Themenüberblick

Von fremden Welten und Weltuntergängen

Die Sachbücher der Saison eignen sich hervorragend, um überhitzt geführte, aktuelle Debatten besser verstehen und vor allem besser einordnen zu können. Ganz unten findet sich ein Schwerpunkt zu den Themen Flucht und Migration, der sowohl Sachbücher als auch Romane beinhält.

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Die Strategien der Rechtspopulisten

Ein wissenschaftliches Werk erreicht eher selten ein großes Publikum außerhalb des Fachgebiets. „Politik mit der Angst“ ist so ein Buch: linguistische Fachlektüre ebenso wie spannendes Sachbuch für Politikinteressierte. Vor allem ist es aber eines: hochaktuell. Anhand zahlreicher Beispiele analysiert die international renommierte Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak Rhetorik und Kampagnen von Rechtspopulisten und zeigt verblüffende Ähnlichkeiten über Ländergrenzen hinweg. Ob in Ungarn, Österreich oder den USA: Die Strategien sind dieselben, und immer spielen die Ängste der Menschen darin eine zentrale Rolle.

Ruth Wodak: Politik mit der Angst. Edition Konturen, 280 Seiten, 29,80 Euro.

Bücher auf einer Blumenwiese

ORF.at/Michael Baldauf

Wer sich in Familienfotos begibt

Eva Menasse, bekennende „Heimitistin“, setzt dem Ausnahmeliteraten Heimito von Doderer („Die Strudlhofstiege“) mit einem Bildband ein Denkmal. Der schwierige, kauzige, hochbegabte Doderer machte es niemandem leicht, weder seiner Umgebung noch seinen Lesern noch der Nachwelt. Seine Anbiederung an die Nazis, die ihn wohl den Nobelpreis kostete, schreckt Menasse nicht ab. Ihr Ziel ist es, den Künstler mit den Bildern eines Lebens und einer ganzen Epoche die verdiente Aufmerksamkeit wieder zukommen zu lassen: „Wenn er denn, dieser Leser, Doderer nur endlich aufschlagen würde!“

Eva Menasse: Heimito von Doderer. Deutscher Kunstverlag, 88 Seiten mit 58 Abbildungen, 22,70 Euro.

Zwischen Stalin und Steppenvölkern

Eine „zauberische Odyssee“ sei Jens Mühlings Reportage durch die unermesslich große Ukraine, befand die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“). Aber das trifft es nicht: Mühling kennt Russland ebenso wie die Ukraine nämlich schon seit langen Jahren, er weiß genau, was ihn nach Donezk, Kiew oder Sewastopol führt. Journalistische Knappheit und historische Genauigkeit kennzeichnen „Schwarze Erde“. Souverän wechselt Mühling immer wieder die Zeitebenen, springt von Stalin zu den Steppenvölkern und zurück zu den Separatisten im Donbass. Uneitel und humorvoll beschreibt er ein Land, das erst seit 1991 eines sein durfte. „Schwarze Erde“ ist sorgfältig lektoriert und stimmig gegliedert – nach der Lektüre steht die Ukraine dem Leser deutlich klarer vor Augen.

Jens Mühling: Schwarze Erde. Eine Reise durch die Ukraine. Rowohlt, 287 Seiten, 20,60 Euro.

Weltreise am Kaffeehaustisch

Patti Smiths Erinnerungen sind traumverhangen und doch hellwach. Das liegt daran, dass die Autorin, die ihre Reisen nach Französisch-Guyana, Mexiko, Berlin oder Tanger in diesem wunderbaren Buch selbstironisch noch einmal als innere Reisen unternimmt, sich ständig mit vielen Tassen Kaffee wach hält. „Es ist nicht so leicht, über nichts zu schreiben“, tröstet sie ein imaginärer Cowboy, wenn die Dichterin Gefahr läuft, sich zu verzetteln, zu verstummen. Dann greift sie in die große Fotokiste mit den kontrastarmen Schwarz-Weiß-Polaroids und ihre Lieblingsorte und -cafes tauchen vor ihrem inneren Auge auf. Dazwischen ist Raum für warmherzige und skurrile Erinnerungen an ihren früh verstorbenen Ehemann und verehrte Schriftsteller wie Nabokov und Murakami.

