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Blitzkarriere der Quereinsteigerin

Bei den Bürgermeisterstichwahlen in Italien kann die europakritische, linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle, M5S) einen unerwartet großen Erfolg feiern. Nicht nur symbolisch besonders wichtig ist dabei der Sieg von Virginia Raggi in Rom.

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Die Kandidatinnen der vom Starkomiker Beppe Grillo gegründeten Protestgruppierung, Raggi in Rom und Chiara Appendino in Turin, behaupteten sich laut fast endgültigen Wahlergebnissen in Rom und in Turin. Das ist eine schwere Schlappe für den sozialdemokratischen italienischen Regierungschef Matteo Renzi.

Die designierte Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi

Reuters/Remo Casilli

Raggi auf dem Weg zur ersten Pressekonferenz als gewählte Bürgermeisterin

Die M5S-Kandidatin Raggi gewann in einem Erdrutschsieg von 67,5 Prozent vor Roberto Giachetti von der sozialdemokratischen Regierungspartei Partito Democratico (PD), der sich mit rund halb so vielen Stimmen – 32,5 Prozent - begnügen musste. Die Rechtsanwältin Raggi galt bereits im Vorfeld als Favoritin der Bürgermeisterwahl in der italienischen Hauptstadt. Raggi rückt zur ersten Frau auf, die als Bürgermeisterin das Steuer Roms übernimmt.

„Transparenz und Rechtmäßigkeit“

„Mit uns beginnt eine neue Ära“, sagte die 37-jährige Raggi in der Nacht auf Montag. Sie wolle die Institutionen der Hauptstadt zurück zu „Transparenz und Rechtmäßigkeit“ führen. Raggi erwähnte auch, dass sie das erste weibliche Stadtoberhaupt Roms werde - und das „in einer Zeit, in der die Chancengleichheit oft nur ein leeres Versprechen ist“.

Die Juristin Raggi war als Favoritin in die Stichwahl gegen die Regierungspartei PD gegangen. Dass die politisch kaum erfahrene Quereinsteigerin den PD-Kandidaten aber mit rund 67 Prozent geradezu deklassierte, gilt als herber Schlag für Renzi. Raggi war bis vor wenigen Monaten in Rom praktisch unbekannt. Sie versprach im Wahlkampf, den öffentlichen Nahverkehr zu fördern, zusätzliche Busspuren und das kostenlose Fahrradleihsystem wieder einzuführen und sich um den personellen Notstand in der Verwaltung zu kümmern.

„Historisches Ereignis“

„Das ist ein historisches Ergebnis. Dieser Sieg ist ein extrem wichtiges Signal für Italien. Wir sind eine regierungsfähige Partei. Wir werden beweisen, dass wir Rom und Turin regieren können“, so Carla Ruocco, Mitglied des Führungsgremiums von M5S.

Chiara Appendino

picturedesk.com/Filippo Alfero

Die Jungunternehmerin Appendino setzte sich in der Industriestadt Turin durch

Appendino gewinnt in Turin

Als große Überraschung dieser Stichwahlen gilt der Erfolg der 31-jährigen M5S-Kandidatin Appendino in Turin. „Wir haben Geschichte geschrieben“, sagte Appendino nach der Wahl. „Das war keine reine Protestwahl, es ging um Wandel und um Würde.“ Die junge Unternehmerin setzte sich unerwartet mit 56,7 Prozent der Stimmen gegen den scheidenden Bürgermeister Piero Fassino durch, der lediglich 43,3 Prozent der Stimmen erreichte. Der von Premier Renzi unterstützte Fassino war als klarer Favorit in das Bürgermeisterduell gegangen und mit einem Vorsprung von elf Prozent in die Stichwahl gegen Appendino gezogen.

Lega Nord interpretiert Sieg der Konkurrenz

Fassinos Niederlage in Turin gilt als schwere Blamage für Renzi, dessen PD bei den Stichwahlen schlecht abschnitt. „Die Italiener glauben Renzi nicht mehr“, kommentierte der Chef der ausländerfeindlichen Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini, das Wahlergebnis. „Die Mitte-rechts-Wählerschaft hat massenhaft die M5S gewählt. Nach 23 Jahren verliert die Mitte-links-Allianz die Führung in Turin. Wir werden sehen, wie Appendino mit einer stark heterogenen Koalition die Stadt regieren wird“, sagte der sichtlich enttäuschte Fassino, seit Jahren ein Schwergewicht von Renzis PD.

Niederlage für Renzi auch in Triest

Eine schmerzhafte Niederlage musste Renzi auch in Triest verkraften. Der seit 2011 amtierende Mitte-links-Bürgermeister Roberto Cosolini, der auf ein zweites fünfjähriges Mandat gehofft hatte, schaffte es mit 46,8 Prozent der Stimmen lediglich auf Platz zwei. Cosolini unterlag seinem Rivalen aus dem Mitte-rechts-Lager um Ex-Premier Silvio Berlusconi, Roberto Dipiazza, der 52,6 Prozent der Stimmen erhielt. Dipiazza hatte die ehemalige habsburgische Hafenstadt bereits zwischen 2001 und 2011 regiert.

Knappe Siege in Mailand und Bologna

Renzis PD-Kandidaten behaupteten sich zwar in Mailand und in Bologna, allerdings mit einer knappen Mehrheit. PD-Kandidat Giuseppe Sala errang 51,7 Prozent der Stimmen. Der ehemalige Chef der im Oktober zu Ende gegangenen Weltausstellung in der lombardischen Metropole war gegen den Kandidaten aus dem Mitte-rechts-Lager, Stefano Parisi, in die Stichwahl gegangen. Dieser erhielt 48,3 Prozent der Stimmen.

In Bologna schaffte der amtierende Bürgermeister und Renzi-Vertraute Virginio Merola mit 54,6 Prozent die Wiederwahl. Die Mitte-rechts-Kandidatin Lucia Borgonzoni erhielt überraschend 45,4 Prozent der Stimmen. In Neapel kam es zu einem klaren Sieg des amtierenden linken Bürgermeisters Luigi de Magistris, der ohne Renzis Unterstützung mit 67 Prozent wiedergewählt wurde. Renzis PD hatte die Kandidatin Valeria Valente unterstützt, die es beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen nicht einmal in die Stichwahl geschafft hatte.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung war niedrig. Lediglich 50,5 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Stichwahlen. Zum ersten Wahlgang vor zwei Wochen waren 13,5 Millionen Italiener in über 1.300 Gemeinden aufgerufen gewesen.

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