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David bezwingt Goliath

Das Finale des 61. Eurovision Song Contest hatte sich als Duell zwischen Russland und der Ukraine angekündigt - und so kam es dann auch, obwohl sich über lange Phasen des Votings ein australischer Sieg abzeichnete. Es war ein turbulentes Finale. Und damit hat der Song Contest einen höchst politischen Siegertitel, wie ihn der Wettbewerb zuvor noch nicht gesehen hat.

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Die Siegerin des 61. Song Contest heißt Jamala. Ihr dramatisch intonierter Titel „1944” erzählt von der Deportation der Krimtataren - ein höchst eindringlicher Song, abseits der üblichen Song-Contest-Fröhlichkeit. Er verweist auf ein dunkles Kapitel der Sowjetunion und lässt dabei auch an die Gegenwart auf der Krim denken. Die Ukraine hat damit den Song Contest zum zweiten Mal gewonnen.

Freude bei Song-Contest-Gewinnerin Jamala (Ukraine)

APA/AFP/Jonathan Nackstrand

Die Siegerin des 61. Song Contest heißt Jamala und kommt aus der Ukraine

Der russische Favorit Sergej Lasarew, der deutliche Anleihen beim letztjährigen Siegertitel von Mans Zelmerlöw nahm, war dann doch nicht „Mans genug“, um den 61. Song Contest für sich zu entscheiden. Trotz eines massiven Technikaufgebots in der Inszenierung landete Russland auf Platz drei. Den zweiten Platz belegte Australien, das in der Jurywertung deutlich voran lag, aber nach der Auszählung der Publikumsstimmen dann doch hinter die Ukraine rutschte.

ESC-Teilnehmerin Dami Im aus Australien

APA/AFP/Jonathan Nackstrand

Haarscharf am Sieg vorbei: Dami Im hätte den Song Contest fast für Australien entschieden

Zoe punktete beim Publikum

Für den Beitrag von Österreichs Zoe wurde es am Ende des Votings der gute 13. Platz. Sie kam vor allem beim Publikum gut an. Die Jury hatte in ihren Votings andere Präferenzen als die stets strahlende Wienerin. Insgesamt erhielt Zoe 151 Punkte, davon nur 31 von den Jurys. Je acht Punkte schickten Frankreich und die Niederlande.

120 Punkte kamen von den Zusehern. Gleich zehn Punkte kamen vom Schweizer Publikum, acht vom französischen und vom russischen. Sieben Punkte hatten die deutschen Zuseher für Zoe übrig, während die Jury des Nachbarlands ausließ. Sechs Publikumspunkte kamen außerdem aus Kroatien, den Niederlanden, Estland, Finnland, Ungarn und Slowenien. Insgesamt belegte Zoe bei den Zusehern Rang acht. Im Semifinale am Dienstag wurde Zoe übrigens Siebente und bekam dabei von der französischen Jury zwölf Punkte.

ESC-Teilnehmerin Zoe aus Österreich

Reuters/TT News Agency

Für Zoe wurde es der 13. Platz. Sie holte die Stimmen vor allem im Telefonvoting.

Bemerkenswertes Bulgarien

Eine der ganz großen Überraschungen des Finales ist der vierte Platz Bulgariens. Poli Genova setzte mit „If Love Was A Crime” auf einen gefälligen Tanzsong und reüssierte vollkommen unerwartet. Titelverteidiger Schweden machte in Stockholm mit Frans und „If I Were Sorry” den fünften Platz vor Frankreich mit „J’ai cherche” von Amir - eines der freundlichsten Gesichter des Finalabends, der von Zelmerlöw und Petra Mede moderiert wurde.

Belgien, das in Stockholm mit der Startnummer eins einen mitreißenden Auftakt mit der jungen Laura Tesoro bot, die mit „What’s The Pressure” zwischen Disco und Soul maximale Leichtfüßigkeit erzeugte, holte sich Platz zehn. Ieeta Mukutschlan, die armenische Badenixe im Zorro-Mantel, die ihre spärliche Bekleidung durch massiven Einsatz von Flammenwerfern zu kompensieren wusste, landete aufgrund der Effekteinlagen ohne Erkältung auf der Nummer sieben.

Ebenso überraschend war der neunte Platz für Donny Montell aus Litauen und vor allem Platz acht für Michal Szpak aus Polen, der in den vergangenen Tagen aufgrund seiner Gesichtsbehaarung auch als polnische Conchita bekannt geworden war. Der Mann hätte aber auch das Zeug als Darsteller in einem Mantel-und-Degen-Film.

Italopop aus dem Dekogeschäft

Die Niederlande mit dem Wohlfühlsong „Slow Down” von Douwe Bob, der aus dem Starterfeld deutlich herausragte, landeten auf Platz elf. Ira Losco aus Malta marschierte mit „Walk On Water” auf Platz zwölf. Israels Hovi Star, der abermals die Funken fliegen ließ, platzierte sich mit „Made Of Stars” direkt hinter Zoe auf der 14.

