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Strafen für unkooperative Länder

Die EU-Kommission will Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten durch eine engere Zusammenarbeit mit einer Reihe der Herkunftsstaaten von Europa fernhalten. Vorbild solle der Flüchtlingspakt mit der Türkei sein, sagte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg.

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Dabei will die EU künftig stärker auf das diplomatische Mittel von Zuckerbrot und Peitsche setzen. Mit noch zu definierenden „positiven und negativen Anreizen“ will die EU Herkunftsländer zu einer besseren Zusammenarbeit bewegen. Unkooperativen Partnern droht die EU darin mit „Konsequenzen“.

„Maßgeschneiderte Pakte“

Ziel sei es, Ordnung in die Migrationsbewegung zu bekommen. Dafür sollten „maßgeschneiderte Pakte“ mit einzelnen Ländern geschaffen werden. Kurzfristig gehe es darum, Menschenleben zu retten. Außerdem solle die Rücksendung von Menschen, die kein Bleiberecht in der EU erhalten, erleichtert werden.

Der Plan sehe positive und negative Anreize vor: Staaten, die beim Flüchtlingsmanagement mit der EU zusammenarbeiten, sollten belohnt werden, andere müssten mit Konsequenzen rechnen. Als Erstes strebt die EU Timmermans zufolge Abkommen mit Jordanien und dem Libanon, Niger, Nigeria, dem Senegal, Mali und Äthiopien an. Auch mit Libyen und Tunesien soll die Zusammenarbeit verstärkt werden.

Mindestens 31 Mrd. Euro mobilisiert

Timmermans kündigte eine Aufstockung der Finanzhilfen für die jeweiligen Drittstaaten an. Für die kommenden fünf Jahre könnten zur Finanzierung acht Milliarden Euro bereitgestellt werden. Außerdem plane die Kommission einen neuen „externen Investitionsplan“. Die Brüsseler Behörde werde dafür 3,1 Mrd. Euro bereitstellen, insgesamt könnten dank privaten Investitionen mindestens 31 Mrd. Euro mobilisiert werden. Wenn alle EU-Staaten mitspielten, sei es durchaus möglich, Investitionen von bis zu 62 Mrd. Euro zu erzielen. „Millionen von Menschen machen sich auf den Weg weltweit, und wir können das nur schaffen, wenn wir global, in voller Partnerschaft handeln“, kommentierte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini den Plan.

Türkei-Deal als „Vorbild“

Auch EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos nannte in einem Interview mit der deutschen „Welt“ den mit der Türkei vereinbarten, aber nach wie vor fragilen Flüchtlingsdeal als Vorbild für diese Zusammenarbeit: „Das wird aber keine bloße Kopie sein. Wir wollen vielmehr maßgeschneiderte Maßnahmen für jedes einzelne Land.“ Inhaltlich nannte er etwa die Rücknahme von Flüchtlingen, den Kampf gegen Menschenschmuggler und Grenzschutz. Nachbarländer von Krisenstaaten sollen ermutigt werden, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Reform der Blue Card vorgeschlagen

Vor dem Parlament schlug Avramopoulos außerdem die Reform der Blue Card für die legale Einwanderung vor. Die Blue Card soll hochqualifizierte Beschäftigte aus Drittstatten nach Europa bringen. Neu ist, dass sie künftig auch Flüchtlinge erhalten könnten. Die Kommission geht davon aus, dass das reformierte Blue-Card-System „positive wirtschaftliche Auswirkungen von 1,4 bis 6,2 Milliarden Euro pro Jahr“ haben könnte, wenn entsprechend mehr Fachkräfte aus Drittstaaten in die EU kommen.

Blue-Card-Inhaber sollen leichter von einem EU-Land zum anderen wechseln und schon zum Arbeitsantritt ihre Familie mitbringen können. Die Mindestschwelle für das nötige Jahreseinkommen soll zudem gesenkt werden. Das reformierte System soll nach dem Willen der Kommission auch nationale Bestimmungen ersetzten. Das solle „mehr Klarheit für Bewerber und Arbeitgeber schaffen und das System sichtbarer und wettbewerbsfähiger machen“, hieß es.

