Affäre weitet sich aus
Schon seit dem letzten Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft in Paris wegen des Vorwurfs, die rechtsextreme französische Front National (FN) habe sich von der Europäischen Union die Gehälter von 20 Mitarbeitern des Europäischen Parlaments auszahlen lassen, ohne dass diese Mitarbeiter dort in Erscheinung getreten wären. Ein offenbar kursierendes neues EU-Papier scheint die Vorwürfe zu erhärten.
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Das EU-Parlament verlange von FN-Gründer Jean-Marie Le Pen - der trotz seines Bruchs mit der Partei und ihrer Chefin, seiner Tochter Marine, weiterhin EU-Abgeordneter ist - rund 320.000 Euro zurück, berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP am Mittwochabend unter Berufung auf ein Schreiben des Generalsekretärs des Europaparlaments, Klaus Welle. Offenbar nahm Le Pen deshalb auch bisher stillschweigend eine informelle Gehaltspfändung hin.
Für Le Pens Anwalt „illegal und ungerecht“
Im Umkreis des 88-Jährigen hieß es, das Europäische Parlament halte seit vergangener Woche die Hälfte seiner monatlichen Abgeordnetendiäten zurück: Le Pen bekomme nur noch 3.100 Euro statt 6.200 Euro ausgezahlt. Die Spesenpauschale von 4.300 Euro pro Monat werde komplett zurückgehalten. Le Pen habe keine Erklärung und keine Beweise dafür vorgelegt, dass der parlamentarische Mitarbeiter tatsächlich wie vorgeschrieben mit parlamentarischen Zuarbeiten betraut gewesen sei, so Welle.
In der Parlamentsverwaltung hieß es, dass neben Le Pen auch andere Mitglieder der FN betroffen seien - so etwa der Abgeordnete Bruno Gollnisch, von dem wegen ähnlicher Vorwürfe rund 380.000 Euro zurückverlangt würden. Das Parlament selbst wollte zunächst keine Details zu den Vorwürfen nennen, sie aber auch nicht dementieren. Le Pens Anwalt Frederick Joachim bestätigte sie jedoch durch angekündigten Einspruch gegen die „illegale und ungerechte Maßnahme“ der Parlamentsverwaltung.
Ein Bruch und doch kein Bruch
Auf europäischer Ebene ist die EU-Antikorruptionsbehörde OLAF mit der Causa befasst. Die nunmehrigen Vorwürfe dürften auf ihren Ermittlungsergebnissen beruhen. Die AFP zitiert Welle zudem mit der Äußerung, „weitere FN-Abgeordnete werden folgen“. Damit wird die Causa auch für Marine Le Pen brisant. Sowohl ihr Vater als auch dessen langjähriger Vertrauter Gollnisch sind nicht mehr Teil der FN in ihrer aktuellen Ausprägung - andere aber schon.
Auch ohne Namen von „weiteren FN-Abgeordneten“ ist schon jetzt klar, dass durch die Vorwürfe Jean-Francois Jalkh belastet ist: Er war von 2009 bis 2014 jener Assistent von Le Pen senior, der statt Tätigkeiten für das EU-Parlament Wahlkampf- und Parteiarbeit für die FN geleistet haben und sich dafür indirekt von allen europäischen Steuerzahlern bezahlt haben lassen soll. Von Le Pen senior wechselte er, Bruch hin oder her, als Abgeordneter zur „neuen“ FN unter Marine Le Pen.
„Gesamte Anstellungspolitik“ wird geprüft
Le Pens antisemitische und rassistische Äußerungen hatten 2015 zum öffentlich vollzogenen Bruch mit seiner Tochter Marine geführt, die inzwischen auch an der Spitze der europäischen Rechtsfraktion ENF steht. Zuletzt absolvierte sie in dieser Funktion in Österreich gemeinsame Auftritte mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Jean-Marie Le Pen durchkreuzte mit seinen Aussagen Marine Le Pens Pläne, mit der FN in gemäßigte Wählerschichten vorzudringen.
In europapolitischen Positionen ziehen Vater und Tochter Le Pen im EU-Parlament weiter an einem Strang. Die Untersuchungen in der Affäre könnten das erwünschte Bild der Distanzierung von der „alten“ FN zusätzlich stören, von juristischen Konsequenzen ganz zu schweigen. Wie die AFP unter Berufung auf anonyme Quellen aus dem europäischen Parlament berichtete, steht derzeit „die gesamte Anstellungspolitik“ der Partei auf dem Prüfstand.
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