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Mehr Freiheit durch Verzicht

Das leichte Reisen lediglich mit Handgepäck wird immer beliebter. Denn körperliche und geistige Erholung, die sich die meisten vom Urlaub erwarten, kann schnell durch Ärger mit verlorengegangenem Gepäck, Schlepperei und Packstress gefährdet werden. Der Trend zum Minimalismus soll auch beim Reisen gedanklich und physisch freier machen.

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Jeder Reisende kennt die Fragen. Wie packe ich meinen Koffer, sodass alles hineinpasst? Welche Dinge muss ich unbedingt mitnehmen, damit ich im Urlaub an nichts mehr denken muss? Nicht selten kommt es vor, dass auf dem Flughafen für Übergepäck gezahlt werden muss - oder am Ende die Dinge, die im Koffer gelandet sind, am Reiseziel überhaupt nicht verwendet werden.

Minimalistisches Glücksprinzip

Dabei ist ohnehin das, was im Leben oder auf einer Reise tatsächlich „gebraucht“ wird, für jeden relativ - besonders für Minimalisten. Personen, die nach dem Prinzip des Verzichts leben und damit nach mehr Freiheit und Glück streben, verzichten im Alltag auf die meisten materiellen Besitztümer.

Die Modebloggerin Madeleine Alizadeh (Dariadaria.com) bestritt selbst eine zweiwöchige Island-Reise mit Handgepäck. Im Interview mit ORF.at erzählt sie, dass der Minimalismus als Lifestyle zurzeit in aller Munde sei. Die Gründe liegen für sie dabei vor allem daran, dass zu viel Besitz mit mehr Stress verbunden sei. „Wer weniger besitzt, muss sich um weniger kümmern und ist generell freier - gedanklich und physisch“, sagt Alizadeh.

Next stop: Iceland! 🇮🇸🐴❄️ #dariadariaadventures #iceland PS: two weeks with hand luggage 😏

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Auch Ökologie ist Thema

Dabei geht es sich auch um ein ökologisches Denken, bei dem Nachhaltigkeit und die Zero-waste-Bewegung gepredigt werden. Diese Prinzipien lassen sich leicht auf das Packverhalten beim Reisen ummünzen - ohne dabei gleich einen an Askese grenzenden Urlaub machen zu müssen.

Auch „digitale Nomaden“ - Personen, die keinen fixen Arbeitsplatz haben und viel unterwegs sind - sind häufig mit wenig Gepäck unterwegs. Laut Robin Kiely, Head of Communications der irischen Billigfluglinie Ryanair, buchten im vergangenen Jahr nur rund 20 Prozent der Passagiere einen Flug mit Freigepäck. Und nicht nur Geschäftsreisende verzichten auf viel Gepäck.

Trotz kleinerer Auswahl gut gekleidet

Auf Reisen ist Weniger oft mehr, predigen die Minimalisten: Es erlaube einem, sich intensiver auf Land und Kultur zu fokussieren - anstatt sich etwa darüber Gedanken zu machen, welches Outfit auf einem Selfie wohl am besten aussehen könnte. Und keine Sorge: Weder Hygiene noch das äußere Erscheinungsbild müssten dabei darunter leiden.

Eine vorausschauende Planung ist aber essentiell, um sich im Nachhinein im Urlaub auch wirklich wohlzufühlen. Wer Einfachheit voranstellt, muss nicht zwangshalber Klischees bedienen und in Zip-off-Hosen und schnell trocknenden Shirts in ein schickes Restaurant gehen. Egal ob bei kühlen oder wärmeren Temperaturen - das „Zwiebelsystem“ ist am effizientesten, denn mehrere Kleiderschichten geben einem auch mehr Anpassungsfreiraum.

Gegner einfärbiger Kleidung werden es schwerer haben, leicht miteinander kombinierbare Sachen auszuwählen. Und wer gut riechen will, der muss unterwegs auch waschen. Die meisten privaten Unterkünfte stellen jedoch eine Waschmaschine zur Verfügung, und auch in Hotels ist Wäschewaschen kein großer Aufwand.

Größere Mobilität mit weniger Gewicht

Die Wahl der optimalen Reisetasche ist mitunter das Wichtigste beim Reisen mit Handgepäck. Hersteller wie Osprey, Tortuga und Minaal werben mit Rucksäcken, die besonders leicht sind und die EU- und teils sogar weltweite Handgepäckrichtlinien erfüllen. Sie sind im Durchschnitt 55 mal 40 mal 23 cm groß, haben meist keine störenden Rollen - und unterschiedliche Fächer, in denen auch Klobiges wie etwa elektronisches Zubehör optimal Platz findet.

Nur einen mit Bedacht gepackten Rucksack mit in den Urlaub zu nehmen hat seine Vorteile. Abgesehen davon, dass für Gepäck nicht extra gezahlt werden muss und sich der Weg zu Check-in und Gepäcksband erübrigt, werden Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und auch das Treppensteigen leichter.

Kein schweres bzw. unnötiges Gepäck mitschleppen zu müssen bedeutet also grundsätzlich mehr Mobilität. Zusätzlich entfällt die Sorge vor Verlust und Beschädigung des Hab und Guts - was wiederum den Stressfaktor senkt und bereits während der Hinreise für zusätzliche Entspannung sorgt.

Packmaß geht vor

Fluglinien wie easyJet, Iberia und Delta haben keine Gewichtsbegrenzung hinsichtlich des Handgepäcks - solange die Packmaße eingehalten werden. Die meisten Airlines beschränken das Gewicht jedoch auf sechs bis maximal zwölf Kilo pro Person und Gepäckstück.

Die Liste der verbotenen Gegenstände im Handgepäck ist überschaubar und wird die Wenigsten einschränken. Nützliche Dinge wie etwa Medikamente, Einwegrasierer und Kontaktlinsenflüssigkeit dürfen an Bord eines Flugzeugs mitgenommen werden.

Schlichten mit System

Bleibt noch die Frage, wie viel ins kleine Gepäckstück passt. Kompakt packen verlangt nach einem gewissen Sinn für Struktur - oder man folgt einer bestimmten Technik, die man sich leicht mit Hilfe eines der unzähligen YouTube-Videos zu dem Thema aneignen kann. Rollen und geschickt Falten sind oberstes Gebot. Die sogenannte KonMari-Methode, von der japanischen Entrümpelungsspezialistin Marie Kondo entwickelt, und die Ranger-Roll-Methode sollen am platzsparendsten sein.

Verkleinern leicht gemacht

Sogenannte Packing Cubes helfen, die Kleidung zusammenzudrücken, sie bedeuten allerdings zusätzliches Gewicht. Noch mehr Verdichtung bieten ultraleichte Kompressionsbeutel. Und wer während der Reise die wuchtigsten Kleidungsstücke am Körper trägt, dem wird im Flugzeug nicht so schnell kalt - und es bleibt Spielraum in der Reisetasche.

Besonders Hygieneartikel sind relativ schwer. All-in-one-Produkte - also etwa Flüssigseifen, mit denen wirklich alles gewaschen werden kann - ersetzen Shampoo, Zahnpasta, Seife und Waschmittel. Das Umfüllen der benötigten Menge in 100-ml-Behälter, die insgesamt einen Liter nicht überschreiten dürfen, ist im Flugzeug ohnehin Vorschrift.

Verzicht ist nicht einfach

Das leichte Reisen verlangt nicht bloß nach einer durchdachten Packmethode, es gehört auch eine gewisse mentale Stärke dazu, nur das Nötigste mit auf die Reise zu nehmen. Obwohl in den meisten Ländern viele Dinge an und Ort und Stelle besorgt werden können, ringen noch immer viele mit der Vorstellung, im Urlaub über längere Zeit mit weniger auskommen zu müssen.

„Viele Menschen klammern sich so fest an materielle Dinge, weil wir glauben, dass sie uns beschützen,“ sagt die Bloggerin Alizadeh und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Aber es gibt für alles Lösungen, und ein T-Shirt weniger hat noch keinen Urlaub ruiniert.“

Yasmin Szaraniec, ORF.at

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