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Ältere und Geringqualifizierte gefährdet

Die Langzeitarbeitslosigkeit bleibt trotz einer sich erholenden Wirtschaft eines der Kernprobleme auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Das stellt eine am Freitag veröffentlichte Studie der deutschen Bertelsmann Stiftung fest. 2015 war knapp die Hälfte der über zehn Millionen Jobsuchenden in der EU länger als ein Jahr arbeitslos. Es trifft besonders Ältere und Geringqualifizierte.

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Im vergangenen Jahr betrug der Anteil der Langzeitarbeitslosen EU-weit 4,3 Prozent. Damit war der Wert fast doppelt so hoch wie vor Ausbruch der Krise 2008. Österreich bewegt sich mit einer Langzeitarbeitslosenrate von 1,6 Prozent am unteren Ende der Skala. Nicht inkludiert sind die „verdeckten Arbeitslosen“. Gerade Länder mit einer geringen Quote haben einen relativ hohen Anteil an Nichterwerbspersonen aufgrund von Erwerbsminderung und Frühpension. Das trifft auch auf Österreich zu.

Sorgenkind Südeuropa

Besonders hartnäckig hält sich das Problem weiterhin in Südeuropa. Den höchsten Anteil an der Erwerbsbevölkerung hatten Langzeitarbeitslose 2015 in Griechenland (17,7 Prozent) gefolgt von Spanien (10,8 Prozent). In den beiden Ländern hat sich die Langzeitarbeitslosenquote im Verlauf der Krise etwa verfünffacht. Hohe Zahlen gibt es auch in Kroatien (10,4 Prozent), Portugal (6,9 Prozent), Zypern (6,6 Prozent) und Italien (6,2 Prozent).

Grafik zur Langzeitarbeitslosenquote

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Bertelsmann Stiftung

Probleme auch in Deutschland

Auch im wirtschaftlich starken Deutschland ist Langzeitarbeitslosigkeit weiter ein Problem. Die Rate sank zwar von 3,7 Prozent im Krisenjahr 2008 auf 1,9 Prozent 2015, doch mehr als 43 Prozent aller Erwerbslosen in Deutschland suchen schon länger als ein Jahr nach einer neuen Stelle. Knapp ein Drittel ist sogar mehr als zwei Jahre arbeitslos. Je länger die Betroffenen arbeitslos sind, desto schwerer finden sie wieder Eingang auf den Arbeitsmarkt.

„Jobverlust im Alter wird in Deutschland zunehmend zu einer Falle, aus der sich die Betroffenen nicht befreien können“, sagte Aart de Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Für den schwer vermittelbaren „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen in Deutschland fordern die Studienautoren mehr Möglichkeiten der öffentlich geförderten Beschäftigung, um sie am Arbeitsmarkt und somit auch sozial teilhaben zu lassen.

Altbekannte Risikogruppen

Die gleiche Situation zeigt sich im Rest Europas. Für schlecht qualifizierte Personen ist das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 am stärksten gestiegen. Ältere Personen über 55 Jahre haben nur geringe Chancen, aus Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen. EU-weit ist der Anteil der über 55-Jährigen unter den Langzeitarbeitslosen (13 Prozent) deutlich höher als unter den Kurzzeitarbeitslosen (acht Prozent). Besonders hoch ist der Anteil älterer Langzeitarbeitsloser in Finnland (29 Prozent) und Deutschland (26 Prozent).

Dass auch der seit einigen Jahren einsetzende Aufschwung für Langzeitarbeitslosigkeit keine Besserung brachte, liegt nach Einschätzung der Autoren auch am generellen Wandel in der Arbeitswelt: Manche Branchen, etwa in Industrie und Bausektor, traf die Krise mit besonderer Wucht. Den dort Gekündigten falle es mit ihren spezifischen Berufsprofilen oft schwer, in wachsende Felder, etwa den Gesundheitssektor, zu wechseln. Ein Trend zur Höherqualifikation erschwere die Lage.

Unterstützung abgenommen

Zusätzlich lasse sich sagen, dass die Unterstützung für Arbeitssuchende in vielen Ländern seit 2008 weiter abgenommen hat, so die Studienautoren. Dazu heißt es in der Studie „Long-term Unemployment in the EU: Trends and Policies“: „Wo Aktivierung zur Erwerbsarbeit zunehmend zur sozialpolitischen Norm wird, müssen dem Fordern auch entsprechende Angebote des Förderns gegenüberstehen.“

Die Erwerbsorientierung der arbeitslosen Bevölkerung in der EU habe sich in den letzten Jahren hingegen erhöht, heißt es in der Bertelsmann-Studie. In 23 von 28 EU-Ländern ist der Anteil der inaktiven Personen ohne Erwerbswunsch zwischen 2008 und 2014 zurückgegangen, insbesondere unter Frauen und Älteren.

Gruppe Langzeitarbeitsloser „heterogen“

Der deutsche Forscher Torsten Lietzmann, Experte vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg, bestätigt in weiten Teilen das Ergebnis der Bertelsmann-Studie. Nach seinen Informationen passt es bei rund der Hälfte der Langzeitarbeitslosen nicht bei der Qualifikation, bei der anderen Hälfte spielen das Alter und gesundheitliche Probleme eine Rolle.

„Ein weiteres Problem ist aber auch, dass die Gruppe der Langzeitarbeitslosen sehr heterogen ist. Die Arbeitsvermittler müssen schon sehr genau hinschauen, um für die sehr unterschiedlichen Fälle Lösungen anbieten zu können“, sagte Lietzmann. „Wer aber nur etwas länger als ein Jahr auf der Suche ist, ist natürlich noch viel näher dran am Arbeitsmarkt als jemand, der bereits seit vier Jahren ohne Job ist.“

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