Anschlag am Nationalfeiertag
Bei einem Anschlag in der französischen Hafenstadt Nizza wurden mindestens 80 Menschen getötet. Ein Laster ist während der Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag in eine Menge feiernder Menschen gerast. Polizisten erschossen den Fahrer.
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Laut Angaben des französischen Innenministers Bernard Cazeneuve wurden Dutzende weitere Menschen verletzt, darunter 18 schwer. Das Ausmaß der Tragödie wurde erst nach und nach sichtbar. Anfangs war von „mehreren“ Toten die Rede, dann von „vielleicht 30“, bis schließlich die Opferzahl auf „mindestens 60“ und „mehr als 70“ in die Höhe schnellte. Zuletzt sprachen die Behörden von 80 Toten, darunter auch Kinder.
„Terrorist ausgeschaltet“
Cazeneuve bestätigte in der Früh den Tod des Täters und sprach von Terrorismus: Die Polizei habe „in einer sehr gefährlichen Situation einen Terroristen ausschalten können“, sagte Cazeneuve in Nizza. Zuvor hatte bereits Staatspräsident Francois Hollande von einem eindeutigen „terroristischen Charakter“ der Tat gesprochen. Er kündigte eine Verlängerung des Ausnahmezustands und die Einberufung von Reservisten an.

APA/AFP/Valery Hache
Einsatzkräfte sichern den Tatort rund um den Lkw
Wenige Stunden nach der mörderischen Lkw-Fahrt übernahm die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft die Leitung der Ermittlungen. Derzeit wird die Identität des Fahres feststgestellt. Laut Behördenangaben hatte der Angreifer schwere Waffen im Lkw. Aus Ermittlerkreisen hieß es dann in der Früh, es seien eine nicht funktionsfähige Granate und Waffenattrappen entdeckt worden. Medien berichten, dass der Täter Feuer auf die Polizei eröffnet hatte, bevor er erschossen wurde. Gerüchten einer Geiselnahme wurden seitens des Innenministeriums widersprochen.
Ermittlungen zu möglichen Komplizen
Derzeit liefen Ermittlungen, um zu klären, ob der Lastwagenfahrer allein gehandelt oder Komplizen gehabt habe, die möglicherweise die Flucht ergriffen hätten. Es wäre - unabhängig vom Hintergrund - nach den Anschlägen vom 13. November des Vorjahres in Paris die schlimmste Attacke in Europa in den letzten Jahren. Bei den Attentaten in Brüssel am 22. März wurden 32 Menschen getötet.
Zwei Kilometer durch Menge gerast
Die Tat ereignete sich während des traditionellen Feuerwerks zum Nationalfeiertag auf der berühmten Uferstraße Promenade des Anglais. Der mutmaßliche Attentäter habe über eine Strecke von rund zwei Kilometern eine Spur der Verwüstung hinter sich gelassen, teilten die Behörden in Nizza mit. Der Zeitung „Nice Matin“ und dem Regionalpolitiker Christian Estrosi zufolge sollen die Passanten nicht nur umgefahren, sondern auch beschossen worden sein.
Der Unterpräfekt der Region Alpes-Maritimes Sebastien Humbert hatte Ähnliches kurz zuvor angedeutet: Er sagte, der Lastwagen sei an der bei Touristen beliebten Strandpromenade in die Menschenmenge gefahren - und zwar über eine lange Distanz. Deshalb sei die Zahl der Opfer auch so hoch.
Aufruf, in Häusern zu bleiben
Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben. Es werde so bald wie möglich weitere Informationen geben. Rettungsmannschaften waren in der Nacht im Dauereinsatz. Hollande, der sich zum Zeitpunkt der Attacke in Avignon aufhielt, kehrte nach Paris zurück, um den Krisenstab zu leiten. Cazeneuve eilte nach Nizza. Für Freitag 9.00 Uhr berief Hollande das Sicherheitskabinett ein, um die Situation zu beurteilen.
Angst und Panik auf der Promenade
Die Zeitung „Nice Matin“ berichtete am Donnerstagabend auf ihrer Internetseite, auf der Promenade des Anglais habe Angst und Panik geherrscht. In Sozialen Medien kursierten Aufnahmen, die zeigen, wie Menschen wegrennen.
„War ungefähr 100 Meter entfernt“
Der Korrespondent der französischen Nachrichtenagentur AFP, Robert Holloway, war auf der Promenade unterwegs, um das Feuerwerk zu sehen. „Ich war ungefähr hundert Meter entfernt und hatte nur wenige Sekunden, um auszuweichen“, berichtete Holloway. Der Reporter sah, wie ein weißer Lastwagen ungebremst mit großer Geschwindigkeit in die Menschenmenge raste.
