Pro SMS Dutzende Meter im „Blindflug“
Schon vor zwei Jahren hat die Ablenkung durch das Handy in Österreich die Alkoholisierung als Hauptursache für tödliche Verkehrsunfälle abgelöst. Von einer Trendumkehr hin zur vernünftigen und bewussten Nutzung von Smartphones durch Verkehrsteilnehmer ist keine Spur, im Gegenteil - die Zahl der Unfälle steigt und steigt, nicht nur bei Autofahrern.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Trotz klarer gesetzlicher Verbote werden in Österreich täglich rund 900.000 Telefonate und 200.000 SMS aus Autos während der Fahrt verbucht. Dass all das allein mit den erlaubten Freisprecheinrichtungen erledigt wird, darf bezweifelt werden. Vier von zehn Verkehrsunfällen passieren inzwischen, weil Fahrzeuglenker unaufmerksam sind. Der steile Anstieg ist Spiegelbild der Smartphone-Verbreitung.
110 Tote, Tendenz steigend
Allein in dem einen Jahr von 2013 auf 2014 sei die Zahl der durch Ablenkungsunfälle getöteten Verkehrsteilnehmer um 27 Prozent gestiegen, unterstrichen der Versicherungsverband Österreich (VVO) und das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Das bedeutet inzwischen über 13.000 Unfälle mit Personenschaden mit weit über 110 Toten jedes Jahr, Tendenz weiter steigend.
Zum Vergleich: Laut Unfallstatistik 2014 wurden 32 Menschen bei Alkoholunfällen getötet, bei zumindest leicht sinkender Tendenz. Das wird auch auf die steigende gesellschaftliche Akzeptanz der Promillegrenzen zurückgeführt - zum Unterschied von den Gesetzen über Handynutzung am Steuer. Bezieht man in die Statistik die Unfälle ohne Personenschaden mit ein, ist inzwischen jeder dritte Vorfall auf Ablenkung zurückzuführen.
Fußgänger-„Smombies“ als wachsende Gefahr
Das Problem trifft aber nicht nur Autofahrer: Eine Datenauswertung von mehr als 2.500 Fußgängern habe gezeigt, dass 29 Prozent beim Queren von Straßen erkennbar abgelenkt sind. Nicht umsonst dringt das Kunstwort „Smombie“ - ein Verschnitt aus Smartphone und Zombie - für jemanden, der seine Umwelt wegen Handygebrauchs gar nicht mehr wahrnimmt, immer mehr in den allgemeinen Sprachgebrauch vor.
Die Dauer der Ablenkung durch eine SMS nimmt das KFV gerundet mit fünf Sekunden an und rechnet dementsprechend: Bei 50 km/h in der Stadt legt man dadurch 70 Meter „im Blindflug“ zurück, bei 130 km/h auf der Autobahn sogar 180 Meter. Die Gesetze wurden zuletzt verschärft, zeigen jedoch kaum Wirkung. Vielleicht gehen sie aber auch am Ziel vorbei: Eine neue britische Studie besagt, dass die Ablenkung durch Handygebrauch mit Freisprecheinrichtung auch nicht kleiner ist als bei konventionellem Gebrauch.
Kurse an Schulen starten
Auch die Versicherungen suchen nach Rezepten, um die Handyunfälle einzudämmen. Uniqa will jungen Lenkerinnen und Lenkern etwa derzeit einen Tarif schmackhaft machen, der Boni für jeden ohne Handy gefahrenen Kilometer verspricht. Freilich muss man sich dafür eine Telematikbox im Auto installieren lassen, die das eigene Fahrverhalten überwacht und kontrolliert, ob das Handy dabei aktiv war oder nicht.
Das KFV setzt wiederum auf Bewusstseinsbildung. Schon ab diesem Juni sollen in Schulen Ablenkungsworkshops stattfinden. Darin enthalten: Übungen zur Sinneswahrnehmung und Stressbewältigung, Messungen von Reaktionsgeschwindigkeit und Persönlichkeitstests. Ganz allgemein, so das KFV, soll - ebenso wie etwa bei der Onlinesimulation „Ab-gelenkt“ - in Sachen Handy fehlende „Risikokompetenz entwickelt“ werden.
Links: