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Wähler bereuen Wahl

Nachdem die Briten mit 52 Prozent für den Ausstieg aus der EU gestimmt haben, ist der Schock sichtlich groß. Mehr als 3,7 Millionen Briten forderten bis Montagnachmittag per Petition ein zweites Referendum, da die Wahlbeteiligung mit rund 72 Prozent zu niedrig und das Ergebnis zu knapp gewesen seien.

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Die Website des House of Commons, die das Dokument hostet, brach aufgrund der Anfragen sogar kurzzeitig zusammen. Das britische Gesetz sieht bei Referenden kein Mindestmaß für die Wahlbeteiligung oder den Stimmenanteil vor wie in einigen anderen Ländern. Der Petitionsausschuss, der darüber entscheidet, ob Petitionen im Parlament diskutiert werden, tagt das nächste Mal am kommenden Dienstag. Premier David Cameron schloss am Montag ein zweites Referendum aus.

100.000 Stimmen muss eine Petition erreichen, um im Parlament behandelt zu werden. Allerdings gibt es Zweifel, ob alle Unterstützer gezählt werden dürfen. Das zuständige Komitee im Unterhaus hat nach eigenen Angaben 77.000 digitale Unterschriften entfernt und achtet auf „verdächtige Aktivitäten“.

Website der Petition gegen den Brexit

APA/AFP/Justin Tallis

Enormer Zulauf zur Petition für ein zweites EU-Referendum

Eine weitere Petition fordert den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan wiederum auf, die Hauptstadt für unabhängig zu erklären und der EU beizutreten. Insbesondere in London herrscht Verwunderung über den Ausgang des Referendums. Viele waren davon ausgegangen, dass es ohnehin gegen „Brexit“ ausgehen werde, und sind daher offenbar gar nicht mehr zur Abstimmung gegangen. Mittlerweile werden aber auch Stimmen jener laut, die für den „Brexit“ gestimmt haben und das nun bereuen.

Wähler wollen Votum ändern

Wahlhelfer berichtet laut „Independent“ von Anrufen, wonach Wähler fragten, ob sie ihre Wahl ändern könnten, nachdem nun die Konsequenzen klargeworden sein. Andere gaben an, sie hätten eine Proteststimme abgeben wollen, im Glauben, dass Großbritannien ohnedies bei der EU bleibe. Unter dem Hashtag „Bregret“ sammeln sich in den Sozialen Netzwerken viele ähnliche Stimmen. Viele gaben auch an, sich von der „Leave“-Kampagne getäuscht zu fühlen.

Protest in London

APA/AFP/Geoff Caddick

Proeuropäische Kundgebungen in London am Tag nach dem „Brexit“-Referendum

Auch britische Politiker wollen gegen den „Brexit“ kämpfen. Ein Abgeordneter der Labour-Partei forderte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter eine Abstimmung im britischen Unterhaus. „Wacht auf. Wir müssen das nicht machen“, schrieb David Lemmy aus dem Wahlkreis Tottenham. „Wir können diesen Wahnsinn stoppen und diesen Alptraum mit einem Votum im Parlament beenden.“ Schließlich sei das Referendum rechtlich nicht bindend. Der Politiker forderte eine Abstimmung schon in der kommenden Woche.

Land nach Referendum gespalten

Das Land ist nach dem Referendum gespalten. Vor allem Jüngere reagierten schockiert über das Ergebnis und sehen sich nicht repräsentiert. Viele machen ihrer Wut in den Sozialen Medien Luft etwa auf Twitter unter den Hashtags „#whathavewedone“ (Was haben wir getan?) und „#notinmyname“ (Nicht in meinem Namen). „Die haben mir gestern meine Zukunft geklaut“, sagte ein junger Brite gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) und meinte damit die Älteren. Ein 76-Jähriger widersprach ihm: „Nein, nein, nein. Wir haben ihnen eine Zukunft gegeben.“ Die Jungen würden noch dankbar sein.

Viele fürchten um ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder, wenn Großbritannien aus der EU ausscheidet. „Viel Glück für alle von uns - vor allem für die, die eine Zukunft mit unseren Kindern aufbauen wollen“, sagte etwa eine Pendlerin in London gegenüber AP. Die „Remain“-Befürworter sind vor allem in London und Schottland zu finden.

„Fantasie einer Souveränität“

Die Anti-Establishment-Wähler für den „Brexit“ verteilen sich über das restliche England. Die EU-Befürworter sehen die Vorstellung der „Brexit“-Anhänger als „Fantasie einer Souveränität“ in einer miteinander verbundenen Welt, die die Vorteile der EU ignoriere. Nigel Farage, Chef der EU-feindlichen UKIP, hatte von einem „Unabhängigkeitstag“ für Großbritannien gesprochen.

Die junge Generation kann das nicht nachvollziehen. Besonders groß ist auch die Frustration unter den 16- und 17-Jährigen, die noch nicht wählen durften. Eine Initiative von Labour, den Liberaldemokraten und der SNP aus dem vergangenen Jahr, das Wahlalter zu senken, wurde von der Regierung abgewiesen.

Demonstrationen gegen „Brexit“

Laut einem CNN-Bericht wurde der ehemalige Londoner Bürgermeister und führende „Brexit“-Befürworter, Boris Johnson, von einer buhenden Menschenmenge begrüßt, als er nach dem „Brexit“-Votum sein Haus verließ. Auch in der Londoner Downing Street protestierte eine Gruppe junger Menschen gegen den EU-Austritt. Sie fühlten sich ihrer Zukunft „beraubt“. Im schottischen Edinburgh und Glasgow gingen Hunderte auf die Straße, um gegen das Ergebnis des Referendums zu demonstrieren. 62 Prozent der Schotten stimmten gegen einen „Brexit“.

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