„Wir sahen, wie Leute getroffen wurden und wie Gegenstände umherflogen“, sagte er. „Ich musste mein Gesicht vor den umherfliegenden Gegenständen schützen.“ Die Menschen ergriffen in Panik die Flucht, erinnerte sich Holloway. „Die Leute haben geschrien, es war das absolute Chaos.“
„Straße war abgesperrt“
Ebenfalls hautnah mitbekommen hat die Attacke der deutsche Journalist Richard Gutjahr: Der Lastwagen sei an ihm vorbeigefahren und habe Fahrt aufgenommen, sagte Gutjahr. „Die ganze Straße war abgesperrt.“ Dann sei das Fahrzeug in die Menschenmenge gerast. Schließlich sei der Lastwagen in den Mittelstreifen der Straße gekracht, daraufhin sei es zu einem Schusswechsel gekommen.
„Nur wenige haben den Lkw überhaupt mitbekommen“, sagte Gutjahr mit Blick auf die Menschenmenge. Nach dem Schusswechsel habe allerdings Angst und Panik geherrscht.
Nach der Attacke räumte die Polizei demnach die Gegend weiträumig ab. Autos würden von Polizei in Zivil kontrolliert. Auf dem Meer seien Polizeiboote gekreist. Auch ein Helikopter mit Scheinwerfer sei in der Luft zu sehen gewesen.
Sicherheitscheck und #PortesOuvertesNoce
Menschen, die sich derzeit in Nizza und Umgebung befinden, können ihren Freunden auf Facebook mitteilen, ob sie in Sicherheit sind. Das Netzwerk aktivierte in der Nacht die Funktion, die etwa nach der Terrorserie von Paris im Einsatz war.
Und wer nach der Attacke in Nizza Unterschlupf für die nächsten Stunden sucht, kann diese unter dem Hashtag #PortesOuvertesNice (offene Türen Nizza) finden. Einwohner von Nizza boten anderen eine Unterkunft an, damit diese nach dem Anschlag nicht auf der Straße bleiben mussten. Der Hashtag wurde von Dutzenden auch dazu genutzt, um tatsächlich oder vorgeblich vermisste Bekannte ausfindig zu machen.
Notrufnummer aktiviert
Die Zentrale für Opferhilfe im französischen Außenministerium richtete nach der Attacke eine Notrufnummer für Angehörige ein. Die Nummer lautet +33143175646.
Aktualisierte Reisehinweise
So wie etwa Deutschland und Großbritannien aktualisierte auch das österreichische Außenministerium noch in der Nacht die Reisehinweise für Frankreich. Darin wird auf den „Anschlag in Nizza“ hingewiesen und alle Österreicherinnen und Österreicher, die sich im Land aufhalten, dazu aufgefordert, den Anweisungen des Sicherheitspersonals zu folgen.
„Angriff auf Freiheit und Brüderlichkeit“
Noch in der Nacht trafen erste Beileids- und Solidaritätsadressen ein. EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigte sich erschüttert und sprach zum Auftakt des Asien-Europa-Gipfels in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator von einem „traurigen Tag für Frankreich, Europa und uns alle hier in der Mongolei“. Es sei ein Angriff auf die Menschen in Frankreich gewesen, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefeiert hätten.
US-Präsident Barack Obama sagte Paris alle nur erdenkliche Unterstützung zu, die neue britische Premierministerin Theresa May zeigte sich erschüttert.
Hohe Sicherheitsvorkehrungen
Zu der Attacke kam es trotz erhöhter Sicherheitsvorkehrungen in ganz Frankreich anlässlich des Nationalfeiertags. Allein für die traditionelle Militärparade auf den Champs-Elysees in Paris waren rund 11.500 Sicherheitskräfte mobilisiert worden. Am Nationalfeiertag wird jedes Jahr der Erstürmung des Pariser Bastille-Gefängnisses am 14. Juli 1789 gedacht, die als Beginn der Französischen Revolution gilt.
Immer wieder Ziel von Attentätern
Frankreich war wiederholt Ziel von Anschlägen. Bei islamistischen Attentaten waren im vergangenen Jahr 149 Menschen gestorben, davon 130 bei der Pariser Terrorserie am 13. November 2015. Während der kürzlich zu Ende gegangenen Fußball-Europameisterschaft hatte ein Mann, der sich zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte, nahe Paris einen Polizisten und dessen Partnerin umgebracht. Das Turnier fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt.
Frankreichs Präsident Francois Hollande hatte am Donnerstag angekündigt, den seit November 2015 geltenden Ausnahmezustand in dem Land nicht über den 26. Juli hinaus zu verlängern. Man könne diese Maßnahme nicht ewig aufrechterhalten, sagte er in einem Fernsehinterview. Der Ausnahmezustand war mehrfach verlängert worden.
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