Patti Smith: M Train. Erinnerungen. Kiepenheuer & Witsch, 333 Seiten, 20,60 Euro.

Bunte Welt der Schwämme

Morcheln (Mauracheln), Trüffel und Champignons spielten bei Pilzgerichten vergangener Jahrhunderte die Hauptrolle. Wie vielseitig diese und weitere Arten kombiniert wurden, stellt Helga Haas eindrucksvoll unter Beweis. Die Autorin versammelt 330 Rezepte für Pilzgerichte aus historischen deutschsprachigen Kochbüchern und kommentiert sie kompetent: Da gibt es „Faschirte Maurachen“, „Schwammenstrudel“ oder „Schampions in saurer Sos“. Zum Nachkochen wegen des hohen Aufwands nur bedingt geeignet, ist der Band dafür kulturgeschichtlich aufschlussreich, sprachlich für heutige Leser amüsant und „gewürzt“ mit einer ganzen Reihe charmanter Pilzabbildungen aus den angeführten historischen Kochbüchern.

Helga Haas: Von Mauracheln & Krausem Ziegenbart. Pilzgerichte in Kochbüchern aus zwei Jahrhunderten bis 1918. Mandelbaum, 204 Seiten, 24,90 Euro.

Neue Leiden des Patienten Europa

Es gibt die eher harmlosen Separatisten: Sie wollen aus Triest einen Freihafen machen, sie wollen ein unabhängiges Schottland oder Katalonien. Martin Leidenfrost trifft aber auf seinen „fünfzig exzessiven Selbstversuchen“ vor allem auf brandgefährliche Abspaltungsbewegungen im Osten Europas: in der Ukraine, im Kosovo, in Rumänien, in Albanien. Bereits zwölf Jahre lebt der Niederösterreicher schon im Plattenbau bei Bratislava und brach für sein neues Buch in seinem alten Mercedes wieder bis in die hintersten Winkel Europas auf. Das Buch versammelt aktualisierte, bereits in der „Presse“ erschienene Texte in Leidenfrosts typischer Handschrift - lakonisch, atmosphärisch dicht und sehr persönlich. Sein Fazit: Die nächste große Krise Europas kommt bestimmt.

Martin Leidenfrost. Expedition Europa – Fünfzig exzessive Selbstversuche. Picus, 240 Seiten, 20 Euro.

Leben und Schreiben im Ausnahmezustand

Autorin Maria Fanta hat sich für „Arbeiter der Feder“ auf die Spur besonderer und bisher wenig beachteter Journalistenbiografien gemacht. In ihrem Buch werden die Lebensgeschichten jener Menschen aufgearbeitet, die nach dem Zweiten Weltkrieg halfen, die zerstörte Medienlandschaft Österreichs wieder aufzubauen. Unter Aufsicht der Alliierten etablierten die drei Regierungsparteien ÖVP, SPÖ und KPÖ nach Kriegsende eigene Blätter. „Arbeiter der Feder“ widmet sich dem Zentralorgan der KPÖ, der „Österreichischen Volksstimme“. Die Biografien der Autoren sind geprägt vom Leben im Widerstand gegen das Nazi-Regime und dem Wieder-Fuß-Fassen danach - oft nach Jahren im Exil. Auffällig: In der, damals noch stärker als heute, männerdominierten Branche schrieben für die „Volksstimme“ überdurchschnittlich viele Frauen.

Arbeiter der Feder - Die Journalistinnen und Journalisten des KPÖ-Zentralorgans „Österreichische Volksstimme“ 1945-1956. Clio, 216 Seiten, 19 Euro.

Nachhaltigkeit: Die Welt, wie sie uns gefällt

Wie man besser, nachhaltiger, fairer, produktiver im Sinne der Gesellschaft lebt - langsam beginnen entsprechende Ratgeberbücher zu nerven. Nicht so Klaus Werner-Lobos „Nach der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht“. Weil der Autor nicht einfach auf ein Modethema aufspringt, sondern sich seit Jahrzehnten mit der Thematik beschäftigt. Weil er den Diskurs weitertreibt, anstatt ihm hinterherzuhecheln - und das auch noch in ruhigem, sachlichem Tonfall. Das ist vielleicht nicht kunterbunt-lustig im Sinn von „ich bastle mir zwei Wochen lang meine Welt, wie sie mir gefällt“, regt dafür aber wirklich zum Nach- und Weiterdenken an. Mit ein paar Kräutern am Balkon und mit ein paar engagierten Sprüchen auf Facebook einen auf fortschrittlich tun reicht halt leider nicht, um die Welt zu ändern.

Klaus Werner-Lobo: Nach der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht. Deuticke, 206 Seiten, 19,50 Euro.

Wie alles zusammenhängt: Die Weltwirtschaft

Schon lange nicht mehr hat der abgenutzte Begriff „Pflichtlektüre“ so gepasst wie in diesem Fall. Darryl Cunningham erklärt uns die Welt, wie sie heute läuft, in einem knapp 250 Seiten starken Comic. Der preisgekrönte Graphic-Novel-Autor erklärt, wie Gier zu einer gefeierten Tugend und zur Grundlage der Weltwirtschaft und Weltpolitik werden konnte. Cunningham lotet die ideologischen Anfänge des schrankenlosen Kapitalismus aus, zeigt seine Verschränkungen mit konservativer Politik, erklärt die Krise von 2008 und führt vor, dass sich seither an den Praktiken auf den Finanzmärkten wenig geändert hat. Klingt nach einer undifferenzierten Brandrede, zumal als Comic - ist es aber nicht.

Darryl Cunningham: Supercrash. Das Zeitalter der Selbstsucht. Hanser, 246 Seiten, 21,50 Euro.

Columbo kommt noch einmal zurück

Man kennt ihn als „Columbo“, doch Peter Falk war viel mehr. In seiner Biografie beschreibt der Journalist Uwe Killing den Schauspieler als lässigen Kerl, der sich selbst im hohen Alter trotz seines Starruhms nicht zu gut war, in Independent-Filmen mitzuwirken. Falk war 2011, bereits schwer dement, an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Das Buch wirkt, auch durch die Schwarz-Weiß-Fotos, als wäre Columbo wieder einmal zurückgekommen, um doch noch etwas zu sagen.

Uwe Killing: Peter Falk oder Die Kunst, Columbo zu sein. Osburg, 270 Seiten, 24,70 Euro.

Sich wegträumen ans Ende der Welt

Dennis Gastmann versteht es, zu populären Themen Reportagebücher zu verfassen. Im Gegensatz zu „Geschlossene Gesellschaft“, bei dem es um Superreiche ging, hat er diesmal deutlich mehr an gehaltvollem Inhalt zu bieten. In „Atlas der unentdeckten Länder“ geht es um seine Reisen zu ungewöhnlichen Destinationen. Manches davon ist bekannt, wie Transnistrien, der Berg Athos oder Pitcairn, die Insel der Meuterer von der Bounty. Aber nur wenige werden Ra’s al-Chaima, Karakalpakstan oder Achsivland kennen. Ein schönes Leseerlebnis zum Träumen für alle, bei denen sich ein Urlaub in der Ferne gerade nicht ganz ausgeht.

Dennis Gastmann: Atlas der unentdeckten Länder. Rowohlt Berlin, 350 Seiten, 20,60 Euro.

Antirassistisches Manifest

Manchmal liegt die US-Bestsellerliste richtig - etwa, als Ta-Nehisi Coates mit seinem sehr persönlichen Manifest gegen den Rassismus „Zwischen mir und der Welt“ auf Platz eins lag. In dem Buch verwebt er gekonnt seine eigene Geschichte mit jener der USA. Seine These: Rassismus ist kein Problem einzelner Fehlgeleiteter, sondern in das Grundprinzip amerikanischen Wirtschaftens eingeschrieben. Was als Sklaverei anfing, findet heute noch immer nicht sein Ende, wenn etwa schwarze Teenager auf den Straßen von Polizisten erschossen werden. Selten wurde ein Buch so vehement im Bekanntenkreis zur Lektüre empfohlen. Eine gute Empfehlung, die an dieser Stelle wiederholt sei.

