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„Ganz billige Nummer“

In Deutschland denkt Justizminister Heiko Maas (SPD) laut darüber nach, sexistische Werbung per Gesetz zu verbieten - in Österreich fordert unter anderen der Städtebund ein solches Verbot. Der Grund: Trotz aller Bemühungen um Emanzipation und der Empörung der Öffentlichkeit ist sexistische Werbung noch immer Alltag.

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Das zeigte sich in den letzten Wochen besonders deutlich. Rund um Fußballgroßereignisse wie WM und EM häufen sich sexistische Werbekampagnen besonders - bei der EM 2016 sorgten hierzulande vor allem das Plakat- und Onlinesujet der Bet-at-Home-Werbekampagne für scharfe Kritik. Das Sujet: eine nackte Frau nebst Ball, zu sehen durch einen Ferngucker.

„Auf Sexualität reduziert“

Dutzende Meldungen beim Werberat - dem freiwilligen Ethikverband der Werbetreibenden - führten dazu, dass dieser die Plakate und Onlinesujets, die breitflächig eingesetzt wurden, auch auf ORF.at, verurteilte. „Der eindeutige Sachverhalt einer Blickfangwerbung – gemäß Ethikkodex dürfen keine Darstellungen von nackten Körpern ohne inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt abgebildet werden - steht im Vordergrund. Und die weibliche Protagonistin wird rein auf ihre Sexualität reduziert“, heißt es in der Entscheidung vom Juni. Der Werberat forderte den „sofortigen Stopp der Kampagne bzw. sofortigen Sujetwechsel“ - freilich vergeblich.

Ganze 60 Prozent aller Beschwerden beim Werberat betrafen heuer bisher sexistische Sujets. Die Zahl der Fälle ist seit Jahren ungefähr gleichbleibend - mit Abstand die meisten Beschwerden betreffen Sexismus. Auffallend sei, dass es in dem Zusammenhang seit einem guten Jahr mehr Fälle zum Thema Stereotypisierung gebe, so die Geschäftsführerin des Werberats, Andrea Stoidl. Hier sei in der Bevölkerung offenbar das Bewusstsein gewachsen.

Selbstkontrolle der Branche

Der Werberat ist ein Verein zur Selbstkontrolle von Werbefirmen. Jeder kann sich bei ihm formlos online über Werbungen beschweren. Das Gremium berät dann darüber und fordert gegebenenfalls zur sofortigen Beendigung einer Kampagne auf. Die Entscheidung ist allerdings nicht verpflichtend.

Sexismus von Erotik zu trennen

Mariusz Jan Demner von der Agentur Demner Merlicek & Bergmann spricht sich - so wie andere Expertinnen - gegenüber ORF.at für eine klare Trennung aus: „Sexistische Werbung - die Frauen einfach objekthaft benutzt, nur um Aufmerksamkeit zu erwecken, und oft keinen Konnex zum gezeigten Produkt hat - sollte nicht erlaubt sein.“ Etwa wenn „ein Schinkenhersteller ein nacktes Mädel auf den Schinken draufklatscht“. Erotische Werbung dagegen sehr wohl, immerhin gehe es in der Werbung oft auch um dezente Verführung, so Demner.

Den TV-Spot der Bet-at-home-Werbung, der sich an eine Louis-de-Funes-Komödie der 1960er Jahre anlehnt, sei bis auf die offensichtlich bewusst inszenierte Schlusseinstellung völlig in Ordnung und in keiner Weise sexistisch. „Plump“ sei aber das Plakat, das die letzte Einstellung des TV-Spots zeigt. Man hätte auch „ohne dem“ was Interessantes daraus machen können, findet Demner, der selbst seit vielen Jahren eine fixe Größe in der heimischen Werbelandschaft ist.

Für Stoidl ist klar, dass das Wettunternehmen mit seinem Plakat- und Onlinesujet ganz bewusst provozieren wollte. Generell, so Stoidl, nehme sie seit sieben bis acht Jahren aber ein deutliches Umdenken wahr - in der eigenen Branche wie bei Medien. Kati Förster, von der Agentur Goldbach Audience und selbst als Werberätin tätig, betont freilich auch: An das „Mantra Sex sells“ werde weiter geglaubt - aber oft eher bei kleinen und mittleren Unternehmen, die sich ihre Werbung selbst basteln.

„Vor der eigenen Tür kehren“

Demner kann es laut eigenen Angaben nicht beurteilen, ob sexistische Werbung in Österreich zu- oder abnimmt. Generell habe aber das Bewusstsein, „wie man in unseren Breiten miteinander umzugehen hat“, zugenommen. Daher würden „plumpe Ausrutscher“ auch umso mehr auffallen. Demner verweist in dem Zusammenhang auch auf die Rolle der Medien: Diese müssten „vor der eigenen Tür kehren“, denn sie würden oft viel sexistischere Inhalte transportieren, als sich das die Werbung traue.

„Totaler Nachhinker“

Anders sieht das dagegen Ulli Weish vom Publizistikinstitut der Uni Wien und Expertin der Wiener Watchgroup gegen Sexismus in der Werbung. Ihrer Meinung nach sind die Medien schon „viel diverser“ - freilich abhängig davon, welche man betrachtet. Die Werbebranche ist in puncto Sexismus für sie dagegen ein „totaler Nachhinker“, in der oft mit „sehr starken, verengten Klischees“ gearbeitet werde. Und die Bet-at-home-Werbung sei einfach eine „ganz billige Nummer“ - neben dem Geschäftssinn treibe „diese Herren“ wohl auch die als Machtgewinn empfundene Lust an der Provokation an, vermutet Weish.

Unternehmen würde es wieder so machen

Die zuständige Werbeagentur verwies auf Nachfrage von ORF.at auf ihren Kunden. Bet-at-home seinerseits betonte, man würde das Plakat- und Onlinesujet - auch im Wissen um die Kritik - „in jedem Fall“ wieder genau so wählen, denn es spreche die Zielgruppe an. Natürlich sei es Ziel, „mit jeder neuen Werbekampagne Aufmerksamkeit zu erregen und manchmal auch zu polarisieren - das ist uns auch mit dieser Kampagne sehr gut gelungen“. Und „gerade bei einem sportlichen Großereignis wie der EM darf Werbung auch ein wenig die Gemüter erhitzen“.

Optimistin setzt auf „Millennials“

Werbeexpertin Förster ist trotz allem beim Thema Sexismus in der Werbung selbst erklärte Optimistin. Sie ist überzeugt, dass mit den „Millennials“, also der Generation der um die Jahrtausendwende Geborenen, Sexismus in der Werbung ein No Go wird. Diese hätten keinerlei Verständnis mehr für solche Darstellungen und Rollenzuschreibungen - und würden mit offener Kritik und Konsumverweigerung in naher Zukunft auch bei Unternehmen eine Haltungsänderung erzwingen.

Förster verteidigt in dem Zusammenhang das Selbstregulierungsprinzip der Branche durch den Werberat. Auch wenn es manchmal zäh sei und Entscheidungen weniger streng ausfielen, als sie das will. Aber dieser Meinungsbildungsprozess sei wohl auch wichtig. Und in kaum einem anderen Land werde die Selbstregulierung von der Branche selbst so ernst genommen wie hierzulande, so Förster. In letzter Konsequenz kann sie sich aber auch gesetzliche Regelungen vorstellen.

Expertin sieht Scheitern der 68er-Bewegung

Für die Wissenschaftlerin Weish ist dagegen ganz klar die Politik gefragt - „empfindliche Strafzahlungen“ seien nötig. Hier verlaufe die Debatte aber ähnlich wie jene über das Binnen-I, gibt sich Weish keinen Illusionen hin. Gegner würden eine ernsthafte Diskussion regelmäßig mit dem Verweis, dass zuerst viel drängendere Aufgaben angegangen werden müssten, verhindern.

Sexismus in der Werbung erklärt sich Weish auch damit, dass es ihrer Ansicht nach in Österreich nie eine echte sexuelle Befreiung gegeben habe. Außer einer Bagatellisierung der Sexualität im öffentlichen Raum habe die 68er-Bewegung wenig gebracht. Sie spricht daher auch von einer „neuen Spießigkeit bei gleichzeitiger Pseudoverluderung der Gesellschaft“ und macht sich gemeinsam mit anderen daran, die umstrittene Werbekampagne zu persiflieren - mit voyeuristischem Blick auf einen männlichen Hintern und „vergleichbar dummen Sprüchen“.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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