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Anti-Terror-Gesetze in der Waagschale

Es gibt Augenzeugenberichte, es gibt Handyvideos - doch noch immer will die türkische Regierung offiziell nicht zugeben, dass einer der drei Attentäter vom Atatürk-Flughafen in Istanbul die Sicherheitsschleusen passieren und so ins Innere des Flughafengebäudes gelangen konnte. Ministerpräsident Binali Yildirim hält im Gegenteil an dem Sicherheitskonzept fest.

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Das Konzept von Sicherheitsschleusen bei den Ein- und Ausgängen von Flughäfen wurde gerade von den türkischen Sicherheitsbehörden nach den Anschlägen von Brüssel intensiviert. Befürchtungen von Experten, dass das System die Terrorgefahr nicht mindern kann, scheinen sich nun zu bestätigen: Offenbar war es gerade der beginnende Terrorangriff und der damit verbundene Ausnahmezustand vor dem Flughafen, der es einem der drei Attentäter ermöglichte, in das Gebäude zu gelangen.

Augenzeugenberichte unter der Hand bestätigt

Nur unter der Hand wird von Kreisen innerhalb der türkischen Regierung bestätigt, dass einer der Selbstmordattentäter in die Abflughalle des internationalen Terminals gelangte. Der erste Attentäter habe sich an der Sicherheitskontrolle im Eingangsbereich in die Luft gesprengt. Er habe damit Chaos ausgelöst, sodass ein zweiter Attentäter ins Gebäude gelangen und seinen Sprengsatz in der Abflughalle im ersten Stock zünden konnte, hieß es am Mittwochabend aus Regierungskreisen.

Schäden durch den Anschlag

APA/AFP/Ozan Kose

Der Flughafen am Tag nach dem Attentat

Ein dritter Attentäter sprengte sich laut den Angaben anschließend vor dem Gebäude in die Luft. Mutmaßlich habe er damit fliehende Menschen treffen wollen. Dennoch sah die türkische Regierung keine Versäumnisse bei der Sicherheit. „Weder im Abflug- noch im Ankunftsbereich auf dem Flughafen kann von einer Sicherheitslücke die Rede sein“, sagte Yildirim. Erste Hinweise deuteten auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) als Urheber des Anschlags auf dem größten Flughafen der Türkei hin, sagte er.

Attentat strahlt auf Zwist mit EU aus

Es war bereits der vierte schwere Anschlag in Istanbul seit Jahresbeginn. Der IS hat sich noch zu keinem der ihm in der Vergangenheit zugeschriebenen Anschläge in der Türkei bekannt. Die drei Attentäter töteten 43 Menschen. 239 Menschen überlebten zum Teil sehr schwer verletzt. Offenbar bewusst wählten die Attentäter ein auch touristisch relevantes Ziel, um so diesen wichtigen Wirtschaftszweig der Türkei - weiter - zu schädigen.

Polizei am Flughafen

APA/AFP/Ozan Kose

Der Flughafen, bedeutendes Verkehrsdrehkreuz für die Region, nahm noch am Mittwoch wieder seinen Betrieb auf

Das Attentat strahlt auch auf den Konflikt zwischen der Türkei und der EU über Flüchtlings- und Visapakt aus. Die vereinbarte visafreie Einreise von türkischen Staatsbürgern in die EU ist vorerst wegen der türkischen Anti-Terror-Gesetze suspendiert. Diese räumen den Behörden weitreichende Kompetenzen ein - und werden neben dem Kampf gegen augenscheinlichen Terrorismus auch als Grundlage für das Vorgehen gegen Kritiker von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verwendet.

Zugeständnisse bei Anti-Terror-Gesetzen?

Indirekt könnte das Attentat ungewollt der politischen Position der türkischen Regierung nützen: Wie die deutsche „Bild“-Zeitung berichtet, gibt es in der EU-Kommission Überlegungen, vom harten Kurs gegenüber der Türkei abzurücken. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans soll sich laut dem Bericht am Donnerstag mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu treffen, um über mögliche Zugeständnisse im Hinblick auf die Anti-Terror-Gesetze zu beraten, berichtete die Zeitung.

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