Bereits über 7.500 Festnahmen
Die türkische Regierung hat rund 8.000 Polizeibeamte im gesamten Land suspendiert. Sie werden verdächtigt, in den gescheiterten Putschversuch von Freitagnacht involviert gewesen zu sein, wie ein ranghoher Sicherheitsbeamter der Nachrichtenagentur Reuters am Montag mitteilte. Betroffen davon seien auch Beamte aus Istanbul und Ankara.
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Insgesamt wurden bis Montagmittag 7.500 Personen unter Putschverdacht festgenommen, darunter auch ein Berater von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, Oberst Ali Yizici, sowie ein Berater des Expräsidenten Abdullah Gül. Erdogan macht seinen Erzrivalen, den in den USA lebenden Fethullah Gülen, und dessen Anhänger für den Putschversuch verantwortlich.
Türkei sieht Ex-Luftwaffenchef als Putschanführer
Am Montag nannte die Regierung erstmals den Namen des angeblichen Drahtziehers: Anführer der Putschisten soll nach Angaben aus der Regierung der Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk gewesen sein. Öztürk sei „der formale Anführer der Junta“ gewesen, hieß es heute aus Regierungskreisen in Ankara. Der General gehörte bisher dem Obersten Militärrat an.
Auch enthob die Regierung einem Bericht des TV-Senders CNN Türk zufolge 30 Gouverneure (Vorsteher einer Provinz) und mehr als 50 hochrangige Beamte ihrer Posten. Indes läuft die Suche nach weiteren am Putsch beteiligten Militärs weiter. Einige hochrangige Armeeangehörige sollen inzwischen ins Ausland geflohen sein. Die Gefahr eines neuerlichen Putsches sehe er nicht, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des Sicherheitsapparates der Nachrichtenagentur Reuters.
Razzia an Militärakademie
Sicherheitskräfte gingen indes erneut mit Razzien gegen mutmaßliche Unterstützer des Umsturzversuchs vor. Sondereinheiten der Polizei durchsuchten Montagfrüh die renommierte Militärakademie der Luftwaffe in Istanbul, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Laut einem Regierungsvertreter wurde General Mehmet Disli festgenommen, der während des Putschversuchs Generalstabschef Hulusi Akar habe festnehmen lassen.
Berichten zufolge sind unter den Tausenden Festgenommenen 36 Generäle. Am Montagvormittag war von weiteren 100 festgenommenen Generälen die Rede. Die Nachrichtenagentur Dogan meldete am Montag, zehn von ihnen seien auf Anweisung der Justiz in Haft genommen worden. Auf Ansuchen aus Ankara ist indes ein türkischer Diplomat bei einer Zwischenlandung in Saudi-Arabien festgenommen worden. Wie der Sender Al-Arabija am Montag in der Früh unter Berufung auf saudische Quellen berichtete, habe der an der Botschaft in Kuwait stationierte türkische Militärattache nach Düsseldorf fliegen wollen.
Geflohene Soldaten - Athen widerspricht Ankara
Griechenland hat indes entgegen der Darstellung der Regierung in Ankara noch nicht über die Ausweisung von acht türkischen Militärs entschieden. Die Soldaten hatten sich am Samstag nach dem Putschversuch mit einem Hubschrauber von der Türkei nach Nordgriechenland abgesetzt.
Die Prüfung der Asylanträge der Militärs werde unter „vollem Respekt des internationalen Rechts und der Menschenrechte“ geschehen. Das habe der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seinem türkischen Amtskollegen Binali Yildirim in einem Telefonat am Samstagabend gesagt, hieß es aus griechischen Regierungsquellen am Montag. Juristen in Griechenland rechneten mit einem Verfahren, das mehrere Wochen dauern könnte.
Yildirim hatte bereits am Sonntagabend erklärt, Griechenland habe die Ausweisung der acht türkischen Militärs bereits eingeleitet. Das habe ihm Tsipras gesagt. Auch Erdogan hatte am Sonntag von einem Telefongespräch mit Tsipras berichtet, in dem der griechische Premier über eine Auslieferung der Männer innerhalb von zehn bis 15 Tagen berichtet habe. Die acht mutmaßlichen Putschisten sollen am Montag erstmals vor dem Landgericht in der Grenzstadt Alexandroupolis erscheinen. Ihnen wird illegale Einreise nach Griechenland vorgeworfen. Das Asylverfahren läuft aber getrennt von diesem Prozess.
14 Festnahmen nach Angriff auf Erdogan-Domizil
Unterdessen wurden offenbar auch jene Soldaten gefasst, die Erdogan in seinem Hotel aus dem Verkehr ziehen sollten. Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Sonntagabend, dass in den westtürkischen Küstenstädten Marmaris und Izmir 14 Soldaten festgenommen wurden.