Ta-Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt. Hanser, 240 Seiten, 20,50 Euro.

Bücher auf einem Strandtuch

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Janoschs ungeliebte Biografie

Janosch und die Öffentlichkeit - eine Geschichte voller Missverständnisse, Zerwürfnisse, und überhaupt. Aber von vorne: Angela Bajorek hat Hunderte E-Mails mit Janosch gewechselt und mit diesem Material abmachungsgemäß eine Biografie verfasst - eine großartig zu lesende Biografie mit ganz vielen wundervollen Zitaten aus den E-Mails und zusätzlichem Recherchematerial. Jetzt distanziert sich Janosch, das ganze Buch sei eine einzige Lüge. Wie auch immer: eine lohnenswerte Lektüre. Was auch immer Janosch verärgert hat, aus dem Buch erschließt es sich nicht.

Angela Bajorek: Wer fast nichts braucht, hat alles. Janosch. Die Biografie. Ullstein, 316 Seiten, 22,70 Euro.

Den „Sommerkatarrh“ wegimpfen

Allergien haben in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung zugenommen. Die Gründe für den Anstieg sind weltweit Gegenstand intensiver Forschungen. Den Stand dieser Forschungen haben der renommierte Wiener Immunologe Rudolf Valenta und „profil“-Wissenschaftsjournalist Alwin Schönberger in ihrem Buch abgebildet. In leicht verständlicher Sprache spannen die Autoren den Bogen vom „Sommerkatarrh“, wie der Heuschnupfen Anfang des 19. Jahrhunderts genannt wurde, über die Rolle des Erbguts bei der Allergieentstehung bis hin zu den aktuellsten Entwicklungen in Sachen Allergieimpfungen. Ein Pflichtbuch – nicht nur für Menschen, denen im Frühjahr die Nase rinnt und die Augen brennen.

Rudolf Valenta, Alwin Schönberger: Das Anti-Allergie-Buch. Auslöser, Heilungschancen und die neusten Therapieformen. Piper, 304 Seiten, 20,60 Euro.

Die Rückeroberung des Internets

Lügen, Propaganda und Verschwörungstheorien, Beleidigungen bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen: Der Umgangston bei Debatten im Netz wird zusehends rauer. Die „profil“-Journalistin Ingrid Brodnig unternimmt in ihrem aktuellen Buch nichts weniger als den Versuch, „das Internet zurückzuerobern“. Mit methodischer Genauigkeit gibt sie Antworten auf die Frage, warum Menschen im Internet derart entgleisen, nimmt die einzelnen Typen von Trollen auseinander und gibt konkrete Tipps, wie User auf Hass, Lügen und Drohungen reagieren können. Ein praktisches Handbuch für alle, die das Internet wieder zum Ort des offenen, respektvollen Miteinanders machen wollen.

Ingrid Brodnig: Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Brandstätter, 232 Seiten, 17,90 Euro

Gegen die Verwandlung von Elefanten in Mücken

Wie beruhigend, es gibt noch viel zu entdecken - so in dem Buch „Mücken und Elefanten“ von Mladen Savic: Essays, Reflexionen und Polemiken einer jungen, kräftigen und engagierten Stimme zu Gesellschaft, Medien, Philosophie und der Schockstarre der Intellektuellen. Mit einem weiten geistigen Fokus, kompromissloser Schärfe und einer klaren, schönen Sprache hebt sich der kroatisch-serbisch-stämmige Autor wohltuend von der wieder schicken Pamphletliteratur ab. „Die Frage der Notwendigkeit radikaler Kritik stellt sich immer lauter, je leiser und unverständlicher die Worte der Wahrheit werden“, schreibt Savic. Ein weises und scharfes Buch am Puls der Zeit und dennoch epochenüberspannend.