„Grundkonzept stimmt, Umsetzung schwierig“

„Das Grundkonzept stimmt, die Umsetzung ist schwierig“, analysierte der Experte Stefan Lehne von Carnegie Europa im Ö1-Morgenjournal. Vor allem was die finanziellen Mittel betreffe, werde es noch intensive Diskussionen geben. Die Zahlungsbereitschaft selbst innerhalb der EU ist in der Praxis dürftig.

Der Chef der Konservativen und Christdemokraten (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber, erinnerte vor der Debatte am Dienstag im EU-Parlament über die Flüchtlingskrise die EU-Mitgliedsstaaten an Finanzzusagen in diesem Zusammenhang. In den Afrikanothilfefonds sei bisher praktisch nur Geld aus der EU-Kasse geflossen. Dabei hätten die EU-Staaten die Hälfte des Geldes zugesagt, kritisierte Weber.

„Dramatischer Irrglaube“

Der Fonds soll helfen, Fluchtursachen zu bekämpfen und die armutsbedingte Migration nach Europa einzudämmen. Weber: „Leider bekommt man den Eindruck, dass die EU-Staaten immer noch meinen, sich im Schongang durch die Migrationskrise durchlavieren zu können. Das ist ein dramatischer Irrglaube.“ In den EU-Hauptstädten müsse ein Umdenken stattfinden, Vereinbartes müsse „endlich umgesetzt werden“.

Die EU hatte den Afrikafonds auf dem Gipfel mit afrikanischen Staaten im vergangenen November in der maltesischen Hauptstadt Valletta aufgelegt. Weber rechnete vor, auf das EU-Budget entfalle ein Anteil von 1,8 Mrd. Euro. Von den Mitgliedsstaaten - die zusammen noch einmal 1,8 Mrd. Euro aufbringen sollen - sei bis Ende Mai nur ein Bruchteil für den Topf geliefert worden: 81,71 Millionen Euro. Österreich hatte drei Millionen Euro zugesagt.

Sorge um Rechtsstaatlichkeit vieler Länder

Das Prinzip, die Probleme sozusagen an der Wurzel zu packen, wird zwar seitens der Abgeordneten unisono begrüßt, allerdings mit Einschränkungen. Der SPÖ-Abgeordnete Josef Weidenholzer etwa sorgt sich um Fragen der Rechtsstaatlichkeit und sozialer Standards vieler afrikanischer Länder. Daher sei es fraglich, ob die EU mit solchen Staaten kooperieren solle, wenngleich es auch Vorzeigebeispiele wie Ruanda und Angola gebe. Es sei allerdings „an der Zeit, eine ganzheitliche Migrationspolitik“ zu betreiben.

Die grüne Delegationsleiterin im EU-Parlament, Ulrike Lunacek, sprach sich gegen Strafen für Länder aus, die nichts gegen die Migrationsbewegungen tun. „Die EU sollte nicht nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche vorgehen und Kolonialherr spielen“, so die Abgeordnete vor österreichischen Journalisten in Straßburg. Die liberale EU-Abgeordnete Angelika Mlinar ist für „Hilfe vor Ort“, aber gegen Kürzungen von Entwicklungshilfe als Strafmaßnahme. Derzeit würden nur eine Handvoll Länder die Quote für Entwicklungshilfe von 0,7 Prozent des Budgets, meinte Mlinar.

Karas will „Afrika-Masterplan“

Laut Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, brauche die EU einen „Afrika-Masterplan“. Die Fluchtbewegungen seien nicht zu Ende, und die größte Herausforderung sei hier Afrika. „Wir brauchen eine legale Migrationspolitik, legale Zuwanderung. Zur Stunde funktioniert die Migrationspolitik in Europa nicht wirklich“, so Karas.

Vieles von dem, was sich die EU vornehme, werde nicht bzw. nur unzureichend umgesetzt, kritisierte Karas. Als Beispiel nannte er die Beschlüsse des EU-Afrika-Gipfels vom November 2015 in Valletta. Damals wurde ein gemeinsamer Aktionsplan zur Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise verabschiedet und ein Treuhandfonds gegründet. Dieser ist mit 1,8 Mrd. Euro aus dem EU-Budget ausgestattet. Einbezahlt wurden bisher nur 74,19 Mio. Euro. Der Plan, 160.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland umzusiedeln, gelang bisher nicht - es wurden nur 7.920 Plätze seitens der anderen Mitgliedsstaaten bereitgestellt.

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