„Ein Euro scheppert nicht alleine“
ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat sich Dienstagabend positiv über sein neues Gegenüber bei der SPÖ geäußert. Bei der Problemerkennung habe man „durchaus die gleiche Wellenlänge“, sagte er im ORF-„Report“. Die Kritik Christian Kerns an Fehlleistungen der rot-schwarzen Koalition ließ er durchaus gelten: „Wir waren Teil des Systems“, und „ein Euro scheppert sicher nicht allein“.
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Er wolle eine neue Zusammenarbeit, so Mitterlehner, der hier an die Steiermark unter Franz Voves (SPÖ) und Hermann Schützenhöfer (ÖVP) erinnerte. Es brauche eine Bundesregierung, die gemeinsam regiere und dabei Erfolge feiere. „Daher muss das Querschießen auf allen Ebenen der Regierungs- und Parlamentstätigkeit ein Ende haben.“ Er sei überzeugt, dass dies das Bessere sei, so Mitterlehner in Bezug auf die jüngsten Attacken seines Klubobmanns Reinhold Lopatka gegen Kern.
Mitterlehner im ORF-„Report“
ÖVP-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Mitterlehner äußerte sich im ORF-„Report“ selbstkritisch über die bisherige Arbeit der Koalition.
„Viele neue Chancen werden wir nicht haben. Die wollen wir ergreifen.“ Seine eigenen früher geäußerten Zweifel seien rein auf die fehlende Regierungserfahrung Kerns bezogen gewesen. An dessen Managementqualität habe er niemals gezweifelt.
Lopatka wortkarg
Lopatka gab sich am Mittwoch wortkarg zur Kritik an seinen Aussagen über Kern: „Mein Blick ist nach vorn gerichtet.“ Kern selbst hatte mit seinem ersten Auftritt am Dienstag offenbar mit Blick auf Lopatkas mehrmalige Attacken gemeint: „Manchmal habe ich das Gefühl, da gibt es Leute, die sind politische Selbstmordattentäter, die sich einsam in einer Telefonzelle in die Luft sprengen.“
Optimistischer als Lopatka zeigten sich am Mittwoch andere ÖVP-Regierungsmitglieder, darunter Familienministerin Sophie Karmasin und Finanzminister Hans Jörg Schelling. Innenminister Wolfgang Sobotka freute sich, dass der neue Kanzler die „Linie in der Asylfrage hält“.
Keine Umbildungen im ÖVP-Kabinett
Eine Regierungsumbildung auf ÖVP-Seite werde es nicht geben, so Mitterlehner. Man sei zum Schluss gekommen, ein gutes und eingearbeitetes Team zu haben, sagte der ÖVP-Chef. Dass er keine vorgezogenen Neuwahlen erwarte, bestätigte er: „Das ist eine total richtige Interpretation.“
In Sachen Asylpolitik betonte er das Beibehalten der gemeinsamen Linie. Das habe man auch beim heutigen Gespräch beredet. Was die im Asylgesetz jüngst verankerte Möglichkeit zu einer Notfallverordnung betrifft, müsse man hier noch konkretisieren.
Tusk freut sich auf EU-Gipfel mit Kern
EU-Ratspräsident Donald Tusk hofft unterdessen auf eine „enge Zusammenarbeit“ mit Kern. In einem am Dienstagabend veröffentlichten Schreiben bezeichnete es Tusk in Anspielung auf die Zerwürfnisse in der Flüchtlingskrise als „essenziell“, dass Österreich weiterhin konstruktive Beiträge für europäische Lösungen leiste und die Einheit gewahrt bleibe. Tusk wünschte Kern und seiner Regierung „jeglichen Erfolg bei Ihren Bemühungen“. Er freue sich auf ein Zusammentreffen beim EU-Gipfel im Juni.
Leitl: Österreich „aufsandeln“
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat hohe Erwartungen an die neue Regierung. „Ich erwarte eine Schubumkehr vom Abstieg zum Wiederaufstieg“, sagte Leitl im Gespräch mit der APA. „Wir sind in den letzten Jahren Schritt für Schritt zurückgefallen, wir sind abgesandelt, jetzt müssen wir wieder aufsandeln“, so Leitl.
Er hoffe auf eine „Rückkehr auf den Wachstumspfad“ und eine „Willkommenskultur für Leistungsträger dieses Landes“ - wozu er nicht nur Selbstständige, sondern auch sehr viele Unselbstständige zähle. Alle Steuerzahler seien durch vier Sparpakete in Folge „frustriert“, eine neue Regierung müsse sie neu motivieren indem sie Konjunkturimpulse, Wachstumsimpulse und damit Beschäftigungsimpulse setze.
