„Kultur des Femminicidio“
Mit einem roten Tuch, weithin sichtbar aus einem Fenster ihres Büros im italienischen Parlament gehängt, unterstützt die Präsidentin der Abgeordnetenkammer Laura Boldrini eine landesweite Protestaktion gegen Gewalt gegen Frauen. Ausgelöst wurde diese durch den Mord an der jungen Römerin Sara di Pietrantonio, der seit Tagen die Schlagzeilen in Italiens Medien beherrscht.
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Die verkohlte Leiche der 22-Jährigen wurde am vergangenem Sonntag unweit ihres ebenfalls ausgebrannten Autos gefunden. Wie sich später herausstellte, wurde sie Opfer ihres eifersüchtigen Ex-Freundes, der ihr auflauerte, sie von der Straße drängte, misshandelte, mit Benzin übergoss und dann bei lebendigem Leib verbrennen ließ.
Jüngsten Ermittlungserkenntnissen zufolge wurde Di Pietrantonio bereits zuvor von ihrem 27-jährigen Ex-Freund geradezu verfolgt, wie etwa die Tageszeitung „Corriere della Sera“ am Freitag mit Verweis auf zahllose E-Mails und SMS-Nachrichten berichtete.
Kein Einzelfall
Die Öffentlichkeit reagierte auf die Ereignisse im Süden der italienischen Hauptstadt geschockt - deutlich wird mit Blick auf die seitdem neu aufgeflammte Debatte über die in Italien als Femminicidio (Feminizid) bezeichnete tödliche Gewalt gegen Frauen, dass es sich hier keinesfalls um einen Einzelfall handelt.
Vielmehr wurden allein in diesem Jahr bereits 55 und zwischen 2010 und 2014 819 Frauen zum größten Teil von ihren Ehemännern, Lebensgefährten und ehemaligen Partnern ermordet, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) mit Verweis auf Zahlen des Sozial- und Wirtschaftsforschungsinstitutes EURES berichtet.
Rot als Symbol für das Blut der Ermordeten
Die Ermordung der 22-Jährigen sei demnach nur ein weiterer Fall einer schrecklichen Serie, so das ernüchternde Urteil in einem via Facebook, Twitter und Whatsapp verbreiteten Appell, mit dem nun „der Kultur des Femminicidio“ der Kampf angesagt wurde.
"Con l'ennesimo orribile delitto che si è consumato ai danni della 22enne Sara Di Pietrantonio io e altre donne, in numero crescente, abbiamo deciso di intraprendere una serie di azioni martellanti volte ad estirpare la cultura del femmincidio ormai diventato ennesimo motivo di imbarazzo del nostro Paese.
Stiamo organizzando una prima protesta molto semplice: il 2 giugno, 70esima ricorrenza del voto alle donne italiane, esponete alle vostre finestre un abito, un lenzuolo, una bandiera, qualsiasi cosa di colore rosso. Simboleggia il sangue versato dalle donne uccise dai loro uomini, o ex uomini, o corteggiatori rifiutati.
Sarà solo il primo passo. Partecipate e non abbiate paura di passare per delle rompiscatole, come cercherà di farvi credere un certo tipo di persone (uomini e donne) da tenere alla larga perché non vogliono il vostro bene."
— ilruggitodelconiglioradio2 am 31.05.2016
Als erste Protestaktion wurden die Italiener dazu aufgerufen, mit roten Tüchern und Kleidungsstücken ein Zeichen des Protests zu setzen. Seit Donnerstag beteiligen sich immer mehr an dem stillen Protest, der mit der Farbe Rot an das Blut der ermordeten Frauen erinnern soll. Symbolträchtig ist aber nicht nur die gewählte Farbe der Protestaktion - gestartet wurde diese am Donnerstag und dem 70. Jahrestag der Einführung des vollen Frauenwahlrechts in Italien.
„Stummer Schrei“
Bereits dieses sei eine von „unnötigem Warten“ und einem Kampf begleitete große Errungenschaft gewesen - nun gelte es eine weitere Schlacht zu schlagen, wie die Tageszeitung „La Repubblica“ in diesem Zusammenhang schrieb. Als „roter Faden“ in den Fenstern, auf Balkonen, Geländern und Bäumen der italienischen Städte sichtbar, sei der nun gestartete Protest ein immer lauter werdender und in Sozialen Netzwerken wie Twitter etwa unter #saranonsara dokumentierter „stummer Schrei“.
Ob dieser nun auch von den politisch Verantwortlichen gehört wird, bleibt allerdings offen. Vom italienischen Ableger des Onlineportals Huffington Post wird etwa daran erinnert, dass der Begriff Femminicidio immer wieder mit großen Vorsätzen durch Italiens Institutionen geisterte - abgesehen von einigen wenigen Notfallverordnungen aber wenig passierte.
Nötig seien umfangreiche gesellschaftspolitische Reformen, wie etwa der „Corriere della Sera“ bereits wenige Wochen vor der Ermordung von Di Pietrantonio im Zusammenhang einer römischen Protestveranstaltung unter dem Titel „Stopp der Gewalt gegen Frauen“ berichtete.
Peter Prantner, ORF.at
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