Von Lückenbüßern und Kampfhunden
Der US-Vizepräsident bekleidet ein wichtiges Amt: Er ist nicht nur Stellvertreter des Präsidenten, er rückt auch nach, falls dieser sein Amt nicht mehr ausüben kann. Nun, da sich der US-Vorwahlkampf langsam dem Ende zuneigt, wenden sich die Teams der Präsidentschaftsbewerber Hillary Clinton von den Demokraten und des Republikaners Donald Trump der Frage zu, wen sie in dieser Rolle sehen wollen.
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Bei der Auswahl ihrer „Running Mates“ werden die designierten Kandidaten vor allem von taktischen Überlegungen für den Wahlkampf getrieben. Die Entscheidung für oder gegen eine Person kann nicht nur die Schlagrichtung einer Kampagne definieren, sondern auch Schwächen der Präsidentschaftskandidaten ausbügeln oder das Ansehen bei einer bestimmten Wählergruppe aufpolieren.
Die sichere Bank
Für Clinton könnte laut mehreren US-Medien wie etwa der „New York Times“ Tim Kaine einer dieser „Lückenfüller“ sein. Als beliebter Senator und Ex-Gouverneur würde er den Demokraten mit hoher Wahrscheinlichkeit den beliebten „Swing-State“ Virgina sichern und den Republikanern bei der Wahl damit schwer zusetzen.
Kaine genießt nicht nur enge Kontakte zu Wirtschaft und Parteiapparat, er spricht auch fließend Spanisch - ein Bonus für Clintons derzeit noch schwächelndes Image bei den weißen, mittelständischen Männern und ein Plus im Lager der Hispanics. US-Medien sehen in Kaine jenen Kandidaten, mit dem Clinton auf Nummer sicher ginge.
Weibliche Doppelspitze?
Es ginge aber auch riskant: Spekuliert wird, ob sich Clinton im Falle eines Sieges eine weibliche Vizepräsidentin ins Boot holen könnte. Als Kandidatin wird dabei etwa die Senatorin und Juristin Elizabeth Warren gehandelt. Sie gilt als Liebling des progressiven Flügels und würde damit Wähler links der Mitte abholen, die derzeit ihre politische Heimat bei Bernie Sanders sehen.

Reuters/Jonathan Ernst
Warren erlangte breite Bekanntheit für ihren Feldzug gegen die Wall Street
Warren liefert sich zudem seit Wochen öffentlichkeitswirksame Twitter-Schlammschlachten mit Trump. Sie könnte damit beweisen wollen, dass sie eine traditionell wichtige Rolle des US-Vizepräsidenten ausfüllen kann - und zwar jene des „Kampfhundes“, der aus der zweiten Reihe dort angreift, wo es dem Präsidenten nicht gut zu Gesicht stehen würde.
Gegen die 66-Jährige spricht allerdings nicht nur der absehbare Widerstand gegen eine rein weibliche Staatsspitze, sondern auch kolportierte persönliche Animositäten zwischen ihr und Clinton. Sie verzichtete etwa darauf, Clintons Kandidatur zu unterstützen. Auch der Linksbonus dürfte Clinton egal sein: Die Ex-Außenministerin dürfte nicht ganz zu Unrecht davon ausgehen, dass Sanders’ Wählerstimmen ohnehin in ihre Tasche wandern.
Fischen nach Arbeitern und Minderheiten
Mit Sherrod Brown ist ein weiterer Senator, jener für Ohio, als möglicher Vize für Clinton im Gespräch. Brown hat sich als Streiter für die Arbeiterklasse und Freihandelskritiker einen Namen gemacht, Clintons Team ortet in ihm eine Option, um Trumps größter Wählergruppe das Wasser abzugraben. Brown könnte den Demokraten auch dabei helfen, Ohio zu gewinnen.
Er hat allerdings nicht nur bereits abgewinkt, eine Kandidatur würde die Demokraten außerdem im Senat vor ein Dilemma stellen. Die Partei hofft darauf, heuer nicht nur das Weiße Haus, sondern auch eine Senatsmehrheit zu gewinnen. Wenn allerdings Brown den Senat als gewählter Vizepräsident verließe, so schreibt etwa CBS, würde ein Republikaner nachrücken.
Auch ein Kandidat, der eine Brücke zum Lager der Afroamerikaner oder Latinos schlagen kann, wird von Clintons Team in Erwägung gezogen. Diskutiert werden etwa der Assistant Attorney General Tom Perez, dessen Eltern aus der Dominikanischen Republik kommen, und der mexikanischstämmige Wohnungsbau- und Stadtentwicklungsminister Julian Castro.
Gerüchte über Palin-Comeback für Trump
Dass die Wahl des Vizes gut getroffen sein will, zeigt die Vergangenheit - etwa anhand der Kandidatur der erzkonservativen „Tea-Party“-Politikerin Sarah Palin, die dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain 2008 dank mehrerer Fauxpas der Ex-Gouverneurin von Alaska mehr Schaden als Nutzen brachte.
Doch Palins Namen ist ungeachtet der desaströsen Kandidatur laut Gerüchten auch heuer wieder im Rennen. Einem von der „Washington Post“ aufgeschnappten Ausrutscher des ausgeschiedenen republikanischen Kandidaten Ben Carson zufolge steht sie auf der Liste jener Menschen, die Trump als Vize in Erwägung zieht. Weitere Namen darauf: John Kasich, Marco Rubio, Ted Cruz und Chris Christie, allesamt ehemalige Bewerber um die Kandidatur.

APA/AP/Mary Altaffer
Sarah Palin will lieber einen „harten“ Präsidenten als einen, der „bei Trivial Pursuit gewinnen kann“
Carson relativierte seine Aussage zwar, doch Palin hat Trump bereits im Vorfeld ihre Unterstützung zugesichert. Sie wolle ihm im Wahlkampf „helfen“, so Palin Anfang des Jahres. Im vergangenen September hatte Palin in einem CNN-Interview erklärt, sie wäre gerne Energieministerin unter Donald Trump. Allerdings würde sie vielleicht gar nicht lange im Amt bleiben, sollte Trump sie ins Kabinett holen. „Wenn ich an der Spitze (des Ministeriums) stünde, würde ich es abschaffen“, sagte Palin.
„Sehr bedrängt“
Auf Trumps Liste steht Gerüchten zufolge neben der ehemaligen Gouverneurin von Arizona, Jan Brewer, auch Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses. Dass er grundsätzlich nicht abgeneigt wäre, unterstrich der 72-jährige Republikaner bei einem Auftritt in Fox News Sunday. Er würde aber kein „automatisches Ja“ geben. Könnte Trump ihn und seine Frau von der Ernsthaftigkeit und Durchführbarkeit des Vorhabens überzeugen, müsste er wohl Ja sagen.

Reuters/Joshua Roberts
Auch für Trump im Gespräch: Republikaner-Urgestein Newt Gingrich
Trump hat jedoch bereits erklärt, sich im Falle einer Kandidatur nicht vor Juli für einen Kandidaten entscheiden zu wollen. Auf der anderen Seite ist wahrscheinlich, dass seine Konkurrentin ihre Entscheidung auf Trumps Nominierung und ihre Umfragewerte abstimmen würde. So mutmaßt etwa CBS, dass sich Clinton bei stabilen Werten für einen Vize entscheiden könnte, der „weder eine zu große Bürde, noch allzu aufregend“ sei. Bringe Trump sie allerdings zu sehr in Bedrängnis, könnte auch Clinton ein Risiko eingehen.
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