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„Die Verzweiflung muss echt sein“

Für „Alle anderen“, in dem Birgit Minichmayr und Lars Eidinger im Clinch mit ihren Vorstellungen von Liebe lagen, erhielt Maren Ade 2009 den Großen Preis der Berlinale-Jury. Ihr Film „Toni Erdmann“ über die Wiederannäherung eines Vaters an seine Tochter sei erneut „etwas autobiografisch“. Vor allem aber meine der Filmtitel „eine Haltung“. Welche, das erklärte Maren Ade im Gespräch mit ORF.at.

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ORF.at: Stimmt es, dass Sie am ersten Drehtag in Bukarest Ihre beiden Darsteller Sandra Hüller und Peter Simonischek in einer weißen Stretchlimo abgeholt haben, in der sie selbst mit Bademantel bekleidet saßen?

Maren Ade: Das ist richtig. Ich war schon ein paar Tage in Bukarest und hatte diese Limos immer wieder mal umherfahren sehen. So ein Auto schien mir als Arbeitsfahrzeug für den tiefgelegten Hochstapler Toni Erdmann total passend, und mein Glück war, dass die gar nicht so teuer zu mieten sind dort. Ich bin also damit zum Flughafen gefahren, und zwar im Bademantel deswegen, weil es mir für meine Filme wichtig ist, vorher zu testen, was witzig sein kann. Toni Erdmann greift ja permanent zu überzogenen Scherzen, da war ich mir nicht immer sicher, ob andere wirklich mitgehen. Ich verbringe immer vorab Zeit mit den Schauspielern am Set, auch weil ich möchte, dass sie sich einleben und ein Gefühl für die Gegend und sich selbst in dieser Gegend kriegen.

ORF.at: Und wie kam der Scherz an?

Ade: Beide waren irritiert, was ich schon mal gut fand, das ist ja eine gute Vorstufe, um zu lachen.

ORF.at: In „Toni Erdmann“ kommt es zu einer fulminanten Neuinterpretation eines Whitney-Houston-Songs, zu einer himmelschreiend komischen Nacktparty und dem wundervollen Auftritt eines Fellmonsters. Können Sie definieren, was Sie witzig finden?

Ade: Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Komik. Bei der Nacktparty zum Beispiel hatte ich schon geahnt, dass sie später lustig wirken wird, weil es einfach per se lustig ist, wenn jemand nackt vor der Tür steht. Wir haben uns aber vor allem an der psychologischen Entwicklung, an der Verzweiflung und Traurigkeit orientiert, die zu der Situation führten. Der treffendste Humor ist für mich, wenn er der Verzweiflung entspringt. Damit das in einem Film aber nicht albern wirkt, muss die Verzweiflung eine echte sein. Deshalb konzentriere ich mich beim Schreiben darauf, dass eine Figur in sich wirklich stimmig ist.

ORF.at: Warum lacht man, obwohl etwas traurig ist?

Ade: Weil etwas Wahres darin steckt. Humor ist immer dazu da, um irgendetwas loszuwerden, zu überwinden oder aufzulösen. Die Wendung hin zum Humor hat immer etwas mit Verzweiflung zu tun. Aber auch mit Selbsterkenntnis.

ORF.at: Seit „Toni Erdmann“ lobt man den deutschen Film wieder. Was finden Sie denn deutsch an Ihrem Film?

Ade: Der Vater Winfried ist eine typische Figur der deutschen Nachkriegsgeneration. Schon als Jugendlicher hat er sich gegenüber den Eltern klar abgegrenzt, weil die – direkt oder indirekt – ja auch für eine Zeit des Nationalsozialismus standen, die man hinter sich lassen wollte. Winfried ist jemand, der antiautoritär erzogen wurde, und Werte wie Freiheit und Selbstbestimmtheit waren dabei wichtig. Diese Werte hat er auch seiner Tochter Ines weitergegeben, und auch das hat sie zu der selbstbewussten Frau werden lassen, die sie ist. Aber sie kann ihre Eigenschaften eben auch gut für ihren Job als Unternehmensberaterin gebrauchen. Das ist schon ziemlich ironisch. Fast als hätte sich Winfrieds Erziehung gegen ihn gekehrt. Man kann vielleicht sogar so weit gehen zu sagen, dass die Weltoffenheit und die Neugierde, die Väter wie er vermittelt haben, letztendlich die Globalisierung erleichtert haben.

ORF.at: Warum heißt der Film „Toni Erdmann“?

Ade: Toni Erdmann steht für eine Ausbruchsfantasie, an die sich der Vater nicht erst in seiner Begegnung mit Ines klammert. Er versucht mit dieser Verwandlung, seine Tochter an etwas Vergessenes zu erinnern, das gut war. Dafür will er ihr als Fremder begegnen. Gleichzeitig ist dies aber auch für ihn selbst eine Möglichkeit, seine Gedanken anders auszudrücken. Ich würde sagen „Toni Erdmann“ ist deshalb eine Art Haltung. Zu sagen: Regeln müssen gar nicht gelten.

ORF.at: Stecken in dieser fein heraus gearbeiteten Beziehung zwischen Ines und Winfried auch eigene Erfahrungen?

Ade: Doch, ja, vor allem was das Scherzgebiss angeht. Mich hat für die Figur Winfried/Toni schon der Humor meines eigenen Vaters inspiriert. Ich habe ihm einmal so ein Scherzgebiss geschenkt. Er hat damit dann auch schon mal den Kellner hergewunken, solche Sachen. Aber im Gegensatz zu Ines war mir das nie peinlich. Und ein Geheimtipp: Man kann sich mit so einem Gebiss auch viel besser beschweren.

ORF.at: Als Sandra Hüller ihre Whitney Houston herausschmettert, fing zumindest bei der Premiere des Films in Cannes der ganze Saal zu jubeln an. Wie geht es einem da als Regisseurin?

Ade: So etwas kann man leider sehr schwer vorausberechnen, und ich will im Vorfeld gar nicht zu sehr an Publikumsreaktionen denken. Speziell bei dieser Szene hatten wir aber doch auch während des Drehens das Gefühl, dass das etwas Besonderes ist.

ORF.at: Burgtheater-Schauspieler Peter Simonischek kennt man unter anderem tosend von der Bühne, hier scheint er sich zurückzunehmen.

Ade: Absolut. Er hätte den Toni riesig spielen können, hundertmal fetter und aufgeblasener, als er jetzt zu sehen ist. Ich habe ihm dann quasi verboten, den Charakter zu sehr auszubauen. Da hat er manchmal schon gejammert.

ORF.at: Auch Sandra Hüller ist neben ihren Filmrollen vor allem als Star an den Münchner Kammerspielen bekannt. Sie scheinen für Ihre Filme bevorzugt mit Schauspielern zu arbeiten, die hauptsächlich Theater spielen?

Ade: Ja, ich bin bei meinen letzten zwei Filmen immer bei Theaterschauspielern gelandet, weil die eine Offenheit gegenüber dem Prozess mitbringen und das ausführliche Proben kennen. Mit Birgit Minichmayr und Lars Eidinger (den Hauptdarstellern von „Alle anderen“) hatte ich am Drehort schon vier Wochen lang verbracht und geprobt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, die Schauspieler erst am ersten Drehtag kennenzulernen. Auch sie müssen sich da doch schon in ihre Figuren eingelebt haben und auch Verantwortung für sie übernehmen.

ORF.at: Sandra Hüller balanciert Ines gekonnt und bereichernd am Stereotyp der unterkühlten, weltfremden Geschäftsfrau entlang. War Klischee ein Risiko für die Figur?

Ade: Als Unternehmensberater gehört es dazu, eine Rolle zu spielen. Man arbeitet mit einer Fassade, hat ein Arbeitsgesicht, muss seine Gefühle kontrollieren. Ich habe den Eindruck, dass es Frauen aber stärker angekreidet wird, wenn sie sich so verstellen. In der Konfrontation mit ihrem Vater wird auch das zum Thema. Winfried hat den Reflex, in ihr die kalte Businessfrau zu sehen, indem er ihr Fragen stellt wie „Bist du denn glücklich?“ und „Bist du überhaupt ein Mensch?“ Ich weiß nicht, ob er die einem Sohn gestellt hätte. Ines hat es sich so ausgesucht und fordert von Winfried, dass er das akzeptiert. Insofern kann auch ich selbst mich darin wiederfinden.

Das Gespräch führte Alexandra Zawia, für ORF.at

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