Russische Mannschaft auf dünnem Eis
An den brutalen Ausschreitungen um die Fußball-EM in Frankreich waren neben englischen vor allem russische Hooligans beteiligt. Zwei Tage nach den Schlägereien meldete sich am Dienstag auch die russische Führung zu Wort. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow bezeichnete die Ausschreitungen als „völlig inakzeptabel“.
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„Man kann auch nur an unsere Fans appellieren, nicht auf Provokationen zu reagieren“, sagte er am Dienstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Auch die russischen Sportfunktionäre sollten mäßigend auf die Fans einwirken, forderte er. Peskows Appell war freilich nicht die erste Äußerung der russischen Politik.
Bereits am Montag hatte sich der russische Parlamentsvizepräsident Igor Lebedew auf Twitter zu den Vorfällen geäußert. Von einer Entschuldigung war dort aber nichts zu lesen. Vielmehr verteidigte Lebedew die Ausschreitungen. „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht, Burschen. Weiter so!“, schrieb der Politiker der nationalistischen Liberaldemokraten. Lebedew ist auch Vorstandsmitglied des Russischen Fußballverbandes (RFS).
Keine Kritik in russischen Staatsmedien
Beim Spiel zwischen Russland und England am Sonntag waren russische Hooligans im Stadion von Marseille in Fansektoren der Engländer vorgedrungen und hatten die englischen Anhänger angegriffen. Auch auf den Straßen Marseilles sollen Gruppen gezielt gegen englische Fans vorgegangene sein.

APA/AP/Thanassis Stavrakis
Russische Hooligans griffen auch im Stadion englische Fans an
In den russischen Staatsmedien sei Kritik an den eigenen Fans jedoch weitgehend ausgeblieben, berichtete ORF-Korrespondent Christian Lininger im Ö1-Frühjournal aus Moskau. „Unsere Fans greifen normalerweise nicht als Erste an, sie verteidigen sich“, wurden die Vorfälle etwa im russischen Staatsfernsehen kommentiert.
Auch Regierungssprecher Peskow verurteilte nicht explizit die russischen Fans - und nahm auch die anderen Länder in die Pflicht. An den Krawallen in verschiedenen französischen Städten seien nicht nur Russen, sondern auch andere Nationen beteiligt gewesen, so Peskow. Sehr wohl kritisierte der Regierungssprecher aber Politiker, die das Vorgehen der russischen Fans gutgeheißen hatten - wie eben Lebedew.
Im Wiederholungsfall Ausschluss
Peskows Äußerungen können wohl auch als Zeichen dafür interpretiert werden, wie dünn das Eis ist, auf dem sich die russische Nationalmannschaft bewegt. Nur kurze Zeit nach Peskows Stellungnahme verkündete die UEFA ihr Urteil gegen die russische Nationalmannschaft. So verhängte die Disziplinarkommission des Europäischen Fußballverbandes eine Geldstrafe von 150.000 Euro. Weitaus schwerer wiegt aber die zur Bewährung ausgesetzte Disqualifikation. Im Wiederholungsfall würde die Mannschaft sofort vom Turnier ausgeschlossen werden.
Für die russischen Hooligans ist möglicherweise genau dies das Ziel. „Das ist ja gerade die Motivation der Hooligans. Das wäre der allergrößte Erfolg für die Hooligangruppen, wenn die so was hinkriegen würden“, so Professor Harald Lange, Leiter des Instituts für Fankultur im deutschen Würzburg, am Montag.
Sportminister: Akzeptieren Entscheidung
Für die Regierung in Moskau ist der Ausschluss vom Turnier dagegen natürlich alles andere als wünschenswert. Entsprechend einsichtig äußerte sich nach Urteilsverkündigung auch Russlands Sportminister Witali Mutko. „Wir warten auf die offizielle Mitteilung und werden die Entscheidung akzeptieren“, so Mutko. Zudem habe Moskau Verständnis dafür, dass EM-Gastgeber Frankreich Problemfans abschiebe. „Sie werden deportiert, weil sie nicht gekommen sind, um Fußball zu sehen“, sagte der Minister.
Russlands Nationaltrainer Leonid Sluzki wandte sich direkt an die russischen Fans, fortan jegliche Gewalt bei der EM zu unterlassen. „Wir brauchen euren Rückhalt. Bitte konzentriert euch aber auf die legale Unterstützung. Wir müssen unbedingt jede Gefahr vermeiden, vom Turnier ausgeschlossen zu werden“, sagte Sluzki am Dienstag in Lille.
Festnahmen und Ausweisungen
Die französischen Sicherheitsbehörden gingen unterdessen verstärkt gegen russische Fußballanhänger vor. In Nizza und Marseille wurden bis zum frühen Dienstagnachmittag sechs russische Fußballfans verhaftet. Ihnen droht nun die Ausweisung aus Frankreich. Dutzende weitere weigerten sich zunächst, ihre Personalien anzugeben. Zwei Mitarbeiterinnen des russischen Ministeriums für Jugend und Sport wurden zudem von der Polizei verhört.
In Cannes stoppte die Polizei einen Autobus mit 29 russischen Fußballanhänger. Auch ihnen droht laut Behörden die Abschiebung. Bereits zuvor waren zwei Russen des Landes verwiesen worden. Die Mehrheit der etwa 150 russischen Hooligans, die an den Ausschreitungen beteiligt waren, wird allerdings weiterhin in Frankreich vermutet. Noch am Montag hatte der Staatsanwalt von Marseille gesagt, dass die Polizei keinen der an den Ausschreitungen beteiligten Russen festgenommen habe.
Fünf Monate Haft für Österreicher
Unter den am Wochenende festgenommenen gewalttätigen Fans ist hingegen ein Österreicher. Er wurde am Dienstag zu fünf Monaten Haft verurteilt, wie Thomas Schnöll, Sprecher des Außenministeriums, bestätigte. Nicht bekannt war laut Schnöll zunächst, ob es sich um eine bedingte oder eine unbedingte Haftstrafe handelt. Nicht zuletzt deshalb waren auch die rechtlichen Konsequenzen unklar.
Der 37-jährige Niederösterreicher war am Wochenende unter dem Verdacht festgenommen worden, Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben, wobei eine erhebliche Menge Alkohol im Spiel gewesen sein dürfte. Bei ihm handelt es sich offenbar um einen Rapid-Anhänger. Das zeigt auch eine Tätowierung auf seiner Brust. Informationen der APA zufolge zählt er allerdings nicht zur Führungsriege der organisierten Rapid-Fanclubs.
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