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Billig, flexibel, variantenreich

Unaufgeregt und kritisch nimmt die aktuelle Ausstellung der Kunsthalle Wien „Beton“ ins Visier: Zu sehen ist eine unsentimentale Hommage an den beliebtesten Baustoff der Nachkriegszeit. Rund 30 zeitgenössische Positionen – Installationen, Fotografien und Filme - reflektieren die sozialen und ideologischen Aspekte der Betonarchitektur der 60er und 70er Jahre.

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Er ist billig, variantenreich, flexibel und fest zugleich und somit der ideale Baustoff der Architektur: Beton. Wegen seiner Vielschichtigkeit wird er auch „Material ohne Eigenschaften“ genannt, die Stadtplanung in der Nachkriegszeit hat ihm allerdings gar nicht so eigenschaftslose Denkmäler gesetzt.

Hochhäuser, freischwingende Brücken und andere spektakuläre Bauten wurden erst durch die Entwicklung des Stahlbetons möglich – der hält nämlich, und das war damals das Revolutionäre, sowohl Zugkraft als auch Druck aus.

Brutale Radikalität

Charakteristisch an den Bauwerken der 1960er und 1970er ist, dass sie Beton häufig offen zur Schau stellten. Sichtbeton – beton brut - nannte das der Meisterarchitekt und Utopist Le Corbusier, die Stilrichtung bekam demnach den Namen Brutalismus. Den gab es auch in Wien, etwa mit der skulpturalen Wotruba-Kirche in Wien Mauer.

Kunstinstallation im Zuge der Ausstellung "Beton"

Stephan Wyckoff

Im Mittelpunkt der Schau stehen nicht nur monumentale Bauwerke

Das „Brutale“ steht hier nicht für Gewaltanwendung. Brutalismus – das meint das Rohe und Ungeschönte, den Blick auf die raue Struktur des Putzes, auf die Unebenheiten und charakteristischen Maserungen, die durch die verschiedenen Betongussformen entstanden.

Brutal ist der Brutalismus aber gewissermaßen doch, in seiner Radikalität: Er stand für eine neue Gesellschaft, für die kompromisslose Funktionalität. Die trotzig-selbstbewusste, schroffe Urbanität geriet ab den späten 70er Jahren in Verruf und wird heute noch als „hässlich“ und „Betonklotz“ etikettiert.

Liebe und Hass

„Beton ist ein Material, das immer in Kategorien von Liebe und Hass diskutiert wird“, meint die Kunsthallen-Kuratorin Vanessa Joan Müller. Sie kenne niemand, der sage, Beton sei ihm egal. Emotional oder aufgeregt gibt sich die Ausstellung, die Müller gemeinsam mit Kunsthallen-Chef Nicolaus Schafhausen kuratiert hat, aber nicht. Man wird auch nicht, wie man glauben könnte, von Betonmassen oder riesigen Klötzen überwältigt. Ob das auch daran lag, dass eine 50 Zentimeter große Skulptur gleich einmal 50 kg schwer ist?

Im Gegenteil: „Beton“ zeigt eher zurückhaltende, strenge, teils filigrane Kunstwerke, die von verschiedenen Einsatzgebieten und Geschichten drum herum erzählen – wie die Arbeiten von Isa Melsheimer, die kleine kompakte Betonmodelle berühmter modernistischer Gebäude aus Japan und Großbritannien, die inzwischen nicht mehr existieren, angefertigt hat.

Denkmäler des Wohlfahrtsstaats

Monumental sind dagegen die Säulen, die im Eingangsbereich stehen – eine Installation der palästinensisch-norwegischen Künstlerin Jumana Manna. Wenn man die Geschichte dahinter kennt, wirken sie nahezu gespenstisch. Der rechtsextremistische Terrorist und Massenmörder Anders Breivik Behring hatte 2011 vor den Anschlägen auf der Insel Utoya versucht, das Regierungsgebäude in Oslo in die Luft zu sprengen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Die Pfeiler blieben aber stehen.

Kunstinstallation im Zuge der Ausstellung "Beton"

Stephan Wyckoff

Ihren Höhepunkt erlebte die Betonarchitektur in den 60er und 70er Jahren

Mannas 1:1-Repliken sind ein Symbol für den norwegischen Wohlfahrtsstaat der 60er Jahre, für die Zeit, in der das Gebäude errichtet wurde, und ein Symbol einer solidarischen Gesellschaft. „Sie zeigen auf eine sehr drastische Weise, dass Beton und gerade die expressive Betonarchitektur der 60er und 70er absolut ideologisch aufgeladen sind. Die Säulen stehen für eine bestimmte, eine linke Ideologie, für die kommunalen Gebäude, den sozialen Wohnbau“, sagt Müller.

Avantgardistische Klettergerüste

Auf ein historisches, ebenso sozialdemokratisch geprägtes Kapitel der Stadt Wien bezieht sich die dort lebende dänische Künstlerin Sofie Thorsen. Auf die „Kunst am Bau“ rund um die Gemeindebauten der 50er und 60er Jahre, konkret: die „Spielplastiken“. Künstler und Künstlerinnen entwarfen damals Klettergerüste, Rutschen und Turngeräte in der Ästhetik der Nachkriegsavantgarde, mit der Idee, Kunst und Leben zu vereinen.

Heute gibt es in Wien nur noch eine dieser Spielplastiken, mit dem Schild „Spielen verboten“, wie Thorsen erzählt, und sie bedauert im Gespräch, dass diese Idee nicht mehr belebt wird. Sie selbst stellt, ganz zentral in der Schau, ein dünnes Metallgerüst aus, um das sie „Cut-outs“, Drucke der Plastiken, gehängt hat. Sie kräuseln sich um das Gerüst, als spielten sie selbst darauf.

Zukunftseuphorie statt Pragmatismus

„Was uns interessiert hat, ist die Frage, warum sich Künstlerinnen und Künstler wieder für die Nachkriegsarchitektur interessieren. Mit ,Beton‘ zeigen wir eine Ausstellung im Sinne eines Blicks zurück nach vorne“, sagt Müller. „Heute leben wir in einem sehr pragmatischen Zeitalter“, meint sie. Sie interessiere sich für das damalige zukunftseuphorische Denken, möchte schauen, „was waren die Potenziale dieser Architektur, und was kann man für die Zukunft mitnehmen“.

Morrison meets Brutalism

Diese Potenziale reflektiert auch der New Yorker Konzeptkünstler Tom Burrs mit seiner Collage „Brutalism Bulletin Bord“. Er konfrontiert den Doors-Frontman Jim Morrison mit der Architektur des wichtigsten amerikanischen Brutalisten Paul Rudolph.

Kunstinstallation im Zuge der Ausstellung "Beton"

Stephan Wyckoff

Grau in all seinen Abstufungen ist die dominierende Farbe der Ausstellung

Beide hatten spezielle Verbindungen zur US-amerikanischen „Bible Belt“-Metropole New Haven: Morrison wurde dort auf offener Bühne wegen der obszönen Performance verhaftet, Rudolph hatte dort viel gebaut. Beide waren sie Rebellen gegen die Konventionen: Morrison mit seinem Lederhosen-Sexappeal und Rudolph mit seiner rauen, konfrontativen Architektur. Unangepasst, antibürgerlich, selbstbewusst, machistisch.

Beton(t) trendig

Ende der 80er Jahre in Verruf geraten, erlebt Beton heute eine Rehabilitierung in der bildenden Kunst und in der Architektur, das zeigt sich nicht zuletzt auch in Form von Petitionen zur Erhaltung der Nachkriegsbauten. Was man übrigens in der Kunsthalle an den Wänden sieht, ist kein Sichtbeton, sondern Papier: eine Betontapete. Die Kuratoren hatten da die Qual der Wahl. Wer seine Wohnung mit Beton austapezieren will, hat mittlerweile 50 verschiedene Muster zur Auswahl.

Paula Pfoser, ORF.at

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