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Große Kunst zum kleinen Preis

Die Sammlerin Peggy Guggenheim hat im Laufe ihres Lebens mit wenig Geld eine Sammlung moderner Kunst zusammengekauft, die heute unbezahlbar ist und ihresgleichen sucht. Hinter der Kunst verbirgt sich eine tragische Persönlichkeit, wie die Dokumentation „Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst“ von Lisa Immordino Vreeland zeigt.

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Guggenheims Vater Benjamin starb 1912 beim Untergang der Titanic. Die Tochter erbte, was es ihr leichter machte, so schnell wie möglich der ungeliebten Gesellschaft ihrer Familie und der New Yorker High Society nach Paris zu entfliehen. Guggenheim fühlte sich früh zur Kunst hingezogen und auch zu den Männern, die diese Kunst erschufen. Schnell bekam die wohlhabende Amerikanerin Zutritt zu den entsprechenden Pariser Kreisen: zu Max Ernst, Marcel Duchamp, in die Ateliers von Yves Tanguy, Jean Arp und Alberto Giacometti.

Es war eine leichtlebige Boheme, die Guggenheim da kennenlernte; mit vielen Künstlern fing die schillernde Erbin aus Übersee, die Kunst als Autodidaktin aus dem Bauch heraus beurteilte, eine Affäre an. Viele nutzten sie aus, ihr Geld und ihre Kontakte. Guggenheim sagte das alles selbst in dem langen Interview, das ihre Biografin gegen Ende ihres Lebens mit ihr führte. Regisseurin Vreeland fand diese Tonbänder im Keller der Biografin. Das Interview bildet das dramaturgische Gerüst für ihr Porträt der Kunstsammlerin mit den zahlreichen Affären.

Heftiges Namensroulette

Vreeland hat darüber hinaus fleißig historisches Material ausgegraben. Es zeigt Aufnahmen Dutzender Künstler, die heute längst ihren Platz in der Kunstgeschichte haben, doch zu Peggys Pariser Zeiten eben noch als freche Bilderstürmer galten. Gehandelt wurden ihre Werke damals zu Preisen, über die Guggenheim im Interview selbst lachen muss. Aber wer war die Frau, die sich rein instinktiv mit Werken umgab, die später unbezahlbar werden sollten und den Kanon moderner Kunst des 20. Jahrhunderts bildeten?

Peggy Guggenheim mit Hunden

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Guggenheims Vater starb beim Untergang der Titanic im Jahr 1912

Die Regisseurin lässt zur Antwort auf diese Frage unzählige Interviewpartner zu Wort kommen: Museumsdirektoren, Kunsthändler wie Larry Gagosian, Kunsthistoriker, Künstlerkollegen wie Marina Abramovic und Robert de Niro. Denn auch dessen Mutter stellte in Guggenheims späterer Galerie in New York aus. Alle dürfen bei diesem heftigen Namedropping zwei, drei Sätze einwerfen. Ein Statement folgt auf das nächste, was es schwer macht, den Gehalt der einzelnen Aussagen zu fassen.

Das Problem mit der Nase

Aus Angst vor Längen, so scheint es, hat Vreeland ihre Doku zu einer atemlosen Collage gemacht: Auch die einzigartigen Kunstwerke, die in ihrem Film auftauchen, sind nur für kurze Augenblicke zu sehen, bevor das nächste auftaucht. Zeit zu wirken haben in diesem Film weder Bilder noch Worte. Das liegt auch daran, dass die Regisseurin in 96 Minuten auch noch das Schicksal von Guggenheims Kindern, Pegeen und Sindbad, abwickeln will.

Trotzdem bleibt in diesem rasanten Bilderstrom, der gleichwohl filmisch konventionell daherkommt und das Leben der mutigen Sammlerin einfach chronologisch abhandelt, natürlich etwas hängen: nicht nur dass Guggenheim zeitlebens unter ihrer großen Nase litt und diese mit Hilfe eines (missglückten) Eingriffs verkleinern lassen wollte. Oder ihre Leidenschaft für Hündchen, mit denen sie sich zu umgeben liebte.

Der Name Peggy Guggenheim steht auch für das unbedingte Eintreten für gefährdete Künstler. Max Ernst, der sie heiratete, obwohl sie ihm offensichtlich nichts bedeutete, konnte sich durch sie aus dem besetzten Paris in die USA absetzen. Dort wandte er sich gleich wieder seinen Liebschaften zu. Und auch anderen prominenten Künstlern verhalf die Sammlerin mit Protektion und Geld zur Flucht aus dem von den Nazis besetzten Paris.

Abrechnung mit Pariser Ignoranz

Dank erntete sie dafür nicht immer, suggeriert der Film. Als hässliches Entlein, das sich mit bedeutenden Männern umgebe, um selbst etwas darzustellen, wurde sie verunglimpft. Als ahnungslose Sammlerin von Ramsch und Pseudokunst. Vielleicht war das der Grund, weshalb der Pariser Louvre in den 1940er Jahren befand, dass Guggenheims Sammlung nicht wert sei, vor Luftangriffen geschützt zu werden.

Guggenheim vergaß diese Kränkung nicht. Als sie Jahrzehnte danach, längst geehrt und mit eigenem Museum für die Sammlung in Venedig, nach Paris eingeladen wurde, erinnerte sie die Franzosen noch einmal an die katastrophale Fehleinschätzung von damals.

Guggenheim, die New Yorkerin, wollte immer in Europa leben, und so kehrte sie nach dem Krieg dorthin zurück. In Venedig kaufte sie sich einen unfertigen Palazzo, der bis heute ihre Sammlung ausstellt. Dort, im Garten des Palazzo Venier di Leoni am Canale Grande, wurde sie 1979 auch begraben. Zusammen mit 14 Hündchen, ihren „geliebten Babys“, wie der Grabstein vermerkt.

Alexander Musik, ORF.at

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