Erdogan bringt Todesstrafe ins Spiel
Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert nach dem abgewandten Militär-Putsch in der Türkei, dass die USA den Prediger Fethullah Gülen entweder festnehmen oder verhaften. Erdogan wandte sich mit seiner Forderung direkt an US-Präsident Barack Obama. Wenn die USA und die Türkei tatsächlich strategische Partner seien, müsse Obama handeln, sagte der türkische Präsident bei einer Ansprache vor Anhängern in Istanbul am Samstagabend.
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„Die USA müssen diese Person ausliefern“, sagte der Staatschef am Samstagabend vor Tausenden Anhängern in Istanbul. Die Putschisten hätten in Verbindung „mit äußeren Kräften“ gehandelt, sagte er - ohne weitere Angaben zu machen. Erdogan macht seinen einstigen Verbündeten und heutigen Erzfeind Gülen für den Putschversuch verantwortlich.
Der im US-Exil lebende islamische Prediger hat den Vorwurf zurückgewiesen und den Putschversuch von Teilen des Militärs scharf verurteilt. Er ist seit einem schweren Zerwürfnis 2013 einer der heutigen Erzfeinde Erdogans.

APA/AP
Erdogan sprach am Samstag vor versammelten Anhängern in Istanbul
Putsch nur inszeniert?
Gülen ließ erklären, seine Botschaft an das türkische Volk sei, dass er eine Intervention des Militärs niemals als etwas Positives sehe. Demokratie könne nicht auf diese Weise erreicht werden. Er halte es außerdem für möglich, dass der Putschversuch inszeniert war. Auch der Politikwissenschafter Cengiz Günay schließt die Möglichkeit eines inszenierten Putschversuchs in der Türkei nicht aus. Zumindest könnte dieser versuchen, die jetzigen Umstände für den Ausbau seiner Macht hin zum Präsidialsystem zu instrumentalisieren, so Günay in einer Sonder-ZiB am Samstagabend.
Türkei-Spezialist Günay über die Hintergründe
Türkei-Spezialist am Österr. Institut für Internationale Politik Cengiz Günay spricht über die weitere Entwicklung in der Türkei.
Gülen wird aktuell in seiner Abwesenheit in der Türkei wegen „Umsturzversuche“ und „Bildung einer Terrorgruppe“ der Prozess gemacht. Ankara hatte bereits vergeblich seine Auslieferung gefordert.
Kerry will möglichen Antrag prüfen
Am Samstag, noch bevor Erdogan die Forderung erhob, sagte US-Außenminister John Kerry, man werde gegebenenfalls einen türkischen Antrag auf Auslieferung des Predigers prüfen. Wie Kerry nach Angaben der „Washington Post“ am Samstag weiter sagte, sind die USA dazu bereit, Ermittlungen zu unterstützen, um herauszufinden, wer den Putschversuch in der Türkei angezettelt hat und woher die Unterstützung kam. Er erwarte, „dass Fragen nach Gülen aufgeworfen werden“, zitierte die Zeitung den US-Chefdiplomaten.

Reuters/Alkis Konstantinidis
Pro-Erdogan-Versammlung am Taksim-Platz in Istanbul
„Selbstverständlich laden wir die Regierung der Türkei ein, wie wir es immer tun, uns jegliche legitime Beweise vorzulegen, die einer Prüfung standhalten“, fügte Kerry hinzu. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu hat nach eigenen Angaben nicht direkt mit Kerry über die Auslieferung Gülens gesprochen. Ein offizieller Antrag dafür sei aber noch nicht eingegangen, sagte Kerry.
Tausende, teils ranghohe Verhaftungen
Unterdessen hat die türkische Regierung am Samstag ihre Ankündigung wahr gemacht, nach dem gescheiterten Putschversuch durch das Militär, die Armee zu „säubern“. Offiziellen Angaben zufolge wurden in einer ersten Aktion mehr als 2.800 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte, zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats - eines der obersten Gerichte - festgenommen.
Nach Angaben aus Regierungskreisen befindet sich mit Alparslan Altan außerdem mindestens ein Richter des Verfassungsgerichts in Gewahrsam. Regierungskreisen zufolge soll auch ein zweiter Verfassungsrichter, Erdal Tezcan, verhaftet worden sein. Er werde beschuldigt, am Putschversuch beteiligt gewesen zu sein.
ORF-Korrespondent Winter aus Istanbul
ORF-Korrespondent Jörg Winter analysiert, wie sehr die Position von Präsident Erdogan durch den Putschversuch gestärkt wurde.
Ein Fünftel aller Richter abgesetzt
Ferner wurden fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte und mehr als 2.700 Richter abgesetzt. Nach Angaben des Gewerkschaftschefs gibt es in der ganzen Türkei schätzungsweise etwa 14.500 bis 15.000 Richter.
Notfallhotline
Das Außenministerium richtete eine Beratungshotline ein: 0043-1-90115-4411
Neben dem Verfassungsrichter vermeldeten türkische Medien eine weitere ranghohe Verhaftung: Einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge wurde der Oberbefehlshabende der Zweiten Armee in Gewahrsam genommen. General Adem Huduti ist der bisher höchstrangige Soldat, der nach dem Putschversuch festgenommen wurde. Die Zweite Armee hat ihr Hauptquartier in Malatya und ist für das Grenzgebiet zu Syrien, dem Irak und dem Iran verantwortlich.
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