„Das ist nur die halbe Wahrheit“
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Montag seinen Vorstoß verteidigt, Flüchtlinge bereits im Mittelmeer abzufangen, direkt in ihre Heimatländer zurückzubringen oder sie auf Inseln zu internieren. In Australien, wo dieses Modell praktiziert wird, sei schon seit Jahren niemand auf der Überfahrt ertrunken.
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Im Gegensatz dazu seien allein in den vergangenen Wochen Hunderte Menschen bei der Überfahrt über das Mittelmeer ertrunken, so Kurz in der ZIB2. „Man sollte nicht den Fehler machen zu glauben, dass unser System perfekt ist.“ Er kenne die Kritik, „aber das ist nur die halbe Wahrheit“, sagte der Außenminister zum harschen Umgang Australiens mit Bootsflüchtlingen. Er sage „nicht, dass die Unterbringung in Australien in Ordnung ist“. Europa sollte diesbezüglich „wesentlich besser und menschlicher sein“.
Außenminister Kurz in der ZIB2
Die Rettung aus dem Mittelmeer dürfe kein Freifahrtschein nach Europa sein, so Außenminister Kurz, der in der ZIB2 seine Pläne vom Wochenende verteidigte.
„Die Rettung aus dem Mittelmeer darf kein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten“, bekräftigte Kurz seinen umstrittenen Vorschlag zur sofortigen Rückführung oder Internierung von im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen. Der ÖVP-Politiker warnte davor, dass die Flüchtlingsbewegungen wieder zunehmen werden. „Was im letzten Jahr stattgefunden hat, war nur ein Vorgeschmack“, betonte der Außenminister. Er kritisierte, dass derzeit Schlepper „entscheiden, wer durchkommt, und nicht wir als Staat“.
Mehr Flüchtlinge legal aufnehmen
Nach den Vorstellungen des Außenministers sollen die EU-Staaten ähnlich wie Australien mehr Flüchtlinge über Resettlement-Programme aufnehmen. In Österreich „sind jedenfalls 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr bewältigbar“, betonte Kurz. Im Vorjahr habe man 1.500 Flüchtlinge über Resettlement aufgenommen, während 90.000 Menschen illegal gekommen seien. Resettlement-Programme hätten den Vorteil, dass man sich die Flüchtlinge aussuchen, sie gefahrlos ins Land bringen und auch die Integrationsmaßnahmen vorbereiten könne.
Angesprochen auf die Kritik aus Teilen der SPÖ sagte Kurz, er habe ein „gutes Gespräch“ mit Kanzler Christian Kern (SPÖ) gehabt, mit dem er „in vielen Fragen“ übereinstimme. Kurz betonte, dass er in der Flüchtlingsfrage auch mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) „stark auf einer Linie“ sei. Dieser habe dem NATO-Generalsekretär in der Vorwoche ähnliche Vorschläge in Bezug auf Libyen gemacht, habe aber „nicht australisches Modell dazu gesagt“. Zum Vorhalt, dass er der beste Mann der FPÖ in der Regierung sei, meinte Kurz, in puncto Resettlement und Entwicklungszusammenarbeit „ist meine Position eher mit der Position der Grünen zu vergleichen“.
Experte: „EU würde gegen Recht verstoßen“
Kurz’ Vorschlag ist nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Walter Obwexer europarechtswidrig. „Die EU würde mit dem von Kurz vorgeschlagenen Vorgehen (...) gegen eigenes Recht verstoßen“, sagte Obwexer der „Wiener Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). Zuvor hatte schon die EU-Kommission klargestellt, dass Australien kein Modell für Europa sein könne. Eine Sprecherin verwies auf die Erfordernisse des Völkerrechts und das Prinzip des „non refoulement“ von Flüchtlingen. Auch ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sehe vor, dass man Hilfesuchenden die Möglichkeit geben müsse, Asyl zu beantragen, wenn man in seinen Hoheitsgewässern Boote stoppe.
Mogherini: Vollkommen außerhalb der Realität
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini übte am Dienstag indirekt Kritik am Vorschlag von Kurz. Viele Politiker in Europa würden mehr auf Slogans setzen, anstatt „wahre Antworten“ zu suchen, kritisierte Mogherini in der italienischen Tageszeitung „La Stampa“.
Man müsse Verantwortung übernehmen und den Bürgern die Wahrheit sagen - „und zwar, dass das Migrationsphänomen riesig und kompliziert ist, dass es nicht verschwinden wird, jedoch gemeistert werden kann. Es gibt weltweit 70 Millionen Flüchtlinge, die nicht wie durch ein Wunder plötzlich verschwinden werden. Es ist kurzsichtig, das nicht zu sehen.“ Wer sich in seinen eigenen Grenzen einmauere, sei „vollkommen außerhalb der Realität“, so Mogherini.
Die EU-Außenbeauftragte lobte die Bemühungen der libyschen Regierung zur Übernahme der Kontrolle im Krisenland. „Es ist wichtig, dass die Libyer ihre Küste kontrollieren und im Kampf gegen Schlepper ihren Beitrag leisten. Doch das genügt nicht“, meinte Mogherini. Der Schlüssel sei, die Flüchtlingsströme aus dem Süden zu kontrollieren. „Die Grenze Nigerias ist der Schlüssel für uns Europäer und für die Afrikaner“, sagte Mogherini.
Merkel: Konkrete Vorschläge nicht bekannt
Zurückhaltender fiel die Reaktion aus Deutschland aus. Berlin habe die Medienberichte „zur Kenntnis genommen“. Aber: „Konkrete Vorschläge Österreichs zur Beratung in den europäischen Gremien sind uns noch nicht bekannt“, sagte der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Das ist eine europäische Diskussion, die zu führen ist im Rahmen der ohnehin anstehenden und wichtigen Diskussion über eine Neufassung des europäischen Asylrechts.“
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