Minister ortet Verrohung der Gesellschaft
„Heute ist nicht die Stunde für Konsequenzen, schon gar nicht, wo die Ermittlungsergebnisse noch nicht vollständig vorliegen.“ Aus diesem Grund wollte Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) am Tag nach dem Amoklauf von München zunächst auch „kein Wort“ über mögliche gesetzgeberische Reaktionen verlieren.
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So wie andere Spitzenpolitiker, darunter etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), fand auch De Maiziere bei einer Pressekonferenz in Berlin und später beim Besuch des Münchner Tatorts vor allem lobende Worte für die Einsatzkräfte der Polizei und die besonnene Reaktion der Bevölkerung.
Gesprächsbedarf ortete der Minister aber mit Blick auf das „unerträgliche Ausmaß gewaltverherrlichender Spiele im Internet“, das aus seiner Sicht „zweifelsohne“ auch Auswirkungen auf den Münchner Täter gehabt habe. Die Frage, wie es zu solchen „Explosionen von Gewalt“ kommen könne und ob die Tat absehbar war, müsse sich De Maiziere zufolge demnach auch an das direkte Umfeld des 18-Jährigen Täters richten und nicht an die Sicherheitsbehörden.

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De Maiziere lehnte eine vorschnelle Debatte über Konsequenzen ab
Waffengesetze vor Verschärfung?
Gegenüber der „Bild am Sonntag“ wollte De Maiziere schließlich auch eine Verschärfung des Waffenrechts als mögliche Reaktion auf den Münchner Amoklauf nicht ausschließen. Zunächst müsse aber ermittelt werden, wie sich der 18-jährige Todesschütze die Waffe beschafft habe, dann müsse man „sehr sorgfältig prüfen, ob und gegebenenfalls wo es noch gesetzlichen Handlungsbedarf gibt“, fügte De Maiziere mit Verweis auf die ohnehin „sehr strengen“ deutschen Waffengesetze hinzu.
Aufruf zur Besonnenheit
Beim gemeinsamen Besuch des Tatorts mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte De Maiziere noch: „24 Stunden nach einem solchen Anschlag mit klugen Ratschlägen zu kommen, ist, glaube ich, sehr früh. Aber Minister Herrmann und ich weisen seit einiger Zeit auf die Verrohung unserer Gesellschaft hin.“ In diesem Zusammenhang rief der deutsche Innenminister die Bevölkerung zu einem friedlicheren und besonnenen Umgang miteinander auf.
An die Menschen in Deutschland und Europa appellierte De Maiziere zudem, ruhig zu bleiben. „Ich verstehe, dass die Bevölkerung besonders aufgewühlt ist. Nach Nizza, Würzburg nun München - es ist sehr wichtig, dass wir jeden Fall einzeln aufklären, dass wir die Hintergründe verstehen und die richtigen Konsequenzen ziehen können.“
Auch Seehofer bleibt vage
Seehofer versprach nach einer Sondersitzung seines Kabinetts unterdessen, dass sich die Bevölkerung darauf verlassen könne, „dass wir als politisch Verantwortliche, alles Erdenkliche tun werden, um unsere Bevölkerung zu schützen“. Seehofer ließ in diesem Zusammenhang durchblicken, dass es mehr Geld für die Polizei geben soll - sowohl für zusätzliche Stellen als auch neue und bessere Ausrüstung. Zudem will Seehofer nächste Woche bei der Kabinettsklausur Vorschläge zu rechtlichen Änderungen zur Verbesserung der Sicherheitslage unterbreiten.
De Maiziere stellte gegenüber der ARD auch eine Überprüfung der Einsatzkonzepte der Polizei in den Raum. „Das wird sicher jetzt noch einmal überprüft werden müssen“, so der CDU-Politiker mit Blick auch auf die Änderungen solcher Konzepte nach den Amokläufen an Schulen in Erfurt 2002 und Winnenden 2009 am Samstagabend.
Merkel verspricht lückenlose Aufklärung
Merkel versprach bei ihrer ersten Reaktion zum Münchner Amoklauf zuvor eine lückenlose Aufklärung. Zudem werde man alles daransetzen, die Sicherheit und Freiheit aller Menschen in Deutschland zu schützen. „Immer sind es Orte, an denen jeder von uns hätte sein können. So kann ich jeden verstehen, der heute mit Beklommenheit auf eine Menschenmenge zugeht, der im Hinterkopf die Frage hat, ob er dann sicher ist“, wie Merkel zudem sagte.

