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Abfallimporte als Zankapfel

Umweltschützer in Marokko erhöhen den Druck gegen Müllimporte: Jüngstes Beispiel sind Demonstrationen und Unterschriftenlisten gegen Abfall aus der süditalienischen Metropole Neapel, aber auch aus Frankreich. Die marokkanische Regierung verteidigt indes den Import von Abfällen aus anderen Ländern.

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Insgesamt werden rund 450.000 Tonnen Müll jährlich eingeführt, so die jüngste Zahl, die die für Abfallwirtschaft zuständige Vizeministerin Hakima al-Haiti kürzlich bekanntgab - ein zwar nur kleiner, aber offenbar wichtiger, weil ausbaufähiger Teil der marokkanischen Wirtschaft.

Müllhalde in Neapel

picturedesk.com/EPA/Waltraud Grubitsch

Müll aus Italien wie hier auf einer neapolitanischen Müllkippe sorgt für Aufregung in Marokko

Ausgenützt oder gutes Geschäft für beide Seiten?

Die Proteste brachten indes eine bereits seit Längerem schwelende internationale Debatte in Marokko ans Licht. Das globale Müllgeschäft, also der Prozess, in dem ein Entwicklungs- oder Schwellenland Müll von einem Industrieland importiert und entsorgt - ist schwer umstritten, wie die Website Morocco World News (MWS) schreibt.

Befürworter weisen immer darauf hin, dass Industrienationen ihre Müllberge abbauen und die Importländer dafür Geld erhalten. Gift- und anderer gefährlicher Müll wie etwa Abfälle von Atomkraftwerken sei sowieso laut der Basler Konvention, einem internationalen Vertrag, ausgeschlossen. Damit sei auch das Umweltrisiko für die Importländer begrenzt. Die Gegner argumentieren hingegen damit, dass die finanziell schwächeren Ländern ausgenützt würden. Sie gehen sehr wohl von Umweltschäden aus, die Verbrennung der Abfälle belaste und schädige die Umwelt.

„Würde“ des Landes verletzt

Auch die Demonstrationen in Marokko schlagen in dieselbe Kerbe gegen das offenbar lukrative Geschäft mit dem Abfall. Die Müllverbrennung schade der Umwelt. Andere Aktivisten, die der nationalistischen Richtung in Marokko zuzuordnen sind, kritisieren hingegen die Regierung direkt. Sie erlaube, dass das Königreich zu Europas Mistkübel wird, so die Kritik, wie MWS weiter schreibt. Sie sehen darin auch eine „Schande“ und die „Würde“ des Landes verletzt.

Vor allem Importe aus Italien und hier aus Süditalien bzw. Neapel stoßen den Umweltschützern sauer auf. Der Müll aus Kampanien gilt ob der zahlreichen Giftmüllskandale bei den Aktivisten als verseucht und nährt Befürchtungen über negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Unter dem Motto „Marokko ist nicht die Mülldeponie Neapels“ verfassten die Umweltaktivisten eine Petition, die binnen weniger Tage von Tausenden Menschen unterschrieben wurde, berichtete die Mailänder Wirtschaftszeitung „Sole 24 Ore“ zu Wochenbeginn. Mit der Petition wollen die Umweltschützer erreichen, dass die Regierung von Premier Abdel Ilah Benkirane den Müll nach Neapel zurückschickt.

Das große Müllproblem in Süditalien

Der Fall sorgte auch in der italienischen Politik für Reaktionen. Khalid Chaouki, Abgeordneter marokkanischer Herkunft, stellte mit Kollegen im Parlament in Rom eine Anfrage, um mehr Informationen über den Müllexport nach Marokko zu erhalten.

Neapel und die Region Kampanien leiden notorisch unter Problemen bei der Abfallentsorgung. Verbrennungsanlagen gibt es nicht. Auch in Rom funktioniert die Entsorgung nur teilweise. Auf Sizilien kam es erst kürzlich zu Protesten, nachdem die Müllabfuhr in mehreren Städten nur mangelhaft arbeitete und sich bei großer Hitze die Abfälle auf den Straßen türmten. Wütende Menschen zündeten Müllsäcke an. Die einzigen beiden Deponien, die auf der Insel noch in Betrieb sind, reichen nicht für den gesamten Müll Siziliens. Auch hier scheint sich vermehrt der Abfallexport als Lösung anzubieten.

Marokkos Regierung will Zweifel zerstreuen

Die marokkanische Regierung versucht indes die Zweifel zu zerstreuen und zu beschwichtigen. Sie weist auf die Umweltverträglichkeit bei der Müllverarbeitung hin, allerdings ohne großen Erfolg. Der ungefährliche Abfall, und nur solcher werde importiert, stamme nicht aus Kampanien und werde nicht verbrannt, sondern für die Energiegewinnung genutzt bzw. mit modernster Technologie zu Treibstoff verarbeitet, heißt es aus dem Ministerium.

Die marokkanische Koalition für Klimagerechtigkeit fordert Transparenz bei der Müllverarbeitung und weist auf die genauen nationalen und internationalen Auflagen hin, wie die „North Africa Post“ auf ihrer Website schreibt. Die NGO will, dass die Regierung alle Dokumente im Zusammenhang mit dem Müll öffentlich zugänglich macht.

Plastiksackerlverbot und UNO-Klimakonferenz

In Marokko selbst hat man dem heimischen Müll den Kampf angesagt. Bereits letztes Jahr hatte das marokkanische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Produktion, den Import, den Verkauf und den Vertrieb von Plastiksackerln in dem Land verbietet. Es ist seit 1. Juli in Kraft. Damit will die Regierung ihre Umweltschutzkompetenz auch auf der internationalen Bühne beweisen.

In der marokkanischen Stadt Marrakesch findet im November die UNO-Klimakonferenz COP22 statt. Marokko ist nach den USA das Land mit dem größten Pro-Kopf-Verbrauch an Plastiksackerln, wie die „North African Post“ schreibt. Durchschnittlich verbrauchte jeder der rund 34 Millionen Marokkaner rund 900 Plastiksackerln pro Jahr, also rund drei pro Tag.

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