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Turbulenter Abend mit Folgen?

Erst ganz am Schluss ist die Siegerin festgestanden: Die Krimtatarin Jamala hat am Samstag den 61. Eurovision Song Contest in Stockholm für die Ukraine entschieden. Mit 534 Punkten in der Gesamtwertung setzte sie sich gegen die Australierin Dami Im (511 Punkte) und den Russen Sergej Lasarew (491 Punkte) durch.

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Erstmals wurden Jury- und Publikumswertung getrennt verkündet. Auch wenn der neue Modus gewöhnungsbedürftig und ein bisschen kompliziert ist: Das Ziel, die Spannung zu erhöhen, wurde jedenfalls erreicht. Wäre es nur nach den Jurypunkten gegangen, hätte Australien den Sieg geholt.

Die Zuschauer wiederum stellten den haushohen Favoriten aus Russland ganz an die Spitze und hätten damit den verkrampft ehrgeizigen Siegesplänen fast in die Hände gespielt. In Summe setzte sich dann aber doch Jamala mit ihrer dramatischen Politballade durch. Das einzige Land, das der Ukraine gar keine Punkte schenkte, blieb Island.

Song-Contest-Gewinnerin Jamala (Ukraine) mit Trophäe und Blumen

APA/AFP/Jonathan Nackstrand

Bis zuletzt blieb es spannend - doch am Ende durfte Jamala jubeln

Zoe punktet fast nur beim Publikum

Für die heimische Kandidatin Zoe sah es nach der Schaltung zu den Länderjurys düster aus. Gerade 31 Punkte gab es von den Experten, weniger bekamen nur Deutschland und Polen. Mit den 120 Publikumspunkten gelang ihr dann noch der Sprung auf Platz 13.

Aufgegangen ist die Strategie, mit dem französischen Text ihres Beitrags „Loin d’ici“ in den frankophonen Ländern zu punkten. Gleich zehn Punkte kamen vom Schweizer Publikum, acht vom französischen. Acht Punkte gab es auch aus Russland, sechs aus Kroatien, den Niederlanden, Estland, Finnland, Ungarn und Slowenien. Insgesamt belegte Zoe bei den Zusehern Rang acht. Im Semifinale am Dienstag wurde Zoe übrigens Siebente und bekam dabei von der französischen Jury zwölf Punkte.

ESC-Teilnehmerin Zoe aus Österreich

AP/Martin Meissner

Für die Top Ten hat es dann doch nicht ganz gereicht

Deutsche Bruchlandung

Und unser Lieblingsnachbarland? Sieben Punkte hatten die deutschen Zuseher für Zoe übrig, während die dortige Jury ausließ. Revanchiert hat sich das österreichische Publikum mit zwei Mitleidspunkten für Mangamädchen Jamie-Lee, die mit insgesamt nur elf Punkten eine nicht ganz unerwartete Bruchlandung hinlegte.

Überhaupt war es für die „Big Five“, die gleich im Finale antreten dürfen, ein durchwachsener Abend. Nur Frankreich konnte die prognostizierte Platzierung unter den Top Ten erreichen. Italien landete im Mittelfeld, Spanien recht weit hinten, und Großbritannien dürfte sich schon vor einigen Jahren aufgegeben haben.

Ein überraschender Publikumsliebling

Für die meisten Diskussionen in einschlägigen Foren sorgte die Bewertung des polnischen Kandidaten Michal Szpak. Während er bei den Jurys völlig durchfiel, lag er beim Publikum insgesamt auf Platz drei, was ihn schließlich in der Gesamtwertung auf Platz acht katapultierte.

Erklärt wird der Erfolg des krassen Außenseiters und seiner unspektakulären Nummer „Colour of Your Life“ am ehesten durch die tatkräftige Unterstützung der in ganz Europa verteilt lebenden polnischen Community. Auch das heimische Publikum gab Szpak die Höchstwertung.

Teilnehmer aus Polen während des Song Contest in Stockholm

AP/Martin Meissner

Die Überraschung des Abends kam aus Polen

Bei anderen Ländern sah es genau umgekehrt aus. Belgien, die Niederlande, Israel und Malta konnten zum Großteil nur bei den Jurys Punkte sammeln. Ein derartiges Auseinanderklaffen gab es in den vergangenen Jahren freilich auch immer wieder, durch den neuen Modus wurde es dieses Mal einfach transparenter.

Russisch-ukrainisches Politmatch

Unter besonderer Beobachtung standen von vornherein die Bewertungen zwischen der Ukraine und Russland. Während sich die beiden Jurys gegenseitig mit verachtender Ignoranz und null Punkten straften, schickte das ukrainische Publikum die Höchstwertung nach Russland und bekam dafür zehn Punkte zurück.

Mit dem Sieg von Jamala, die im Gewinnertitel „1944“ über die Vertreibung ihrer Vorfahren durch Stalin von der Krim singt, wurde jedenfalls einmal mehr die Debatte über Politik beim Song Contest angeheizt. Der Veranstalter European Broadcasting Union (EBU) hatte im Vorfeld den Titel als regelkonform unpolitisch eingestuft, muss sich jetzt aber mit den erwartbaren Reaktionen herumschlagen.

Sieg mit Sprengpotenzial

Aus der russischen Politik wurden umgehend Boykottdrohungen für den Bewerb im nächsten Jahr laut. Ranghohe Kreml-Vertreter sprachen sogar von einer Gefahr für den ohnehin stockenden Friedensprozess in der Ostukraine. Umgekehrt bejubelt die ukrainische Regierung den Sieg und will ihn auch politisch ausschlachten.

Auf die Spitze getrieben wird die Debatte mit der Frage, wo genau der Song Contest im nächsten Jahr ausgetragen werden soll. Neben der logischen Austragungsstadt Kiew plädiert man aus Jamalas Fankreisen für Jalta auf der Krim. Auch wenn das völlig unrealistisch ist, zeigt schon die Forderung, wie viel Sprengpotenzial der Song Contest im nächsten Jahr haben wird.

Sophia Felbermair und Christian Körber, ORF.at

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