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Kundgebungen gab es am Sonntag auch in Ankara
Einige sollen für den nicht näher beschriebenen „Anschlag“ auf ein Hotel in Marmaris verantwortlich gewesen sein, in dem sich Erdogan bis Freitagabend im Urlaub befand. Nach seiner Ankunft in Istanbul hatte der Präsident von einem Bombenangriff auf das Hotel gesprochen, der aber erst nach seiner Abreise stattgefunden habe. Die nun gefassten Soldaten wurden umgehend dem Haftrichter vorgeführt, schrieb Anadolu.
Politiker rufen zu neuen Protesten auf
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei haben Spitzenpolitiker der Regierungspartei zu weiteren Demonstrationen aufgerufen. „Der Putsch wurde verhindert, doch wir können nicht sagen, dass die Gefahr vorbei ist“, erklärte der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik in der Nacht auf Montag vor einer Menschenmenge, die sich vor dem Wohnsitz von Präsident Erdogan in Istanbul versammelt hatte. Zuvor hatten auch Erdogan und Premier Binali Yildirim die Bevölkerung zu erneuten Protesten aufgefordert.
Die Massenproteste in türkischen Großstädten gegen den Putschversuch waren in der Nacht auf Montag weitergegangen. In Istanbul, Ankara und vielen anderen Städten versammelten sich am Sonntagabend Zehntausende Menschen auf den Straßen und zentralen Plätzen, um gegen den Umsturzversuch zu demonstrieren.

APA/AFP/Halit Onur Sandal
Demonstration auf dem Taksim-Platz in Istanbul am Sonntagabend
Die Demonstranten folgten damit einem erneuten Aufruf Erdogans. Auf Twitter hatte dieser am Sonntagabend geschrieben: „Aufhören gilt nicht, Weggehen gilt nicht. Wir lassen die Plätze nicht leer.“ Wie Aufnahmen des Senders A Haber zeigten, waren auch nach Sonnenaufgang am frühen Montagmorgen noch zahlreiche Demonstranten mit türkischen Fahnen auf den Straßen Istanbuls unterwegs.
Berichte über Angriffe auf Minderheiten
Bei Demonstrationen gegen den Putschversuch kam es Medienberichten zufolge zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Regierungspartei AKP und Minderheiten. In der zentralanatolischen Stadt Konya hätten AKP-Anhänger versucht, ein überwiegend von christlichen Aramäern bewohntes Viertel zu stürmen, berichtete die Zeitung „Cumhuriyet“. Polizisten hätten das verhindert, bei Zusammenstößen seien aber fünf Aramäer verletzt worden.
Die Nachrichtenagentur DHA meldete, auch in der osttürkischen Stadt Malatya sei es zu Spannungen gekommen. In einem alevitisch geprägten Viertel hätten AKP-Anhänger gerufen: „Die AKP-ler sind hier, wo sind die Aleviten?“ Sicherheitskräfte hätten Warnschüsse abgeben müssen, um Zusammenstöße zu vermeiden.
1.800 zusätzliche Polizisten in Istanbul
Die türkische Regierung hat zudem 1.800 zusätzliche Spezialkräfte der Polizei in Istanbul zusammengezogen. Diese Kräfte mit gepanzerten Fahrzeugen würden an strategisch wichtigen Einrichtungen und Straßen der größten Stadt des Landes eingesetzt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag.
Der Polizeichef Istanbuls, Mustafa Caliskan, habe zudem den Befehl gegeben, unbekannte Hubschrauber ohne Vorwarnung abzuschießen. Wie es aus Regierungskreisen hieß, patrouillierten in der Nacht zu Montag im gesamten Luftraum der Türkei F16-Kampfflugzeuge.
Türkische Wirtschaft erholt sich
Die türkische Regierung rechnet durch den Putschversuch nur kurzzeitig mit negativen Folgen für die Wirtschaft. Vorübergehend werde das zu spüren sein, sagte Vizeregierungschef Mehmet Simsek am Montag. Dauerhafte negative Auswirkungen seien aber nicht zu erwarten, das wirtschaftliche Fundament der Türkei sei solide. Schwankungen an den türkischen Märkten seien nur von kurzer Natur.
An den internationalen Währungsmärkten hat sich die Lage nach dem gescheiterten Putschversuch bereits beruhigt. Nachdem die türkische Lira am späten Freitagabend deutlich an Wert verloren hatte, konnte sie am Montag einen Teil dieser Verluste wieder wettmachen.
Ähnlich sah es beim Euro aus. Dieser war am Freitag nach den ersten Berichten über den Putsch gefallen. Die Ölpreise, die am Freitag nach Bekanntwerden des versuchten Putsches kurzzeitig mit Aufschlägen reagiert hatten, haben sich am Montag ebenfalls wieder stabil präsentiert. Der türkische Aktienmarkt ist indes am Montag schwach gestartet. Der Index der 100 größten Werte der Istanbuler Börse ging mit einem Verlust von 2,5 Prozent in den Handel.
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