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„Zeit großen nationalen Wandels“

Drei Wochen nach dem historischen „Brexit“-Votum ist die Konservative Theresa May von Königin Elizabeth II. zur neuen britischen Premierministerin ernannt worden. Noch am Mittwochabend besetzte sie zentrale Posten in ihrem Kabinett neu. Boris Johnson, einer der wichtigsten Kämpfer für den EU-Austritt, ist jetzt Außenminister.

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Johnsons Einsatz galt als entscheidend für den Erfolg der „Brexit“-Kampagne. Während seiner „Brexit“-Kampagne versprach Johnson seinen Anhängern, das Referendum werde zu einem „Unabhängigkeitstag“ Großbritanniens. Einmal ging Johnson sogar so weit, die EU mit Hitler zu vergleichen - aber auch das schadete seinem Rückhalt nicht.

Der 52-Jährige hatte bisher noch kein Regierungsamt inne. Er selbst galt lange als Anwärter für den Posten des Regierungschefs, fand bei Parteifreunden jedoch nicht die dafür nötige Unterstützung und zog sich zurück. Als Außenminister muss er die neue Rolle Großbritanniens in der Welt nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union vertreten und erbt zugleich das häufig schwierige Verhältnis seines Landes mit Russland.

Davis wird „Brexit-Minister“

Wie stark Johnson als Außenminister auch in die Verhandlungen über das künftige Verhältnis Großbritanniens mit der Europäischen Union involviert sein wird, bleibt indes offen.

Grund dafür ist der von May eigens dafür geschaffene Posten des „Brexit-Ministers“ mit dem früheren Europaminister David Davis. Davis wurde zum Staatssekretär für den Austritt aus der Europäischen Union ernannt, wie Mays Büro mitteilte. Damit ist er der britische Chefunterhändler in den Verhandlungen mit Brüssel.

Davis zählt so wie Johnson zu den prominenten Vertretern des „Leave“-Lagers, die im Vorfeld des „Brexit“-Referendums am 23. Juni für ein Ausscheiden des Königreichs aus der EU geworben hatten.

Hammond wechselt ins Finanzressort

Der bisherige Außenminister Philip Hammond wechselt unterdessen ins Finanzministerium. Hammond will der heimischen Finanzbranche trotz des „Brexit“-Votums den Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten. Er befürchtet, dass andernfalls viele Finanzunternehmen in andere europäische Städte abwandern könnten. Seinen Aussagen zufolge wird es kein Notfallbudget für den „Brexit“ geben. „Wir werden tun, was nötig ist, um die Wirtschaft im Auge zu behalten“, sagte Hammond.

Der bisherige Finanzminister und Cameron-Vertraute George Osborne erklärte zuvor seinen Rücktritt. Osborne hatte den Posten seit 2010 inne und galt vor dem Referendum als Favorit für die Nachfolge Camerons. Er hatte sich stets für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ausgesprochen.

Leadsom bleibt, Gove nicht mehr im Kabinett

Das zuvor von May geführte Innenministerium wird von der bisherigen Energieministerin Amber Rudd übernommen. Greg Clark wird Ressortchef im neu geschaffenen Ministerium für Unternehmen, Energie und Industriestrategie. Zuvor war er Minister für kommunale Angelegenheiten. Die vorherige Energiestaatssekretärin Andrea Leadsom, die zudem letzte Herausforderin Mays im Kampf um den Sitz des Premiers war, wird Umweltministerin. Die Entscheidung, ob May ihre Kontrahentin Leadsom in ihr Kabinett aufnehmen wird, war mit Spannung erwartet worden.

Keine Änderungen gibt es beim auch weiterhin von Michael Fallon geführten Verteidigungsministerium. Neue Bildungsministerin wird Justine Greening, die Nicky Morgan nachfolgt. Greening, früher Staatssekretärin für Entwicklungszusammenarbeit, gilt als Vertraute Mays und hatte sich im Wahlkampf für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt.

Nicht mehr im britischen Kabinett ist allerdings Justizminister Michael Gove. Dieser wurde durch die bisherige Umweltministerin Liz Truss ersetzt. Auch der bisherige Arbeitsminister Stephen Crabb ist nicht mehr im Kabinett. Er trat am Donnerstag zurück, wie Sky News berichtete.