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Verweise auf mögliche Konsequenzen wurden auch von Merkel ausgespart
Die Tat sei umso schwerer zu verkraften, als sie in eine Zeit der Schreckensnachrichten falle, fügte die deutsche Kanzlerin hinzu. So wie De Maziere verwies auch Merkel auf die Terrorattacke mit einem Lastwagen in Nizza vor rund einer Woche und auf den „unfassbar grausamen Axtangriff in einem Zug bei Würzburg“ in dieser Woche.
Merkel erinnerte aber auch an viele Gesten der Hilfsbereitschaft von Bürgern in München. Hier liege Merkel zufolge eine „unserer größten Stärken“. Mit Verweis auf die vielen Beileidsbekundungen aus anderen Ländern ist es Merkel zufolge zudem „gut zu wissen, dass es auch unter Völkern diese Solidarität gibt“.
„Hochprofessionelle Arbeit“
Auch Merkel fand großes Lob für die Einsatzkräfte und deren „hochprofessionelle“ Arbeit. Die Zusammenarbeit der Behörden Bayerns und des Bundes habe demnach bestens funktioniert. Die Polizei und die Rettungskräfte in München hätten demnach „eine Millionenstadt in einer über Stunden unübersichtlichen Lage gesichert. Sie haben besonnen kommuniziert. Sie waren und sind im besten Sinne Helfer und Beschützer der Bürgerinnen und Bürger.“
Zugleich brachte Merkel ihre Fassungslosigkeit zum Ausdruck. „Hinter uns, vor allem hinter den Menschen in München, liegen ein Abend und eine Nacht des Schreckens“. „Wir alle, und das sage ich im Namen der ganzen Bundesregierung, trauern mit schwerem Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden.“
De Maiziere besucht Tatort
„Ich bin heute hierher gekommen, um die Trauer der ganzen Bundesregierung und vieler, vieler Deutscher auch nach München zu bringen, mir vor Ort ein Bild zu machen und zu zeigen, dass wir zusammenstehen“, sagte später De Maiziere in München. Den Münchnern zollte der Minister „großen Respekt“, weil sie mit der Gefahrenlage in der Nacht zum Samstag „besonnen und geduldig“ umgegangen seien.
Neuerliches Lob gab es für die am Großeinsatz beteiligten Sicherheitskräfte, „die in eine Gefahrensituation hinein gehandelt haben und die Lage beherrscht haben“. De Mazieres Dank galt hier auch der Unterstützung aus Österreich.
Kein Staatsempfang bei Bayreuther Festspielen
Seehofer sagte indes nach einer Sondersitzung des bayerischen Kabinetts, dass der Staatsempfang zu Beginn der Bayreuther Festspiele am Montag abgesagt werde. Das gebiete der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen. Er kündigte einen Trauerakt im Landtag für Sonntag in einer Woche an.

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Herrmann (links) und Seehofer (Mitte) auf dem Weg zum Tatort
Bis dahin würden die Mitglieder der Staatsregierung ihre Teilnahme an Bierzelt- und Festveranstaltungen absagen. Seehofer sprach von einem „schweren Schicksalsschlag für alle in ganz Bayern“.
Einsatz der Bundeswehr erwogen
Unterdessen wurde bekannt, dass während des Amoklaufs in München nach Angaben der deutschen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Einsatz der Bundeswehr im Inland erwogen wurde. „Solange das Ausmaß des Anschlages am Freitag nicht klar war, war eine Feldjägereinheit der Bundeswehr in München in Bereitschaft versetzt“, so Von der Leyen gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Über einen möglichen Einsatz hätten die zuständigen Polizeibehörden zu entscheiden, fügte die Verteidigungsministerin hinzu. „Sie beobachten die Entwicklung einer Terrorlage und wissen genau, wann die eigenen Kräfte an ihre Grenzen kommen oder spezielle Fähigkeiten gefragt sind, über die nur die Bundeswehr verfügt.“
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