Bittere Zeiten fürs süße Geschäft
Die europäische Zuckerindustrie ist ab dem nächsten Jahr fast auf sich allein gestellt. Die strengen Regulierungen der Europäischen Union zur Sicherung der Zuckerindustrie werden fallen, womit eine neue Ära eingeläutet wird. Die umfassendste Änderung ist die Streichung der Produktionsquoten und Mindestpreise für Zuckerrübenbauern.
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Sobald die Quotenregelungen der EU Geschichte sind, soll eine gezielte Überproduktion der Zuckerrübenbauern die Gewinneinbußen durch den Wegfall der Mindestpreise ausgleichen. Unmengen von geplant überproduziertem Rübenzucker sollen dann auf die Exportmärkte verlagert werden. Dadurch erhofft sich Europa einen erheblichen Aufstieg auf dem Weltzuckermarkt.
Derzeit liegt die Gesamtproduktionsquote der EU bei 13,5 Millionen Tonnen Zucker. 19 Mitgliedsstaaten teilen die Quote untereinander auf. Sollte ein Zuckerüberschuss oder -mangel zu befürchten sein, regelt die EU die Zuckerproduktion per Beschluss und ordnet der Landwirtschaft an, die Aussaat entsprechend anzupassen. Diese Quotenverwaltung endet mit Oktober 2017.
Niedrigeres Preisniveau erwartet
„Die ganze Zuckerwelt wird durcheinandergeschüttelt werden“, sagte Hartwig Fuchs, Vorstandsvorsitzender der Nordzucker AG, Europas zweitgrößtem Zuckerproduzenten, im Interview mit dem „Wall Street Journal“. Fuchs schätzt, dass Europa das Potenzial habe, zusätzliche 3,5 Millionen Tonnen Zucker auf den globalen Markt zu bringen - rund sechs Prozent des heurigen weltweiten Handelsvolumens.

APA/dpa/Roland Scheidemann
Auch die Zuckerraffinerien sind von den Änderungen betroffen
Die kommenden Änderungen erhöhen die Unsicherheit in einer unbeständigen Zeit auf dem Zuckermarkt. Nach fünf Jahren, die von Überschüssen und stagnierenden Preisen geprägt waren, wird der Konsum das Angebot heuer wieder übertreffen. Die Nachfrage hat zugenommen, weil die Ernten in vielen Teilen der Welt den Dürren zum Opfer gefallen sind. Dennoch glauben Analysten, dass die Zuckerrübenpreise durch die gewünschte Überproduktion gedrückt werden. Der Preiskampf beginnt schon jetzt, denn die Zuckerrübenproduzenten senken bereits die Preise, um sich vor dem Umbruch einen Marktanteil zu sichern.
Zuckerrübe versus Zuckerrohr
Doch während der Zuckerrübenmarkt liberalisiert wird, bleiben die strengen Restriktionen bei Importen von Zuckerrohr in die EU aufrecht. Diese Kombination könnte Importeure wie Tate & Lyle Sugars aus London in die Enge treiben. Deren Zuckerraffinerie verfeinert seit 138 Jahren Zuckerrohr zu Zucker. Das Verfeinern von Zuckerrohr in Europa ist eine Tradition, die auf die Kolonialzeit zurückgeht.
Im Jahr 2006 beschränkte die EU die Importe von Zuckerrohr, indem sie europäische Raffinerien zwingt, einen Einfuhrzoll von mindestens 339 Euro pro Tonne Zuckerrohr abzuführen. Die Importkosten von Zuckerrohr der großen Produzenten wie Brasilien oder Thailand verdoppeln sich dadurch. Nur Zuckerrohr aus den Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten und der Least Developed Countries - eine Gruppe der ärmsten Länder der Welt - sind von den hohen Importzöllen befreit. Eine EU-Maßnahme zur wirtschaftlichen Förderung dieser Länder. Diese Einfuhrbeschränkung zwingt die europäischen Raffinerien, das zollfreie Zuckerrohr zu importieren, um kosteneffektiv produzieren zu können.
Insgesamt stehen damit aber nur fünf Prozent der globalen Zuckerrohrproduktion für den Import zur Verfügung – zu wenig, um die Kapazitäten der Raffinerien in Europa auszulasten. Schon jetzt beträgt die Auslastung von Tate & Lyle nur noch 60 Prozent. „Wird diese unfaire Regelung nicht angepasst, werden wir nach 2017 und der Überflutung von Zuckerrüben nicht mehr wettbewerbsfähig sein“, sagt Gerald Mason, Vizepräsident von Tate & Lyle. Zusammen mit anderen europäischen Raffineuren kämpft er mit der Kampagne „Save Our Sugar“ für gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für Rohr- und Rübenzuckerhersteller.
Zuckermacht Brasilien
Erst vor zehn Jahren wurde die europäische Zuckerwelt erschüttert. Brasilien, Thailand und Australien beschwerten sich im Jahr 2005 bei der Welthandelsorganisation (WTO) über die Subventionen der europäischen Zuckerproduktion. Eine drastische Kürzung der Mittel der EU war die Folge. Jetzt geht Brasilien einen Schritt weiter und wendet sich gegen einen seiner ehemaligen Verbündeten.
Brasilien, der weltgrößte Zuckerproduzent, beschuldigt Thailand, den zweitgrößten Zuckerexporteur, eigene Produkte zu subventionieren. Laut Brasilien ist das ein Bruch der WTO-Regeln, der den eigenen Exporteuren circa eine halbe Milliarde pro Jahr koste. Gibt die WTO Brasilien recht, wird der Konkurrenzkampf auf dem Zuckermarkt noch härter. Weltweit stellen sich die Produzenten schon jetzt auf die Umbrüche ein.
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