„Besseres Britannien bauen“

Die 59-jährige May wurde am Mittwochabend von Königin Elizabeth II. offiziell zur Nachfolgerin des zurückgetretenen Regierungschefs David Cameron ernannt. Die Queen beauftragte May im Buckingham-Palast mit der Bildung einer neuen Regierung, die die schwierige Aufgabe haben wird, das Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union umzusetzen.

Neue britische Premierministerin May und die Queen

APA/AFP/Dominic Lipinski

May beim Amtsantritt bei Queen Elizabeth II.

May kündigte kurz nach ihrer offiziellen Ernennung einen Kampf gegen „die brennende Ungerechtigkeit“ an. „Gemeinsam werden wir ein besseres Britannien bauen“, sagte die zweite Frau an der Spitze einer britischen Regierung nach Margaret Thatcher weiter.

Fliegender Machtwechsel

David Cameron hat sich zunächst im Parlament, dann vor seinem bisherigen Amtssitz und schließlich bei der Queen als britischer Premier verabschiedet - nur wenig später ist mit Teresa May auch schon die Nachfolgerin im Amt.

Nach dem EU-Austritt will May ihrem Land aber eine „kühne, neue, positive Rolle“ verschaffen. May prognostizierte eine „Zeit großen nationalen Wandels“. Zugleich machte sie deutlich, dass sie sich für den Zusammenhalt des Königreichs einsetzen wolle. „Wir glauben an die Union, das wertvolle Band zwischen England, Schottland, Wales und Nordirland.“

Hollande fordert rasches EU-Austrittsgesuch

Noch am Mittwochabend telefonierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit May. Wie Merkels Sprecher Steffen Seibert am Mittwochabend über den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, wünschte die deutsche Kanzlerin May für ihr neues Amt Glück. Der französische Präsident Francois Hollande verband seine Gratulation gleich mit einer Forderung nach einem raschen EU-Austrittsantrag.

„Beide waren sich einig, dass die Zusammenarbeit im Geiste der bewährten freundschaftlichen Beziehungen beider Länder fortgesetzt werden soll, auch bei den anstehenden Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU“, teilte Merkels Sprecher mit.

Hollande rief die neue Regierungschefin ebenfalls kurz nach ihrer Ernennung an, um ihr zu gratulieren, teilte der Elysee-Palast in Paris mit. Dabei habe er seinen Wunsch bekräftigt, „dass die Verhandlungen für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union so schnell wie möglich eingeleitet werden“. May betonte dagegen die Bedeutung der Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen sowie die gemeinsamen Grenzkontrollen in Calais, verlautete aus dem Amt der Premierministerin.

„Keine einfache Reise“

Unmittelbar bevor May sich zusammen mit ihren Ehemann Philip zu ihrer offiziellen Ernennung Richtung Buckingham-Palast aufmachte, reichte dort Cameron zusammen mit seiner Frau Samantha und seinen drei Kindern seinen Rücktritt ein.

Zusammen mit seiner Familie verabschiedete sich Cameron zuvor auch von seinem bisherigen Amtssitz in der Downing Street Nr. 10. In seiner letzten Stellungnahme als britischer Premier sagte Cameron, es sei „die größte Ehre“ seines Lebens gewesen, in der Downing Street zu arbeiten. „Ich glaube, dass unser Land heute sehr viel stärker ist“, so Cameron, der seine Amtszeit gleichzeitig als „keine einfache Reise“ bezeichnete, weiter.

Der konservative Politiker hatte nach dem „Brexit“-Referendum vom 23. Juni seinen Rücktritt angekündigt. Am Mittwoch stand er dem britischen Parlament zum letzten Mal in einer Fragestunde Rede und Antwort.

Scheidender Premier Cameron spricht zur Presse

APA/AFP/Geoff Caddick

Camerons letzte Rede als britischer Premier

Cameron verabschiedete sich mit launigen Worten vom britischen Parlament. „Ich war einmal die Zukunft“, sagte er nach sechsjähriger Amtszeit unter großem Beifall der Abgeordneten. „Ich werde die Rufe der Menge vermissen, ich werde die Buhs der Opposition vermissen“, fügte er hinzu.

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