Themenüberblick

Europa, „plan- und kopflos“

Die Präsidentschaftswahl hat auch nach Alexander Van der Bellens Wahlsieg über seinen FPÖ-Konkurrenten Norbert Hofer für reichlich Rauschen im internationalen Blätterwald gesorgt. Neben der vielbeschworenen Spaltung Österreichs und dem Versagen der Regierung stellte man sich dabei vor allem die Frage, was Hofers starkes Abschneiden über das restliche Europa aussagt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Für die italienische Zeitung „Corriere della Sera“ etwa ist Van der Bellen nicht weniger als ein grüner Retter eines Österreichs und auch Europas, das „am Rande eines nationalpopulistischen Abgrundes gestanden“ sei. Sein Sieg habe einen Wert, der über Österreichs Grenzen hinausreiche.

Gemütlich im Mainstream

Der „raketenhafte Aufstieg“ Hofers sende eine „besorgniserregende Botschaft in Richtung Brüssel“, schreibt beispielsweise die in Tampere erscheinende finnische Tageszeitung „Aamulehti“. Auf dem ganzen Kontinent drücke sich im Aufstieg des Rechtspopulismus mehr oder weniger die gleiche Ablehnung eines „plan- und kopflosen“ Europas aus, so der französische „Figaro“: „In Ungarn, Polen oder in Großbritannien, das in einem Monat über den Brexit abstimmt, aber auch in Frankreich belagern die EU-Gegner deren Institutionen.“

Internationale Reaktionen

Die Erleichterung über Alexander Van der Bellens Wahlsieg ist vielerorts groß. Die denkbar knappe Wahl wird aber auch als Warnung gesehen, aus der Lehren gezogen werden müssen.

Auch in Übersee deutet man Hofers beachtliches Ergebnis als Indikator für das Erstarken des Rechtspopulismus auf dem alten Kontinent. Für die „New York Times“ zeigt Hofers Sieg, wie gemütlich es sich die Rechtspopulisten in weiten Teilen Europas im politischen Mainstream bereits gemacht hätten. Die vielen Stimmen würden zeigen, dass die FPÖ ein Faktor sei, mit dem man „in Österreich rechnen muss“.

„Labor für Europa“

Im Nachbarland Deutschland kommentierten die Medien Van der Bellens Wahlsieg als gerade noch verhinderten Durchmarsch Hofers. „Halb Österreich atmet auf, ein großer Teil des Berliner Regierungsviertels und vermutlich ganz viele Politiker in Brüssel“, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Die Bedrohung für das geeinte, demokratische Europa sei aber längst nicht mehr fiktiv, sondern greifbar, konstatierte die Magdeburger „Volksstimme“.

Auch die „Welt“ erklärte Österreich in einer Nachschau zu einem „Labor“, nämlich einem für Europa. Die Wahl zeige ähnliche Befunde wie in Frankreich und Polen: Land stehe gegen Stadt, Männer gegen Frauen, Arm gegen Reich, weniger gebildet gegen besser ausgebildet, Arbeiterbürger gegen Bürgerbürger, Abschließungskultur gegen Willkommenskultur. In Österreich sei daraus buchstäblich ein Patt geworden. Nun müsse Van der Bellen die Seiten einen und auch jene Hälfte bedienen, die nicht seiner Klientel entspreche.

Gekommen, um zu bleiben

„Geschlagen, aber nicht zerstört“ ist die FPÖ laut einem Urteil im britischen „Guardian“. Sie sei Teil einer „gefährlichen neuen Landschaft“ Europas, die Unterstützung für den Dritten Nationalratspräsidenten reiche weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Als Spiegelbild des Aufstiegs der rechtspopulistischen Parteien Europas profitiere die FPÖ von der Migrations- und EU-kritischen Stimmung in der EU.

„Populisten gewinnen überall auf dem Kontinent an Stärke“, schreibt die polnische „Gazeta Wyborcza“. Aber „das kleine, ruhige“ Österreich sei zum ersten Land geworden, in dem es der extremen Rechten gelungen sei, so weit zu kommen, dass sie die Hand nach der Macht ausstrecken konnte. Es sei klar, dass das nicht mit dem Wahlabend ende. Österreich werde „in den kommenden Jahren zum politischen Labor, in dem Methoden des Kampfes gegen Populisten getestet werden“.

Chance für AfD?

In Deutschland wird indes besonders intensiv darüber diskutiert, ob die Stärke der FPÖ der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) ein neues Momentum verleihen könnte. Der „Süddeutschen Zeitung“ scheint das unwahrscheinlich. Man bediene zwar eine ähnliche Klientel, die Ausgangslagen von AfD und FPÖ seien aber viel zu unterschiedlich: Während es der FPÖ seit Mitte der 80er Jahre gelinge, im „Pool der Unzufriedenen“ zu fischen, und sich „ÖVP und SPÖ so viele politische Fehler geleistet“ hätten, handle es sich bei der AfD um eine junge Partei, die einer stabilen und bisher beliebten Regierung entgegenstehe.

Ganz anders sieht das der „Spiegel“ (Onlineausgabe) und schreibt von „der Sorge vor einem Hofer-Effekt in Deutschland“: Die Wahl werde mit ziemlicher Sicherheit einen Effekt auf die Umfragewerte der AfD haben, so der Chef des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner, im „Spiegel“. Plus drei Prozentpunkte, das sei durchaus denkbar - die Frage sei allerdings, wie lange dieser Effekt anhalte.

Links: