab, weil es die Kunstform, die er eigentlich suchte, dort nicht zu finden gab. Dimchev ging nach Amsterdam, wo er Performance an der berühmten DASarts-Akademie studierte und 2009 abschloss. Nach Stationen in Wien, Berlin und Brüssel lebt Dimchev seit zwei Jahren wieder in Bulgarien.
Genüsslicher Opernverriss
Mit seiner experimentellen Oper „Operville“, die am Montag Österreich-Premiere hatte, knüpft Dimchev wieder an seine eigenen Erfahrungen an. Dem klassischen Genre kann er - er behauptet, nie eine Aufführung zu Ende gesehen zu haben - inzwischen nicht mehr allzu viel abgewinnen. Mit viel Genuss und Nonchalance setzt er zum Verriss traditioneller Aufführungen an: Die Dramaturgie und Szenografie seien fürchterlich, die Geschichten naiv und literarisch uninteressant, die Körpersprache der Sänger allzu schlicht - und eigentlich beginne das Problem der Oper, wie Dimchev meint, schon bei der Musik.
Veranstaltungshinweise
Weitere Performances von Ivo Dimchev im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals:
- „I-cure“ am 10. August, 23.00 Uhr, Schauspielhaus
- „Songs from my shows“ am 11. August, 23.00 Uhr, Schauspielhaus
- „Concert improvisation & Book Presentation“ am 14. August, 22.30 Uhr, Leopold Museum, gemeinsam mit Lea Petra (AR)
„Operville“, das ist, wie man schließlich am Montag im Akademietheater erleben konnte, ein anarchisch entgrenztes und zugleich präzises Musikstück, das sich hemmungslos der großen dramatischen Beziehungsverflechtungen der Oper bedient - mit Abgründen, die man in den tradierten Gesten und Stimmlagen aber wohl noch die erleben durfte. Über der Bühne läuft ein loser Text, „orthodox penis bacteria“ oder „so hold my eyeballs carefully, squeeze them lovingly“ ist dort zu lesen.
Darunter das wahnwitzige Spiel Dimchevs, begleitet von der Sängerin Plamena Girginova und dem Sänger Nikolay Voynov, die sich von ihm in unmögliche Positionen bringen lassen. Dimchev selbst zappelt als überdimensioniertes, unberechenbares und wild gewordenes Kind herum und wälzt sich als jämmerliches Tier am Boden, ehe er zum minutenlangen Headbangen zu Chopin ausholt, dass der Schweiß des sich verausgabenden Künstlers nur so spritzt.

Ivo Dimchev
Experimentaloper „Operville“: Singen in den wildesten Posen
Liebenswürdige Spucke
Die Provokation ist dem Künstler, der sich im Gespräch zugleich höchst sympathisch und konzentriert präsentiert, quasi in die Wiege gelegt. In seinen Performances liebt er es, sein Publikum herauszufordern; er liebt es, die Erwartungshaltungen gegen die Wand rennen zu lassen, Dinge auf die Spitze zu treiben und dann abrupt zu brechen, „den Wert aufzublasen, um liebenswürdig darauf zu spucken“. Sehr witzig finden das die einen, befremdlich oder höchst unangenehm die anderen. Das ist vielleicht der Kern seiner Ästhetik: Sein Publikum in eine Geschichte zu verwickeln, um diese im entscheidenden Moment zu zertrümmern.
Paula Pfoser, ORF.at
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