Themenüberblick

„Nicht von heute auf morgen“

Das erste Mal haben der neue Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am Mittwochabend ihre Pläne vor einer medialen Öffentlichkeit auf die Waagschale gelegt. In der Ö1-Sendung „Klartext“ sprach die Regierungsspitze im Wiener RadioKulturhaus über die Zukunft der Regierung und den ausgerufenen neuen Stil.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Zwar firmiert die Sendereihe unter dem Titel „Ein Beitrag zur Streitkultur“. Zumindest zu Beginn verlief die Diskussion allerdings in sehr konsensualen Bahnen. Wie schon in den vergangenen Tagen waren Kanzler und Vizekanzler - einander duzend - weitestgehend um Einigkeit bemüht. Im Hinblick auf die Hofburg-Stichwahl vom Sonntag äußerten beide ihre Hoffnung, dass der neue Präsident Alexander Van der Bellen die Linie der Regierung unterstützen werde.

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner

APA/Georg Hochmuth

Kanzler und Vizekanzler versuchten sich in der Diskussion

Zugleich versicherten sowohl Kern als auch Mitterlehner, den Protest der Wähler, die ihre Stimme Norbert Hofer gegeben hatten, verstanden zu haben. Der Sonntagabend sei ein erfreulicher Abend gewesen, „weil ich die Erkenntnis daraus gezogen habe, dass vieles möglich ist“, so Kern. Und Mitterlehner ergänzte, die Regierung wolle „Betroffene zu Beteiligten“ machen.

Keine „Zauberkunststücke“

Vizekanzler Mitterlehner hatte rund um Kerns Amtsantritt vergangene Woche Herman Hesse bemüht und davon gesprochen, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne. Darauf angesprochen sagte er, dass die Regierung nun ein Momentum habe. Zauberkunststücke dürften sich die Menschen aber nicht erwarten. Die Umsetzungen brauchten Zeit. Das sah auch Kern so. Es gebe eine immense Erwartungshaltung. „Ich bin sehr froh darüber. Aber ich bin der Meinung, dass die Veränderungen Zeit brauchen werden.“

Zum Nachhören und -schauen

Die Diskussion kann in oe1.ORF.at nachgehört werden. In Wort und Bild ist sie in tvthek.ORF.at abrufbar.

Das Thema der Zeit, die sich die Regierung für ihre Pläne nehmen wolle, begleitete die gesamte Diskussion. Immer wieder verwiesen Kanzler und Vizekanzler darauf, dass die Pläne sich nicht von heute auf morgen verwirklichen ließen. Das zu behaupten wäre „pure Scharlatanerie“, so Kern.

Die eine oder andere Konfliktlinie

Dass es mit Zeit allein nicht getan sein wird, dürfte freilich auch den beiden Parteichefs klar sein. Und dass es für die Regierung auch unter dem ausgerufenen „neuen Stil“ inhaltliche Hürden zu überwinden gilt, zeichnete sich dann im zweiten Teil des Abends zumindest ab.

Christian Kern

APA/Georg Hochmuth

Kern hat gerne einmal ein Zitat bei der Hand

Als das Thema etwa auf den Bürokratieabbau kam, meinte Mitterlehner, er könne sich die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen vorstellen - auch wenn man das den Menschen dann vermitteln müsse, so der Vizekanzler. Kern wollte an diesem Abend in seiner Aussage allerdings nicht so weit gehen. Dafür prangerte er den „Diffamierungsdialog“ an, der gegenüber staatlichen Unternehmen geführt werde.

Einzelfall oder System?

Noch weiter getrennt schienen die Meinungen bei der Frage nach der Sozialpolitik. „Zuerst die Leistung und dann die Verteilung“, brachte Mitterlehner eine gut bekannte ÖVP-Position vor. Und er führte ein Beispiel an, „das im Internet kursiert ist“, wonach eine Familie mit drei Kindern Förderungen des Staates von über 5.000 Euro beziehe. Hier müsse es Deckelungen geben, so der ÖVP-Chef.

„Man soll nicht alles glauben, was im Internet steht“, war Kerns erste Reaktion darauf. Sollten die Zahlen stimmen, dann wäre es aber wohl ein Einzelfall. Gegen diese Fälle müsse man vorgehen, da sie das „ganze System“ in Verruf brächten. Eine allgemeine Diskussion wollte Kern daraus aber ganz offensichtlich nicht ableiten.

„Kenne diese Wortspiele seit der Volksschule“

Im Hinblick auf die Lobbygruppen aus der jeweils eigenen Partei bemühten sich sowohl Kern als auch Mitterlehner um Diplomatie. Weder wollte sich der ÖVP-Chef zu einer Kritik an der Industriellenvereinigung hinreißen lassen noch Kern ein schlechtes Wort gegenüber den Gewerkschaften fallen lassen.

Nicht das einzige Mal an diesem Abend hatte der Kanzler ein literarisches Zitat bei der Hand. „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“, bemühte Kern im Hinblick auf die Sozialpartner den Philosophen Arthur Schopenhauer.

Mitterlehner forderte hingegen einen „dynamischen Kompromiss und nicht eine Pattstellung, die man nicht erklären kann“. Und er sorgte für Lacher im Publikum, als er meinte, mann müsse auf „den Kern“ der Angelegenheit kommen. „Brauchst dich nicht zurückhalten, ich kenne diese Wortspiele seit der Volksschule“, antwortete Kern.

„Denkbar ist alles“

Ein Feld, in dem die Regierung in den kommenden Monaten wohl nicht um Kompromisse herumkommen wird, ist der Arbeitsmarktzugang für Asylwerber. Kern wollte sich zwar noch nicht auf ein konkretes Modell festlegen. Aber „klar ist, dass wir Lösungen brauchen“, so der Kanzler. Der Arbeitsmarkt sei zwar belastet. „Aber die Frage ist, was passiert, wenn wir das nicht tun.“

Reinhold Mitterlehner

APA/Georg Hochmuth

Für Mitterlehner ist „alles denkbar“

Mitterlehner zeigte zumindest Bereitschaft, sich die Möglichkeiten „vorbehaltlos anzuschauen“. „Denkbar ist alles, was möglich ist“, aber man müsse auch „vorbehaltlos die Probleme“ sehen, die das bringen könnte. Vielleicht könne man ja eine „Zwischenlösung“ finden, stellte er in den Raum, dass das bisherige Nein dazu bröckeln könnte.

Keine Festlegung auf Rechnungshof-Nachfolge

Wieder ganz auf einer Linie war die Regierungsspitze bei der Frage, wer die neue Spitze des Rechnungshofs (RH) übernehmen sollte - zumindest in ihrer Weigerung, bereits jetzt einen konkreten Namen zu nennen. Irmgard Griss sei sehr gut qualifiziert, so der Tenor. Doch es gebe auch noch andere Kandidaten, und die Entscheidung treffe am Ende das Parlament. Auch wer sonst noch infrage käme, ließen sich die beiden Parteichefs nicht entlocken. „Ich will keinen Namen verbrennen“, so Kern.

Von Griss war zuvor - über ein Interview mit der „Kleinen Zeitung“ - bekanntgeworden, dass sie nach einem neuerlichen Angebot von ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka noch einmal überlegt, es anzunehmen, mit einer Bedenkfrist bis Montag. Darauf angesprochen, meinte Mittlerlehner, es würde wohl einen „komischen Eindruck“ machen, würden er und der Kanzler sich das jetzt im gemeinsamen Radiogespräch ausmachen.

„Denkvorstellungen hinterfragen“

Zum Ende des Gesprächs kam noch eines der wohl heikelsten Themen der Koalition auf den Tisch: Die Frage nach einer Bildungsreform. Ob es nicht eine Möglichkeit wäre, dass sich die ÖVP vom Widerstand gegen eine gemeinsame Schule und die SPÖ dafür von ihrem Nein zu Studiengebühren verabschieden könnte?

„Ja, so muss das sein, da haben sie völlig recht“, sagte Kern. Auch wenn er das größer und nicht auf das vorgebrachte Beispiel verstanden wissen wollte. „Vom Prinzip ist es wunderbar, wenn wir alle Denkvorstellungen, die uns bisher geprägt haben, hinterfragen“, so Mitterlehner. „Aber wir werden nicht alles heute da lösen.“ Was das betrifft, waren sich Kanzler und Vizekanzler aber ohnehin einig.

Links: