„Eines der größten Umweltschutzprojekte“
Die Schweizer jubeln angesichts der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels mit gutem Grund. Er wird zum wichtigsten Bindeglied der Verkehrsachse zwischen Nordsee und Mittelmeer. Kein Wunder also, wenn von „historischen Dimensionen“ die Rede ist und vom „Stolz einer ganzen Nation“. Am 1. Juni wurde die 57 Kilometer lange Strecke zwischen Erstfeld im Kanton Uri und Bodio im Tessin offiziell eröffnet.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Das Schweizer Jahrhundertbauwerk, das sieben Kilometer länger ist als der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, soll erst der Anfang sein: Das gesamte Alpentransit-Projekt - mit weiteren Röhren durch den Lötschberg und dem Ceneri-Basistunnel zwischen Bellinzona und Lugano (Inbetriebnahme Ende 2020) sowie für die Gleisanlagen dazwischen - soll 23 Milliarden Franken (21 Mrd. Euro) kosten. Die Schweizer Bevölkerung sieht es als „ihr“ Projekt und hat sich mit über 63 Prozent per Referendum dafür ausgesprochen.
„Bürgerzug“ hat Vortritt vor Politikern
Als Symbol saßen daher im ersten Zug, der am 1. Juni durch den neuen Tunnel fuhr, nicht Honoratioren, sondern Hunderte „Normalbürger“. Die Freitickets waren unter Zehntausenden Bewerbern verlost worden. Erst im zweiten Zug folgten Politiker und Staatsgäste, auch aus allen Nachbarländern der Schweiz. In Vollbetrieb gehen soll der Tunnel im Dezember. Dann kann der alte Gotthardtunnel aus dem Jahr 1882 zwischen Göschenen und Airolo in die Ruhestandsreserve geschickt werden.

APA/AFP/Fabrice Coffrini
Die Tunnelbohrmaschine „Heidi“ bohrte sich von Norden gen Süden. Ihr Gegenstück hieß „Sissi“.
Was den neuen vom alten Tunnel unterscheidet, ist neben der viel größeren Länge, vor allem die enorme Tiefe, die gerade Strecke und seine Ebenerdigkeit. Der Basistunnel verläuft bei nur geringfügigen Steigungen sowie ohne enge Kurven auf einer Höhe von maximal 550 Metern über dem Meeresspiegel. Experten sprechen daher von einer „Flachbahn“. Statt etwa 1.100 Meter Gebirgsmasse wie beim alten türmt sich über dem neuen Tunnel bis zum Gipfel des Gotthards eine Felsabdeckung von 2.300 Metern auf.
Bis zu 250 km/h
Dank dieser ingenieur- und bautechnischen Meisterleistung, an der in Spitzenzeiten 2.400 Arbeitskräfte beteiligt waren, besteht nun eine weitgehend ebene Gleisbettverbindung zwischen Nordsee und Mittelmeer. Personenzüge können den Tunnel mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h durchrasen. Zahlen, die pure Begeisterung wecken in einem Land, dessen Einwohner mit rund 2.300 Schienenkilometern pro Person und Jahr als Bahnreiseweltmeister gelten.
Doch wichtiger als größere Bequemlichkeit für Reisende sind für Volkswirtschaft und Umwelt die Effekte im Güterverkehr. Pro Tag können künftig 260 Güterzüge das Gotthard-Massiv durchqueren statt bisher maximal 180. Damit soll ein Teil der Gütertransporte zwischen Nord- und Südeuropa von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Die Betreibergesellschaft sieht den Tunnel als „eines der größten Umweltschutzprojekte Europas“.
Warten auf die Brenner-Röhre
Allerdings nimmt der Gütertransport insgesamt immer mehr zu. Eine größere Reduzierung der Abgasbelastung durch Straßentransporte erwarten Experten erst, wenn weitere neue Alpentunnel fertig werden.
Dazu gehört neben dem geplanten Mont-Cenis-Basistunnel zwischen Italien und Frankreich (ebenfalls 57 Kilometer, kaum vor 2026 fertig) der Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien. Dieses Kernstück der neuen Brenner-Bahn soll 64 Kilometer lang und damit zum nächsten „Tunnelweltmeister“ werden. Doch bis Züge durch die Brenner-Riesenröhre rollen können, frühestens 2026 wird es so weit sein, bleibt der Gotthard die Heimstatt des Eisenbahntunnel-Weltrekordlers.
Links: