Zuckerbrot und Peitsche für Industrie
Warnungen vor resistenten Bakterien und Keimen und damit verbundenen tödlichen bakteriellen Infektionskrankheiten gibt es schon länger. Ein aktueller Bericht warnt nun vor einer drastischen Zunahme von Todesfällen aufgrund der Widerstandsfähigkeit gegen Antibiotika in den nächsten Jahrzehnten.
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Laut dem „Review on Antimicrobial Resistance“ könnten bis 2050 weltweit zehn Millionen Menschen pro Jahr an nicht mehr behandelbaren Infektionen sterben. Die Arbeiten für diesen Bericht starteten Mitte 2014 im Auftrag der britischen Regierung. Allein in den vergangenen zwei Jahren seit Beginn der Arbeiten an dem Bericht starb laut BBC bereits über eine Million Menschen an Infektionen, die nicht mehr mit Antibiotika zu behandeln waren. Zudem wurden auch gegen starke Reserveantibiotika wie Colistin Resistenzen festgestellt.
Industrie reduzierte Forschung
Eines der Hauptprobleme sei, dass nicht ausreichend neue Antibiotika hergestellt werden, so die Ergebnisse. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, würden verschwendet. „Wenn wir das Problem nicht lösen, steuern wir auf Zeiten wie im Mittelalter zu. Viele Menschen werden sterben“, warnt der Ökonom Jim O’Neill, der die Recherchen zu dem Bericht leitete, gegenüber der BBC. Ein simpler Schnitt in den Finger könne schon lebensbedrohlich werden genauso wie Routineoperationen, warnt er vor einer „Post-Antibiotika-Ära“.
Die Experten empfehlen in ihrem Bericht dringende Schritte, um das Problem rasch stärker ins Bewusstsein zu bringen. Zu viele Menschen ignorierten diese Risiken, eine Informationskampagne sei notwendig genauso wie eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft. Ihr Vorschlag: Firmen, die an neuen Antibiotika forschen, sollen mit einer Milliarde Dollar (rund 887 Mio. Euro) finanziell unterstützt werden. Andere sollten in einen Fonds einzahlen, wenn sie nicht forschen. Ziel sollte eine internationale Kooperation von Politik und Industrie sein, so die Experten.
„Schrecklich ineffizient“
Der Anreiz, an neuen Antibiotika zu forschen, ist gering. Der Aufwand ist groß, es ist teuer, und der Ertrag ist gering, sollte doch ein neues Mittel so sparsam wie möglich zum Einsatz kommen, um Resistenzen zu vermeiden. Seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden keine neuen Antibiotikagruppen mehr entdeckt.
Andere halten den Ansatz - forschen oder zahlen - für „schrecklich ineffizient“, wenn in der Antibiotikaforschung wenig erfahrene Firmen damit begännen, so der Pharmaexperte Ed Schoonveld im Interview mit dem „Wall Street Journal“: „Es könnte die falschen Parteien motivieren, kreativ zu werden, um zu verhindern, dass sie die Abgaben zahlen müssen.“ Vielmehr brauche man Zuckerbrot statt der Peitsche.
Appell an Landwirtschaft und Ärzte
O’Neill warnte auch vor den insbesondere in den USA herrschenden Praktiken in der Landwirtschaft, wo Antibiotika eher für die Förderung des Wachstums der Tiere eingesetzt werden als für die Behandlung von Krankheiten. 70 Prozent der in den USA verwendeten Antibiotika kämen bei Tieren zum Einsatz. Das Risiko, dass sich resistente Bakterien auch auf menschliche Infektionen ausweiten, sei groß. Zugleich richtete der Experte einen Appell an die Ärzte, nicht voreilig Antibiotika zu verschreiben, in Fällen, wo diese nichts bewirken können, wie etwa bei viralen Infektionen.
Der nun präsentierte Bericht stieß international auf ein großes Echo. Für manche ging er sogar zu wenig weit. „Dieser Bericht ist ein wichtiger erster Schritt, das breite Marktversagen aufzuzeigen. Aber er geht nicht weit genug“, kritisierte Grania Brigden von Ärzte ohne Grenzen gegenüber der BBC. Infektionen mit resistenten Bakterien bedrohten bereits die internationale Arbeit ihrer Organisation. Die vorgeschlagene Lösung sei „einfach, die hohen Preise zu subventionieren statt zu versuchen, diese zu überwinden“. Bis zum Sommer sollen nun konkrete Empfehlungen für globale Lösungen und Zusammenarbeit ausgearbeitet werden.
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