Unter psychisch kranken Erwachsenen
1.400 Kinder und Jugendliche sind in Österreich im Jahr 2015 in der Psychiatrie untergebracht worden, weil sie sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden haben - etwa gedroht haben, sich selbst oder andere zu verletzen. Rund ein Viertel erhielten laut Vertretungsnetz Patientenanwaltschaft keinen Platz in kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen und landeten in der Erwachsenenpsychiatrie.
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Um die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in Österreich zu bewerten, lohnt ein Blick ins Ausland. „In Deutschland gibt es einen Facharzt für 80.000 Einwohner. Davon sind wir in Österreich meilenweit entfernt“, sagte Charlotte Hartl, Obfrau der Bundesfachgruppe Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ärztekammer, im Ö1-Morgenjournal - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Meilenweit entfernt ist man aber nicht nur vom internationalen Standard, sondern auch von den selbst gesetzten Zielen. Denn die im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) formulierten Vorgaben, wonach es knapp ein Bett in der Kinder- und Jugendpsychiatrie pro 10.000 Einwohner geben sollte, erreicht nur Vorarlberg. Im Schnitt gibt es die Hälfte, in einzelnen Bundesländern wie Tirol und der Steiermark noch weniger.
Dramatische Folgen
In Wien etwa sollten laut ÖSG in der Kinder- und Jugendpsychiatrie 128 bis 208 Betten zur Verfügung stehen, aktuell gibt es 56 Unterbringungs- und 20 Tagesklinikplätze. Eine Folge davon: 2015 mussten 191 Kinder und Jugendliche auf Erwachsenenstationen aufgenommen werden. Die jüngsten waren zwölf und 13 Jahre alt. Eines davon war ein 14-jähriges Mädchen, das in der Erwachsenenpsychiatrie des SMZ Ost in Wien untergebracht wurde.
„Ein Horror“ sei das gewesen, beschrieb seine Mutter die Situation. Das eigene Kind tagelang mit Beruhigungsmitteln sediert unter psychisch kranken Erwachsenen zu sehen sei für eine Mutter kaum erträglich, schilderte sie in der Ö1-Sendung „Dimensionen-Magazin Spezial" - mehr dazu in oe1.ORF.at“.
Am untersten Ende der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung liegt das Burgenland, wo es kein einziges Krankenhausbett gibt. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen heißt das, dass sie in die Steiermark oder nach Niederösterreich ausweichen müssen, wenn eine Behandlung in einem Krankenhaus nötig ist.
Lange Wartelisten
Aber auch abseits der fixen Betten in Krankenhäusern brauchte es ein dichteres Versorgungsnetz. „Wir haben in den letzten Jahren versucht, nicht nur im vollstationären Bereich einen Schwerpunkt zu setzen, sondern auch in der Tagesklinik, wo die jungen Patientinnen und Patienten näher an ihrem gewohnten Leben mit Schule oder Lehre dranbleiben können“, so Kinder- und Jugendpsychiaterin Charlotte Hartl.
In diesem Bereich heißt es allerdings ebenso wie bei einem Wunsch nach einer stationären Aufnahme „Bitte warten“ - und das oft mehrere Monate. „Wir haben derzeit 25 Kinder für die Kinderstation auf der Warteliste, auf der Station mit dem Schwerpunkt Essstörungen warten 15 junge Patientinnen und Patienten auf einen Platz, und auf der Jugendlichenstation noch einmal 25“, sagte die Primaria der Innsbrucker Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kathrin Sevecke. Mit 22 Plätzen ist die Innsbrucker Spezialabteilung viel zu klein. Hinzu kommt, dass es keinen einzigen Notfallplatz gibt, weshalb in Tirol alle Kinder und Jugendlichen im Notfall auf der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden. Deswegen ist laut Ö1-„Dimensionen-Magazin Spezial“ ein Neubau geplant.
Und auch bei der Versorgung mit Ordinationen gebe es Lücken, wie aktuelle Zahlen der Ärztekammer zeigen: So gibt es im Burgenland und in der Steiermark keine einzige kinder- und jugendpsychiatrische Ordination, die auf Kosten der Gebietskrankenkasse aufgesucht werden kann.
Zu wenig, zu spät
1968 wurde in Deutschland die Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychiater als eigenes Fach anerkannt, in Österreich erfolgte diese Anerkennung 2007. „Man kann diese Versäumnisse nicht von heute auf morgen ausgleichen“, sagte die Kinder- und Jugendpsychiaterin Charlotte Hartl. Derzeit sehe sie viel Bemühen, die Versorgung zu verbessern, aber es brauche eben seine Zeit, vor allem bis genügend Fachärztinnen und Fachärzte ausgebildet sind.
2015 wurde die Ärzteausbildungsordnung reformiert, damit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nun ein Oberarzt vier Nachwuchsärztinnen und -ärzte ausbilden darf und das Verhältnis nicht mehr 1:1 lauten muss, wie das zuvor der Fall war. Dennoch dürfte die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen auch in den nächsten Jahren noch durch das Stopfen von Lücken gekennzeichnet sein. Ausbaden müssen die Situation jene Kinder und Jugendlichen, die keine adäquate Versorgung bekommen - und ihre Eltern, die dabei hilflos zusehen müssen.
Elke Ziegler und Marlene Nowotny, Ö1
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