Dem neuen Kanzler Kern attestiert Leitl „Managementfähigkeiten - er kann Ziele setzen, für die Ziele Zustimmung erhalten, dann umsetzen und ein Controlling installieren“. Der bisherige Mangel an Managementfähigkeiten sollte jetzt umgekehrt werden, hoffte Leitl. Auch von der Industriellenvereinigung (IV) kommt neben einer Gratulation an Kern ein Appell: Es sei keine Zeit zu verlieren, das könne sich das Land nicht leisten, mahnte IV-Präsident Georg Kapsch in einer Aussendung.
Scharfe Kritik der FPÖ
Aus der Opposition kam unterdessen teilweise scharfe Kritik an der Regierungsumbildung. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kritisierte in einem Facebook-Posting nach Kerns erster Pressekonferenz die Fortsetzung der „SPÖ-Ausgrenzungsdoktrin gegen die FPÖ“. Kern habe die „SPÖ-Weichen auf Rot-Grün gestellt“. Zuvor hatte bereits FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl die Terminplanung bei der Regierungsumbildung kritisiert.
Oppositionsreaktionen auf Kern-Angelobung
Wenig Hoffnung auf den angekündigten Neustart der Regierung und den neuen Politikstil haben die Oppositionsparteien. SPÖ und ÖVP hätten schon zu oft Reformen versprochen und dann nicht umgesetzt.
Kickl empörte, dass die Tagesordnung des Nationalrats wegen der Umbildung des SPÖ-Regierungsteams geändert wurde. Er zog daraus den Schluss, dass „die Chaospolitik der SPÖ mit Christian Kern unverändert weitergeht“. Die FPÖ will einen Neuwahlantrag einbringen.
Glawischnig sieht „gute Hoffnung“
Grüne und Team Stronach (TS) wollen dagegen Kern eine Chance geben. Grünen-Chefin Eva Glawischnig wünschte dem künftigen Regierungschef am Dienstag in einer Pressekonferenz viel Glück, forderte aber gleichzeitig von ihm Reformen. Die Grünen wollten „konstruktiv“ auf das neue SPÖ-Team zugehen, betonte Glawischnig. Sie sei „guter Hoffnung“, dass sich auch etwas ändern wird.
Bei der Bildungsreform, beim Klimaschutz und im Arbeitsmarktbereich sieht Glawischnig den größten Handlungsbedarf. Die „Zäsur“ steht ihrer Ansicht nach im Herbst an, wenn das Budget beschlossen wird. Da erwartet Glawischnig von der neuen Regierung neue Akzente im Vergleich zum am Donnerstag im Nationalrat zu beschließenden Finanzrahmen.
„Letzte Chance“
Die grüne Bundessprecherin sieht allerdings jetzt „die letzte Chance“ für die Koalition. Sollte sie jetzt scheitern, sei die Gefahr einer blauen Regierung groß. Ein gutes Zeichen sieht sie aber auch darin, dass ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka nach seiner Attacke gegen Kern parteiintern einen Rüffel erhielt. Dem Neuwahlantrag der FPÖ im Nationalrat werden die Grünen nicht zustimmen. Das würde auch weitere Monate Stillstand bedeuten, so Glawischnig. Von der FPÖ habe sie nichts anderes erwartet, überrascht zeigte sie sich allerdings, dass auch NEOS der neuen Regierung so kritisch begegne.
TS: Besser als Faymann
Auch vom TS erhält Kern einen Vertrauensvorschuss. Klubobmann Robert Lugar zeigte sich bei einer Pressekonferenz am Dienstag zwar alles andere als begeistert von Kern, er hoffe aber, dass dieser in der Regierung mehr weiterbringe als bei den ÖBB, sagte er. Kern sei als ÖBB-Chef „kein großer Reformer, mehr ein Stillstandsverwalter“ gewesen, meinte Lugar. So habe er „die Überbesetzung von Personalstrukturen, die aus dem Mittelalter stammen, nie in Angriff genommen“. Er sei allerdings „froh, dass (Werner, Anm.) Faymann das Handtuch geworfen hat“, sagte Lugar, denn dieser habe nicht mehr viel weitergebracht, und der Stil in der Regierung sei „unterirdisch“ gewesen.
Skepsis bei NEOS
„Wir hoffen, dass das mit einem neuen Bundeskanzler besser wird.“ Auch einen „Forderungskatalog“ an den neuen Regierungschef deponierte Lugar: „Wir wünschen uns, dass er die Bildungsministerin abberuft und endlich jemanden einsetzt, der etwas davon versteht.“ Außerdem forderte er, dass die Regierung den Kurs in der Flüchtlingsfrage hält und „die Notstandsmöglichkeiten auch nützt“.
Skeptisch hatte sich bereits in der Vorwoche NEOS-Chef Matthias Strolz gezeigt. Es brauche einen „neuen Zugang zu politischen Lösungen abseits der Parteiapparate“. Aber auch Kern werde die „alten Fesseln tragen“. Das Problem seien weniger die Personen als vielmehr die „strukturelle Versteinerung“ und die „machtbesessene Ignoranz“ von SPÖ und ÖVP. Nur Neuwahlen seien daher eine Chance für „echte Veränderung“.
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