Drei Prozent der Kinder schwer depressiv
Antidepressiva für Kinder und Jugendlich bringen „wahrscheinlich keinen klaren Vorteil“. Zu diesem Schluss kommt eine gro angelegte Metastudie, die Andrea Cipriani (Universität Oxford) und Koautoren in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht haben. Die meisten Antidepressiva seien für die Behandlung schwerer Depressionen in diesem Alter wirkungslos, teilweise sogar bedenklich bis gefährlich.
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Die Verwendung von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen ist seit Jahren in der Psychiatrie sehr umstritten. Es gab Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten von suizidalen Gedanken und Suizidversuchen während der Therapie. Auch weil aussagekräftige Untersuchungen rar sind, versuchten die Wissenschaftler, ein breiteres Bild der Situation durch die Re-Analyse bereits vorhandener 34 Studien zu diesem Thema zu erhalten. 5.260 Probanden im Alter zwischen neun und 18 Jahren werden darin abgebildet.
Erhöhtes Risiko für Suizidversuche
Die Ergebnisse sind eher negativ. Am ehesten wurde noch der selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) Fluoxetin mit einem positiven Effekt in Verbindung gebracht. Eine ähnliche Substanz (Venlafaxin) zeigte laut der Analyse ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken und Suizidversuche bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich mit Placebos und fünf anderen verglichenen Antidepressiva. Am schlechtesten vertragen wurden die Wirkstoffe Imipramin, Venlafaxin und Duloxetin.
Die Abwägung der Risiken und Vorteile der Antidepressiva in der Behandlung von schweren Depressionen bei Kindern und Teenagern zeige, dass sie keinen klaren Vorteil bieten, so Koautor Peng Xie von der Chongqing-Universität (China) in einer Presseaussendung der medizinischen Fachzeitschrift. Einzige Ausnahme sei „wahrscheinlich“ Fluoxetin. „Wir empfehlen, dass Kinder und Jugendliche, die Antidepressiva erhalten, engmaschig beobachtet werden. Das sollte unabhängig von dem verwendeten Medikament und speziell am Beginn der Behandlung so sein.“
Kein Massen-, aber ernstzunehmendes Phänomen
An schweren Depressionen leiden rund drei Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren sowie etwa sechs Prozent der Teenager im Alter zwischen 13 und 18 Jahren. An sich wird primär eine psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Allerdings hat in den vergangenen Jahren der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die Antidepressiva verschrieben bekommen, offenbar zugenommen. In den USA stieg der Prozentsatz zwischen 2005 und 2012 zum Beispiel von 1,3 auf 1,6 Prozent, in Großbritannien von 0,7 auf 1,1 Prozent.
Wirkstoffe in Österreich nicht empfohlen
Auch in Österreich werden zumindest Teenagern Antidepressiva verschrieben - konkrete Zahlen liegen nicht vor. Viele der in der Studie erwähnten Wirkstoffe werden hierzulande allerdings laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen nicht für die Gabe an Minderjährige empfohlen. Ausdrücklich abgeraten aufgrund von „Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Wirksamkeit“ wird beispielsweise von Duloxetin. Fluoxetin hingegen, das in der Studie positiv erwähnt wird, wird ab einem Alter von acht Jahren unter Hinweis auf Überwachungssorgfalt und ausschließlich bei schweren Depressionen als zulässig erachtet.
Die Wissenschaftler kritisieren in ihrer Metaanalyse auch die Qualität der vorhandenen wissenschaftlichen Studien. Fast 30 Prozent der wissenschaftlichen Untersuchungen wurden als mit einem hohen Risiko für Einseitigkeit behaftet klassifiziert. Oft seien Studienergebnisse nur selektiv publiziert worden - und schließlich seien suizidale Handlungen der Probanden oft nicht ausreichend dokumentiert worden.
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