Mladen Savic, Mücken und Elefanten. Drava, 189 Seiten, 17,80 Euro

Und immer droht der Weltuntergang

Seit langer Zeit sind Menschen von der Vorstellung vom Weltuntergang fasziniert. Wie Apokalypse und Untergangsangst das Christentum prägten, zeigt das neue Buch des Historikers Johannes Fried. Es verfolgt die „Ideengeschichte der Apokalypse“ bis in die heutige Zeit. Zutiefst geprägt ist laut „Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“ die westliche, in der Tradition von Juden- und Christentum stehende Welt vom Glauben an das unwiderrufliche Ende der Welt. Ihre Wurzeln hat die christliche Untergangserwartung im Judentum.

Johannes Fried: Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs. C. H. Beck, 352 Seiten, 27,80 Euro.

Bücher neben Taucherflossen

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Den Mythos Erdogan entzaubern

Recep Tayyip Erdogan: Es ist nicht leicht, in der aktuellen Stimmungslage ein Buch über den türkischen Präsidenten zu schreiben, das keinem Pamphlet gleichkommt. Cigdem Akyol, die als Istanbul-Korrespondentin unter anderem für die „taz“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und für die APA schreibt, ist das gelungen. Sie leuchtet Hintergründe aus, beschreibt Machtstrukturen, scheut sich nicht, harte Wahrheiten (etwa über die Zensurpolitik Erdogans) zu schreiben, und hat dennoch keine ideologische Hinrichtung um der ideologischen Hinrichtung willen geschrieben. Für alle, die tagesaktuelle Nachrichten besser verstehen und aufgeregte Debatten hinterfragen wollen.

Cigdem Akyol: Erdogan. Die Biografie. Herder, 383 Seiten, 25,70 Euro.

Portugiesische Grausamkeit im Indischen Ozean

Wie Portugal zu Beginn der Neuzeit ein Weltreich in Indien eroberte und damit eine sehr ausdifferenzierte, allerdings in zahlreiche Machtzonen aufgesplitterte Kulturzone an den Rand der Zerstörung brachte und später dennoch scheiterte, damit beschäftigt sich der Historiker Roger Crowley in seinem Buch „Die Eroberer - Portugals Kampf um ein Weltreich“. Mit viel Detailgenauigkeit in den Beschreibungen etwa von Seeschlachten und Landkämpfen, aber auch von Städten und Märkten im riesigen Indischen Ozean lässt Crowley die Eroberungen der Portugiesen und auch den Hass auf die Muslime Revue passieren. Möglich wurden diese Eroberungen von Vasco da Gama und Afonso de Albuquerque mit wenigen Schiffen durch die Überlegenheit der Schiffe und Kanonen und das damit verbundene Verbreiten von Angst und Schrecken. Heute müssten sich die Verantwortlichen ob der Grausamkeit und Skrupellosigkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Roger Crowley: Die Eroberer - Portugals Kampf um ein Weltreich. Theiss, 431 Seiten, 30,80 Euro.

Auf den Spuren antiker Entdecker

Ob die antiken Seefahrer nicht vielleicht doch vor den Wikingern und Kolumbus Amerika entdeckt haben? Obwohl diese rein akademisch und durch keinerlei Funde gedeckte Hypothese in Raimund Schulz’ „Abenteuer der Ferne“ nur einen sehr kleinen Platz einnimmt, wäre sie nach all dem seefahrerischen Wissen und Können der Zeit möglich gewesen, wie Schulz’ Streifzug durch die antike Entdeckungsgeschichte zeigt. Nicht viel trennt dabei etwa die Phönizier, Griechen und Römer von ihren neuzeitlichen Nachfahren in puncto Risiko, Können und auch Weltvorstellung. Schulz zeigt, wie sich das Weltwissen und die Welterfahrung der europäischen Antike langsam, aber stetig vom Mittelmeer aus immer weiter bis nach Island einerseits und China andererseits ausdehnte. Teils trieben die Gier nach Luxusgütern und die Versprechungen auf Reichtum durch den Handel die Suche voran, doch das war nicht alles.

Raimund Schulz: Abenteurer der Ferne - Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike. Klett Cotta, 654 Seiten, 36 Euro.

Warum die Vandalen keine Vandalen waren

Gemeinhin haben Vandalen auch heute noch einen schlechten Ruf - zu Unrecht, wie sich Althistoriker immer wieder beeilen dagegenzuhalten. In seiner umfassenden Darstellung der Geschichte der Vandalen - bereits der Name ist ja falsch, suggeriert er doch, dass es sich um einen Stamm oder Volk handelt - zeigt Roland Steinacher auf, dass die Vandalen gefühlvoll und bewusst mit dem Erbe Roms umgegangen sind. Und wie sie dabei doch die römische Mittelmeer-Welt in der Spätantike umgestaltet haben.

Roland Steinacher: Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs. Klett Cotta, 542 Seiten, 33,90 Euro.

Bücher auf einem Stein

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Der Kunsträuber Napoleons

Der Louvre ist eines der bekanntesten Kunstmuseen der Welt. Doch wie kam es dazu? Dass Napoleon mit seinen Eroberungen und Plünderungen dabei sehr großen Anteil hatte, ist bekannt. Doch die Geschichte von Vivant Denon, des Mannes, der Napoleon die „richtige“ Kunst auswählen ließ, ist hierzulande so gut wie unbekannt. Die offenbar erste deutsche Biografie des Louvre-Direktors und Kunstgenießers und -räubers Denon von Reinhard Kaiser soll dies nun ändern. Farbenprächtig widmet sich Kaiser der Zeit nach der französischen Revolution und geizt nicht mit sinnlichem Sprachgenuss.

Reinhard Kaiser: Der glückliche Kunsträuber - Das Leben des Vivant Denon. C. H. Beck, 399 Seiten, 25,70 Euro.

Wie die Wikinger Europa prägten

Anders Winroth macht sich auf die Spur der Wikinger. Anschaulich erzählt er von deren Kultur und Alltag und räumt dabei mit so manchem Vorurteil über die „starken Männer“ und ihre kämpfenden Frauen auf. Im Mittelpunkt stehen weiters auch die Entdeckungen und Eroberungen der „wilden Nordmänner“ mit all ihren politischen Umwälzungen und Konsequenzen. Und die plündernden Seefahrer setzten sich auch in Gebieten des damaligen Frankreich bis nach Sizilien durch.

Anders Winroth: Die Wikinger - Das Zeitalter des Nordens. Klett Cotta, 368 Seiten, 25,70 Euro.

Gar nicht knochentrocken

Ja, es ist ein klassisches Ratgeberthema, der Titel ist ein bisschen halblustig und das Thema nicht sexy. Trotzdem eine echte Leseempfehlung für „Treffen sich zwei Knochen. Fit und gelenkig bis ins hohe Alter“. Wenn man in den ersten 40 Jahren seines Lebens ein bisschen auf sich aufpasst, erspart man sich in den zweiten 40 Jahren jede Menge Leiden. Und auch, bei wem es im Knochen- und Gelenksgebälk bereits ächzt, wird hier von äußerst berufener Seite in leicht verständlicher Sprache darüber aufgeklärt, warum das so ist und was mögliche Gegenstrategien sind. Also: zur Vorbeugung oder als Vorbereitung für den Besuch beim Orthopäden - damit man nicht mit einer Cortisonspritze und einer unverständlichen Erklärung abgespeist wird.

Thomas Pfeifer: Treffen sich zwei Knochen. Fit und gelenkig bis ins hohe Alter. Westend, 237 Seiten, 15,50 Euro.

Die Speibsackerl des Nick Cave

Heuer kommen noch ein neues Album und ein zugehöriger Film von Nick Cave. Sagen will er dazu in der Öffentlichkeit nichts, zu tief sitzt noch der Schock über den Tod des Sohnes während der Vorbereitungsarbeiten. Bereits erschienen ist dafür ein Buch - eigentlich eine zum Buch gewordene musikalische Kunstaktion. Während einer Tournee schrieb Cave Songtextfragmente und Notizen auf Speibsackerln. Die sind als Faksimiles im Buch, aber auch die deutschen Übersetzungen. Äußerst pubertär eigentlich - aber irgendwie werden offenbar am Ende trotzdem schöne Erwachsenensongs draus. Ein tolles Buch für Fans.

Nick Cave: Das Spucktütenlied. Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 25,70 Euro.

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Robert Rutöd muss die Kamera ständig bei sich tragen - so ist er mit dem Auslöser dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es sind großteils Alltagsbetrachtungen, die in seinem neuen Bildband gezeigt werden, Betrachtungen allerdings, die atmosphärisch dicht sind und tief blicken lassen in die Winkel der menschlichen Existenz. Eine Wohltat ist die straighte Ausarbeitung der Bilder - in Zeiten, in denen man nur noch mit softwareoptimierten Fotos zu tun hat, auf die diverse Instantfilter geklatscht werden. Viele der Bilder sind erst auf den zweiten oder dritten Blick spektakulär. Ein Fotobuch, nicht ohne Humor, das den Blick fürs Wesentliche schult und unter anderem mit dem New York Foto Award ausgezeichnet wurde.

Robert Rutöd: Right Time Right Place. Behindscreen, 120 Seiten, 38 Euro.

Bücher auf einem Stein

ORF.at/Michael Baldauf

Anregung zum klaren Denken

Richard Nisbett ist Psychologe und Kognitionsforscher. In „Einfach Denken! Wie wir alltägliche Denkfallen vermeiden und die richtigen Entscheidungen treffen“ führt der nicht nur in den USA prominente Wissenschaftler vor, was in den letzten Jahrzehnten in den Wissenschaften an Methoden entwickelt wurde, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Das Buch liest sich unterhaltsam, Nisbett gibt viele Anekdoten aus dem Wissenschaftsbetrieb zum Besten. „Einfach Denken!“ ist eine inspirierende Anregung zu logischem Denken ohne Denkverbote und wurde als solche in englischsprachigen Feuilletons in den Himmel gelobt. Wer das Buch als Alltagsratgeber kauft, wird allerdings enttäuscht sein: Das ist es nur im Titel, nicht aber im Text.

Richard E. Nisbett: Einfach Denken! Wie wir alltägliche Denkfallen vermeiden und die richtigen Entscheidungen treffen. S. Fischer, 399 Seiten, 25,70 Euro.

Geballtes Wissen über Holz

Im „Servus“-Verlag von Red Bull sind gleich drei Bücher vom Baum- und Holzexperten Erwin Thoma erschienen. Von der Architektur neuester, energieneutraler Vollholzhäuser über das richtige Lagern von Brennholz bis hin zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und tradiertem Wissen erfährt man bei Thoma viel Wissenswertes über Holz und Baum. Wer Kitsch und Semi-Esoterik nicht gut aushält, muss sich allerdings sehr viel Bruder-Baum-Romantik wegdenken (Palmen wachsen besser, wenn man sie anplaudert und dadurch das „universelle Feld der Liebe“ aktiviert). Einen Geheimtipp sollte man besser für sich behalten: wo die köstlichsten Schwammerl (Baumschwämme in diesem Fall) wachsen.

Erwin Thoma: Dich sah ich wachsen. Was der Großvater noch über Bäume wusste. Servus, 223 Seiten, 14,95 Euro.

Erwin Thoma: Holzwunder. Die Rückkehr der Bäume in unser Leben. Servus, 239 Seiten, 19,95 Euro.

Erwin Thoma: Die geheime Sprache der Bäume. Die Wunder des Waldes für uns entschlüsselt. Servus, 206 Seiten, 19,95 Euro.

Schwerpunkt Flucht und Migration

Chronologisch gesehen muss ein Schwerpunkt zur Literatur über Flucht und Migration mit Paul Scheffer beginnen. Sein Buch „Die Eingewanderten“ ist bereits 2008 erschienen und hat sich als Standardwerk etabliert zur Geschichte von Einwanderungsbewegungen und den Umgang der Gesellschaft mit ihnen. Betrifft Deutschland, es ist aber viel Grundlegendes drinn, das sich auf Österreich übertragen lässt.

Paul Scheffer: Die Eingewanderten. Hanser, 560 Seiten, 23,60 Euro.

Ein Leben ist mehr als die Flucht - das zeigt Shida Bazyar in ihrem bemerkenswerten Romandebüt. Sie erzählt die Geschichte des Paares Nadir und Behsad, die nach der Machtübernahme der Mullahs von den Iran nach Deutschland fliehen - bis hin zur grünen Revolution, die vor allem ihr Sohn hautnah miterlebt.

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 20,60 Euro.

Der ehemalige „Standard“- Chefredakteur hat für den Czernin-Verlag einen schmalen Band über Flüchtlinge editiert, mit Beiträgen von (unter anderem) Ilija Trojanow, Julya Rabinowich, Josef Haslinger und Hazel Rosenstrauch. Die Texte behandeln zeithistorische und aktuelle Aspekte gleichermaßen.

Gerfried Sperl (Hrsg.): Flüchtlinge. Czernin, 96 Seiten, 14,40 Euro.

Junge deutsche Autoren, darunter etwa Shida Bazyar (siehe zwei Texte weiter oben), reflektieren über ihre eigenen Migrationserfahrungen und das Zusammenleben. Der frische Blick auf Themen wie Heimat und Identität.

Matthias Jügler (Hrsg.): Wie wir leben wollen. Texte für Solidarität und Freiheit. Suhrkamp, 197 Seiten, 10,30 Euro.

An Jugendliche gerichtet, aber auch für Erwachsene spannend ist der Band „Neu in der Fremde. Von Menschen, die ihre Heimat verlassen“. Hier sind Schicksale und Gedanken von jungen Menschen, aber auch von Erwachsenen zusammengefasst, die emigrieren mussten. Anschaulich, in kleinen Häppchen, mit Bildern und Interviews.

Neu in der Fremde. Beltz und Geberg, 200 Seiten, 17,50 Euro.

Musik und Migration haben viel miteinander zu tun. Musik steht für die Sehnsucht nach der alten Heimat genauso wie für Entdeckungsreisen in der neuen Heimat - und Musik kann verbinden. Ein Band mit Beiträgen von und Gespräche mit Künstlern wie Hubert von Goisern und Shahriyar Farshid.

Salzburg: Sounds of Migration. Hollitzer, 292 Seiten, 19,90 Euro.

Bücher an einem Strand

ORF.at/Michael Baldauf

Tom Appleton, selbst Weltenbummler und in Teheran aufgewachsen, hat einen Roman über einen iranischen Burschen geschrieben, der seine Jugend im Deutschland der 60er Jahre verbringt. Das ist höchst witzig und weit weg von Mitleidsliteratur, aber doch sehr empathisch.

Tom Appleton: Hessabi. Czernin, 412 Seiten, 24,90 Euro.

Ben Lawrence, Menschenrechtsbeobachter und BBC-Journalist, hat sechs Menschen im größten Flüchtlingslager der Welt jahrelang begleitet. Dabaab ist ein Stadtstaat mit 500.000 Einwohnern - die allesamt nicht arbeiten dürfen. Manche wurden dort geboren. Eine tiefgehende Reportage und Analyse, die nicht einfach nur laut „Skandal“ schreit.

Ben Lawrence: Stadt der Verlorenen. Nagel und Kimche, 416 Seiten, 25,60 Euro

Viele, die Geisteswissenschaften studieren, werden später Yoga-Lehrer. So auch Bettina Schuler, die einer Syrerin Yoga beibrachte und nun ein Buch über Flüchtlingshilfe und die schwierige Situation der Neuankömmlinge geschrieben hat - aber auch über schöne gemeinsame Momente. Das Buch zur Willkommenskultur.

Bettina Schuler: Norahib bikom heißt willkommen. Eden Books, 224 Seiten, 15,40 Euro.

Mano Bozamour hat eine in den Niederlanden viel diskutierte Zeitungskolumne. Nun sorgte er mit seinem autobiografischen Roman „Samir, genannt Sam“ für Furore. Bozamour beschreibt eine Jugend als marokkanischer Einwanderer in Amsterdam, die trotz aller Tücken ordentlich witzig sein kann. Ein Leben voller verwirrender Kontraste.

Mano Bouzamour: Samir, genannt Sam. Residenz, 296 Seiten, 22 Euro.

Peter Bauer, Romana Beer, Alexander Musik, Armin Sattler, Simon Hadler, Johanna Grillmayer, Petra Fleck, Philip Pfleger

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