„No Degree Of Separation” der italienischen Teilnehmerin Francesca Michielin bildete eine optische Reise durch ein Dekogeschäft und gab sich den Formeln des Italopop hin, was selten schlecht ist. Das ergab am Ende des Votings jedoch nur den 16. Platz für einen sehr sympathischen Beitrag.

Der verirrte Manga-Hirsch

Eines der eigenwilligsten Bühnenschauspiele des heurigen Jahres lieferte ohne Zweifel Deutschland ab. Als Manga-Hirsch im Fantasy-Wald wirkte Jamie-Lee Kriewitz verloren wie kaum ein anderer Teilnehmer in Stockholm. „Ghost” landete auf dem letzten Platz. Allerdings nicht mit null Punkten wie im letzten Jahr. Heuer sind es ganze elf. Spanien tat sich mit Barei und „Say Yay!” ebenso schwer – Platz 22 für das Big-Five-Land. Und die Bubis Joe & Jake aus Großbritannien pendelten sich am Ende des Votings auf der 24 ein. Die Pechsträhne Großbritanniens der letzten Jahre setzt sich damit fort.

Zweifelhafte Anwartschaft

Nina Kraljic mit „Lighthouse” beendete das Finale ebenso abgeschlagen auf Rang 23. Immerhin wird die Kroatin als heißeste Kandidatin für den Barbara-Dex-Award gehandelt - der Preis prämiert das scheußlichste Outfit einer jeden Song-Contest-Austragung. Kraljic stand als textiler Leuchtturm auf der Bühne. Ein unbewegliches Schauspiel, über das auf diversen Social-Media-Kanälen seit dem ersten Halbfinale am Dienstag bereits gewitzelt wurde. Doch sie hat in Jamie-Lee Kriewitz in dieser Kategorie starke Konkurrenz.

Der fladernde Freddie

Und auch Serbien mit Sanja Vucic ZAA, Aserbaidschans Samra und Gabriela Guncikova landeten abgeschlagen im hinteren Drittel. Tschechien hatte bei der ersten Finalteilnahme überhaupt so gar kein Glück und belegte den vorletzten Platz. Der schöne Freddie aus Ungarn bekam die Rechnung dafür präsentiert, dass er sich für „Pioneer” in ziemlich dreister Manier bei der Hookline von Avril Lavignes „Complicated” bedient hat und muss sich mit der 19. Platzierung zufriedengeben.

Und so erfrischend die Finalteilnahme von Nika Kocharov and Young Georgian Lolitaz für die allgemeine musikalische Durchmischung des heurigen Song Contest war, so wenig wurde der Beitrag, der an die Brit-Pop-Szene der frühen 1990er und den Sound Manchesters erinnerte, von den Jurys und vom Publikum goutiert. Minus One aus Zypern erging es ganz ähnlich. Die Band konnte mit „Alter Ego”, das mit seinem stampfenden Rhythmus sehr von den US-Rockern Killers inspiriert ist, nur den 21. Platz erreichen.

Lokalkolorit nur in Spurenelementen

Der 61. Song Contest in Stockholm machte aber auch einmal mehr deutlich, dass die Globalisierung der Popkultur munter voranschreitet. Mit nationaler Identität spielten nur wenige Teilnehmerländer – jene, die sich dennoch darin übten, taten das umso vehementer.

Doch viel eher hätte man Deutschland als japanischen Beitrag verstehen können. Georgien bezog sich auf eine spezifische britische Musikperiode mit allen optischen Erkennungsmerkmalen, wie Zypern zeitgenössischen US-Rock imitierte und Belgien in diversen Black-Music-Derivaten fischte, dabei aber zumindest eine eigene choreografische Identität fand. Die Niederlande scheinen sich ohnehin auf Country eingeschworen zu haben.

Ganz zu schweigen von der Unzahl an schablonisierten Popsounds, die sich ohnehin jeglicher geografischen Kategorisierung entziehen, wie etwa die Beiträge Bulgariens, Israels, Maltas und auch Russlands zeigen. Spanien schickte überhaupt erstmals einen englischsprachigen Song ins Rennen um den Song Contest.

Der Erfolg mit der Ersatzidentität

Und natürlich reiht sich in den Reigen des kulturellen Fremdgehens besonders Zoe ein, die beim 61. Song Contest mit einer französischen Ersatzidentität angetreten ist und mit ihrem 13. Platz zeigte, dass Authentizität keine Frage der Herkunft ist - solange das Charisma und die vermittelte Emotion stimmt. Und das wird wohl auch im Jahr 2017 keine Frage sein, wenn der Song Contest zum zweiten Mal in der Ukraine über die Bühne gehen wird.

Johannes Luxner, ORF.at

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