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„Jeder muss sich Zöpfe schneiden lassen“

Die SPÖ-ÖVP-Koalition, die sich nach dem Kanzlerwechsel von Werner Faymann zu Christian Kern einen Neustart vorgenommen hat, will rasch erste Pflöcke einschlagen. Vor allem die schlechte wirtschaftliche Stimmung soll verbessert werden. Die budgetären Möglichkeiten sind eng begrenzt - warnte der Fiskalrat doch erst am Freitag, dass Österreich heuer die EU-Budgetregeln reißen dürfte. Wie es dennoch gehen könnte, skizziert WIFO-Chef Karl Aiginger, der auch in einer von Kern einberufenen Reformkommission sitzt.

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„Es gibt sehr viele Einsparungsmöglichkeiten, um Spielraum zu gewinnen“, betont Aiginger im Gespräch mit ORF.at. Zuerst müsse aber in die Köpfe der Koalitionsparteien, „dass sich jeder seine Zöpfe schneiden lassen muss, weil sonst beide schlechter dran sind“. Auch wenn er die Stimmung in der neu aufgestellten Regierung recht positiv sieht, dämpft er zu hohe Erwartungen: Vor dem Sommer seien keine großen Sprünge mehr zu erwarten.

„Optisch wichtige Startprojekte“

In einer ersten Phase plädiert er für kleine, schnell realisierbare „Startprojekte“: „Es ist optisch wichtig, dass die Arbeitslosenrate, die anders als in vielen anderen EU-Ländern steigt, noch heuer zurückgeht, denn sonst kommt keine Wendestimmung auf“, so der Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Im Wesentlichen bedeute das, bereits eingeleitete Maßnahmen besser zu vermarkten, teils den Umfang auszuweiten und vor allem zu zeigen, dass diese langfristig in die richtige Richtung gehen.

Vorzieheffekte generieren

Als konkrete Beispiele nennt Aiginger die substanzielle Erhöhung (Verdoppelung, Verdreifachung) der Grenze für sogenannte geringwertige Wirtschaftsgüter, die im ersten Jahre komplett gewinnmindernd abgeschrieben werden kann - und zwar dann, wenn sie zum Energiesparen oder dem Umweltschutz dient (derzeit liegt die Obergrenze für solche Anschaffungen bei 400 Euro, Anm.).

Weiters führt er den Haushaltsbonus und die heuer gestutzte Sanierungsinitiative an - hier plädiert der Experte für eine Aufstockung. Diese Maßnahmen würden sofort wirken und verstärkt genutzt, wenn man klarmache, dass diese Förderungstöpfe heuer besonders hoch dotiert seien.

Wifo-Chef Karl Aiginger

APA/Georg Hochmuth

Deals über mehrere Themenbereiche, wie sie die Regierung nun anpeilt, gab es laut Aiginger in der jüngeren Vergangenheit nicht

Bürokratie: Betroffene sollen Tipps geben

Der zweite wichtige Punkt: „Die Regierung muss zeigen, dass sie mit der Entbürokratisierung ernst macht.“ Man solle den verschiedenen Branchen, etwa der Gastronomie, die Möglichkeit geben, hier selbst Vorschläge zu machen. Darunter wären sicher sinnvolle Ideen.

Bei den bürokratischen Vorschriften gebe es jedenfalls teils „verrückte Sachen“. Vor allem müsse die Gewerbeordnung endlich entrümpelt werden. Es müsse möglich werden, derzeit strikt getrennte Gewerbe zusammen ausüben zu können, etwa als Wirt auch eine Trafik zu führen. Das könne vor allem kleineren Gemeinden auf dem Land helfen, zumindest eine minimale Infrastruktur zu erhalten.

Um in einem überregulierten System etwas zu ändern, müsse man Deals machen, nimmt Aiginger die Ansage von Kanzler Kern, mehrere Forderungen zugleich zu verhandeln und einen Abtausch zu machen, wörtlich auf. Derzeit ist es umgekehrt: Arbeitnehmer würden bei Arbeitszeitregelungen „nicht runtersteigen wollen“, und Wirtschaftstreibende würden bei einer Liberalisierung der Gewerbeordnung blockieren.

Flexibler arbeiten und selber bestimmen

Apropos Deal zwischen den verschiedenen Interessenvertretern, hier nennt Aiginger gleich ein weiteres Beispiel: Die Wirtschaft fordere seit Langem eine Arbeitszeitflexibilisierung, um etwa Arbeit zeitweise zwölf Stunden am Tag oder auch am Wochenende zu ermöglichen. Arbeitnehmer wiederum wünschten sich eine stärkere Wahlmöglichkeit bei der Arbeitszeit, also das Recht, weniger oder mehr zu arbeiten. Hier stehe aber die Unternehmerseite auf der Bremse - wie zuletzt auch beim (nicht gewährten) Kündigungsschutz während des „Papamonats“. Beide Seiten könnten hier aber etwas gewinnen, so Aiginger: „Da müsste doch ein Deal möglich sein.“

Für große „Entflechtung“

Nach diesem Modell schlägt der WIFO-Chef auch eine große „Entflechtung“ zwischen Bund und Ländern bei Gesundheit und Bildung vor: Beide Bereiche bräuchten Reformen, die seien an dem Kompetenzwirrwarr bisher aber immer gescheitert. Aiginger plädiert daher dafür, in einem der beiden Bereiche die primäre Steuerung ganz den Ländern zu geben und im anderen ganz dem Bund.

Denn: „Wenn es heißt, nun wird die Gesundheitsreform allein gemacht, dann sagen die Länder natürlich: ‚Da lassen wir uns nichts wegnehmen‘.“ Das Gleiche gelte für den Bildungsbereich. Ein interessanter Vorschlag Aigingers am Rande: Schulen sollten für Nichtlehrer geöffnet werden, sodass auch andere Personen etwa Flüchtlingen beim Lernen (der Sprache) oder bei der Nachmittagsbetreuung helfen können.

Im Bildungsbereich sieht Aiginger auch die Chance auf einen Deal „Gesamtschule für Studiengebühren“. Beides sind ideologisch höchst kontroversielle Themen in der Koalition, bei denen es bisher lediglich Grabenkämpfe, aber keine echte Bewegung gab. Eine Einigung könnte konkret eine Gesamtschule bringen - aber mit starker Leistungsdifferenzierung, um der ÖVP entgegenzukommen. Auf der anderen Seite könnten die Studiengebühren sozial gestaffelt werden, um diese für die SPÖ akzeptabel zu machen.

Chance E-Mobilität

In den letzten Jahren habe Österreich seine „Frontstrategie“ in Sachen Forschung verlassen und falle jährlich zurück. So sei man einst Vorreiter in Sachen Umwelttechnik gewesen - weil aber hierzulande fossile Energieträger weiter mit vier Milliarden Euro jährlich subventioniert werden, kämen neue Energien nur schwer zum Zug.

Doch gerade in der Autozulieferindustrie - eine der Aiginger zufolge „besten Sparten der heimischen Wirtschaft“ - steht das Thema E-Mobilität an. Dazu habe Österreich europaweit die zweithöchste Pro-Kopf-Zahl an E-Patenten. Wird hier das Land Vorreiter, dann könne man durch Technologieexport auch Jobs gewinnen, so Aiginger.

In diesem Zusammenhang plädiert der WIFO-Chef auch für einen Deal in Sachen Energie- und Lohnsteuer: Nur eine höhere Energiesteuer anzudenken sei nicht durchsetzbar - Wirtschaft wie Konsumentenvertreter würden dagegen Sturm laufen. Daher sollten gleichzeitig die Sozialabgaben substanziell gesenkt werden - auch für Arbeitnehmer, wie Aiginger ausdrücklich betont. Wenn man auf diese Weise fossile Energie verteuere, das aber mit einer niedrigeren Lohnsteuer und dem Aufholen bei der Forschung (von höherer Energiesteuer besonders betroffenen Unternehmen könnte eine Forschungsprämie angeboten werden, so Aiginger, Anm.) verbinde - „dann müssten eigentlich alle dafür sein“.

Sparen, Sparen und Zukunft

Aiginger warnt davor, die Staatsschuld zu erhöhen, man müsse im Falle einer neuerlichen Krise handlungsfähig sein. Eine Ausnahme kann er sich im Wesentlichen nur für Forschung und Bildung vorstellen - und auch nur dann, wenn es den „Zukunftsspielraum“ erheblich und nachweislich erhöht.

Er zeigt sich vielmehr überzeugt davon, dass es genügend Einsparungspotenzial gibt. Bisher sei immer „aufgedoppelt“ worden, wenn neue Aufgaben dazugekommen seien, etwa beim Heeresbudget wegen der Terrorismusgefahr. Die Heeresspitäler seien aber noch immer nicht geschlossen, leerstehende Kasernen noch immer nicht verkauft.

Neue Taktik

Auch die Beamtengewerkschaft müsse sich entscheiden: entweder Gehaltserhöhungen oder mehr öffentlich Bedienstete. Beides - wie in den letzten Jahren teils über Sachbudgets - könne es nicht spielen. Aiginger fordert außerdem eine Leerstandserhebung aller Gebäude und Gründe im Besitz der öffentlichen Hand sowie eine Abgabe oder den Zwang zu verkaufen. Dass öffentliche Gebäude vor Flüchtlingen versperrt werden, „sowas darf nicht passieren“. Aigingers Sicht der Dinge könnte man - fußballtheoretisch - so zusammenfassen: Spielraum gibt es - aber nur, wenn die Koalition diesen durch eine neue Art des Zusammenspiels für sich öffnet.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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