„Wir entscheiden, wer zu uns kommt“
Die australische Regierung findet nur lobende Worte für ihre Flüchtlingspolitik. Es gebe keine Bootsflüchtlinge mehr, die Regierung werde „sicherstellen, dass das so bleibt“. Vor wenigen Tagen forderte nun Österreichs Außenminister Sebastian Kurz die EU auf, sich im Umgang mit der Flüchtlingskrise „Teile des australischen Modells“ als Vorbild zu nehmen.
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Welche Konsequenzen die australische Flüchtlingspolitik tatsächlich hat, zeigt der aktuelle Dokumentarfilm „Chasing Asylum“ der gebürtigen Australierin und oscargekrönten Filmproduzentin Eva Orner - der Trailer zum Film. Sie liefert mit ihrem Film Bilder aus den Überseelagern in dem pazifischen Inselstaat Nauru und auf der Insel Manus in Papua-Neuguinea, die in der Öffentlichkeit so noch nicht zu sehen waren, verfolgt die Politik doch eine Geheimhaltungsstrategie, erzählt Orner. Auch sie selbst durfte nicht in den Lagern filmen.
Filmmaterial über die dramatischen Zustände in den Lagern mit verdreckten Sanitäranlagen, behelfsmäßigen Zelten und großen Schlafsälen in Container-Bauten bekam sie nur mit Hilfe von Whistleblowern aus den Lagern, die dort mit versteckter Kamera Aufnahmen machten.
„Pazifische Lösung“ gegen Bootsflüchtlinge
Das Konzept Australiens sieht vor, Bootsflüchtlinge schlicht nicht mehr ins Land zu lassen. Die Schutzsuchenden werden entweder in ihre Herkunftsländer gebracht oder in die Überseelager in Nauru oder Papa-Neuguinea im Norden Australiens. Anerkannte Flüchtlinge können auch auf freiwilliger Basis in Drittländer, mit denen Australien Abkommen getroffen hat, wie etwa Kambodscha und die Philippinen, umgesiedelt werden. Diese Länder werden dafür von Australien entlohnt. Vielfach zwingt die australische Marine Flüchtlinge in Booten noch auf dem offenen Meer zur Umkehr.
Konservativer Ziehvater dieser „pazifischen Lösung“ bei der Flüchtlingsfrage war der frühere australische Premier Jon Howard: „Wir entscheiden, wer in unser Land kommt und unter welchen Umständen“, sagte Howard schon im Oktober 2001. Seine Nachfolger setzten diese Politik der Abschottung fort - mit einer kurzen Abkehr zwischen 2007 und 2012.
Fast 2.000 Tote an Australiens Grenze
Nach Australien schaffen es die wenigsten Flüchtlinge. Allen, die keinen Antrag aus dem Ausland stellen, wird Asyl verweigert - was nach Ansicht von Menschenrechtlern teilweise der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht. Als der Film in den vergangenen beiden Jahren gedreht wurde, hielten sich 2.175 Flüchtlinge und Asylwerber in den Lagern auf Nauru und Manus auf. In der Vergangenheit hatten Menschenrechtsorganisationen immer wieder Vergewaltigungen und Selbstmorde in den Lagern angeprangert.
Die Australian Border Deaths Database listet Menschen, die an Australiens Grenze sterben, auf. Von 2000 bis Mai 2016 wurden 1.977 Tote genannt - viele starben in den Internierungslagern durch Selbstmord und an den Folgen von Selbstverbrennung. Andere ertranken oder starben aufgrund von mangelhafter medizinischer Versorgung.
„Ich muss hier meine Träume vergessen“
Die Chancen, dass sich die Situation für die Flüchtlinge verbessert, sind gering. „Ich weiß, dass ich hier eine lange Zeit verbringen muss. Und ich muss hier meine Träume vergessen“, zeigte sich ein Flüchtling vor der Kamera verzweifelt. Viele verbringen mehrere Jahre in den Lagern, im Schnitt 400 bis 500 Tage. In Botschaften in den Lagern ist zu lesen „Tötet uns jetzt“ oder „Willkommen in meinem Sarg“. Selten haben Kinder die Möglichkeit einer schulischen Ausbildung. Spielzeug ist auch nach monatelangem Leben im Lager eine Ausnahme. Krankheiten und Infektionen stehen an der Tagesordnung.
„Es wirkt militarisiert“, erzählt eine Mitarbeiterin. Viele Wächter seien aggressiv und tendenziell rassistisch, so die Aussagen in dem Film. Ein früherer Gefängniswärter, geschult im Umgang mit Kriminellen, ist für das Training des Sicherheitspersonals zuständig. Viele Mitarbeiter in den Internierungslagern haben keine spezielle Ausbildung, wie sie mit traumatisierten Asylwerbern am besten umgehen. „Wir bitten sie, dass sie sich nicht töten“, brachte ein ehemaliger Mitarbeiter von dem Lager in Nauru seine Rolle auf den Punkt.
Zur Rückkehr zwingen
Die Aufgaben hätten sich von der Versorgung der Flüchtlinge zu einer Abschreckungspolitik hin verschoben, erzählt ein anderer Mitarbeiter eines dieser Lager. Der Prozess der Offshore-Internierung führe dazu, den Willen der Flüchtlinge zu brechen und sie zur Rückkehr in ihr Herkunftsland zu bringen.
Kurz brachte in Zusammenhang mit seinem Vorschlag, Australien als Vorbild zu nehmen, eine ähnliche Argumentation: „Wer auf einer Insel wie Lesbos bleiben muss und keine Chance auf Asyl hat, wird eher bereit sein, freiwillig zurückzukehren, als jemand, der schon eine Wohnung in Wien oder Berlin bezogen hat.“ Australien habe es geschafft, „dass keine illegalen Migranten mehr kommen und auch keiner mehr ertrinkt“.
Politiker verweigern Interviews
Seit der restriktiven Politik ist die Zahl der Bootsflüchtlinge in Australien jedenfalls zurückgegangen. Völlig abgeschottet ist Australien mit 23 Millionen Einwohnern dennoch nicht. Pro Jahr nimmt das Land im Schnitt 190.000 Einwanderer auf - meist Fachkräfte und zum Teil Familienzusammenführungen. Rund 14.000 unter ihnen waren im vergangenen Jahr Flüchtlinge. Ankündigungen der Regierung vom Herbst vergangenen Jahres, 12.000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, folgten bisher aber wenig Taten.
In Australien stößt diese Flüchtlingsstrategie in der Politik auf wenig Widerstand. Kein Politiker war bereit, bei Orner vor die Kamera zu treten. Vielmehr wird bei anderen Gelegenheiten der Erfolg der harten Linie betont. Doch Amnesty International zweifelt daran, dass keine Boote mehr kommen. Flüchtlinge versuchten nach wie vor, auf diese Weise Schutz zu finden.
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