„Regierung braucht einen Neustart“
Mitten in den SPÖ-Spitzentreffen am Montag kommt der Knalleffekt: Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann legt all seine Funktionen zurück. Am Wochenende hatte es noch so ausgesehen, als ob sich Faymann die nächsten Monate als Parteichef halten kann. Immerhin hatte Kanzleramtsminister und Faymanns enger Vertrauter Josef Ostermayer an Kompromissvorschlägen gebastelt.
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„Dieses Land braucht einen Kanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht. Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten“, so Faymann Montagmittag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. „Ich lege meine Funktionen als Bundeskanzler und SPÖ-Chef zurück“, sagte Faymann, der nach der Bundespräsidentschaftswahl stark unter Beschuss geraten war.
Faymann wünscht Nachfolger „alles Gute“
„Es geht um viel, es geht um Österreich“, er sei „sehr dankbar“, dass er „diesem Land dienen“ durfte. Er sei stolz auf Österreich. Das Land habe etwas geleistet und Zehntausenden Menschen Asyl gegeben. „Es wäre verantwortungslos gewesen, nicht auch eigene Maßnahmen zu setzen“, so Faymann über den Flüchtlingskurs der Regierung. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass dieses Land stark genug ist, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“
Faymann legt alle Funktionen zurück
Bei einer Pressekonferenz Montagmittag begründete Faymann seinen Schritt mit fehlendem Rückhalt.
In dieser Zeit gehe es nicht darum, wer die Mehrheit in der Partei hat, sondern darum, wer „in dieser schwierigen Zeit der großen Herausforderungen“ - wie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, den schwierigen Wettbewerbsbedingungen und der Flüchtlingskrise - zurande komme. Zum Ende seiner Pressekonferenz verabschiedete er sich noch mit einem „Alles Gute“ für seinen Nachfolger.
Mitterlehner interimistisch Kanzler
Faymann reichte mittlerweile offiziell seine Demissionierung bei Bundespräsident Heinz Fischer ein. Faymann teile darin dem Präsidenten mit, dass er mit Montag alle Ämter zurücklege, hatte es zuvor geheißen. Fischer werde Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am späten Nachmittag mit der Fortführung aller Geschäfte beauftragen, hieß es aus der Präsidentschaftskanzlei.

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Mitterlehner übernimmt interimistisch die Agenden des Bundeskanzlers
Fischer und Mitterlehner vorab informiert
Die Erklärung Faymanns kam nach einem Treffen mit den SPÖ-Landesparteichefs im Bundeskanzleramt. Dort informierte Faymann über seinen Schritt. Zuvor habe er nur mit wenigen Menschen darüber gesprochen, so Faymann. Mitterlehner habe er bereits persönlich informiert. Auch Fischer wurde Montagvormittag vor der Gedenkveranstaltung im Parlament telefonisch über Faymanns Rücktritt informiert. Faymann nahm auch nicht an dem bei Fischer geplanten Mittagessen mit Nationalratspräsidentin Doris Bures und den SPÖ-Landeschefs teil.

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Faymann wünschte seinem Nachfolger alles Gute
Häupl als interimistischer SPÖ-Chef?
Im Parteivorstand soll am Nachmittag der Beschluss fallen, ob der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Häupl interimistisch als Bundesvorsitzender der Partei eingesetzt werden solle. Es wäre sein erster Einsatz in der Bundespartei - mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Auch Häupl zeigte sich überrascht. Er sprach von einer „Phase des Nachdenkens“, und das tue man am besten schweigend. Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl wehrte sich, schon am Montag Entscheidungen zu treffen. Er gehe davon aus, dass Häupl in den kommenden Tagen und Wochen Gespräche führen und ein neues Team zusammenstellen werde.
TV-Hinweis
Mehrere Sondersendungen berichten in ORF2 über den Rücktritt von Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann:
- 19.00 Uhr: Sonder-ZIB
- 20.15 Uhr: Sonder-ZIB mit „Rundem Tisch“
- 22.00 Uhr: ZIB2
Einzig die beiden nicht zum Treffen mit Faymann geladenen SPÖ-Landeschefs, Walter Steidl aus Salzburg und Michael Ritsch aus Vorarlberg, zeigten zu Mittag klare Präferenzen für ÖBB-Chef Christian Kern. Beide hatten sich schon im Vorfeld als Kritiker Faymanns positioniert. Ein neuer SPÖ-Chef soll aber erst in den kommenden acht Tagen feststehen, hieß es zu Beginn des Parteivorstands.
Strategische Fragen bleiben offen
Ungelöst bleibt die Frage der Positionierung der SPÖ gegenüber der FPÖ. Darum ging es auch beim Treffen der Sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG), das schon am frühen Montagvormittag begonnen hatte. Selbst durch die Gewerkschaft geht der Riss, ob sich die SPÖ gegenüber einer möglichen Koalition mit der FPÖ öffnen solle.
Nach der Nachricht von Faymanns Rücktritt zeigten sich die Gewerkschafter schockiert. Einige verließen vorzeitig die Sitzung. FSG-Chef Wolfgang Katzian und ÖGB-Präsident Erich Foglar sagten nach der Sitzung, Faymanns Entscheidung zum Rücktritt sei zu respektieren. Zur Position gegenüber der FPÖ verwiesen beide auf den anstehenden Strategieprozess. Der Vorsitzende der Bau-Holz-Gewerkschaft, Josef Muchitsch, sagte: „Ich war vorher nicht zufrieden, ich bin jetzt nicht zufrieden.“ Faymanns Rücktritt sei eine „schwere Entscheidung“ gewesen.

Grafik: ORF.at; Quelle: APA
Mit fast acht Jahren Amtszeit gehört Faymann zu den längstdienenden Kanzlern der Zweiten Republik
Die Sozialistische Jugend (SJ) forderte bereits einen Neustart. Die SPÖ müsse mit einer personellen Neuaufstellung zur „demokratischen Mitmachpartei mit klaren Inhalten gemacht werden“, so die kritische Parteijugend am Montag in einer Aussendung. Ähnlich äußerte sich der Verbands Sozialistischer Student_innen (VSStÖ). SJ-Vorsitzende Julia Herr warnte vor einer Zusammenarbeit mit der FPÖ. Herr will Faymanns Nachfolger in einer Urwahl unter allen SPÖ-Mitgliedern bestimmen.
ÖVP will am Dienstag beraten
In einer ersten Reaktion dankte Bures dem zurückgetretenen Kanzler für sein Krisenmanagement. Seine Amtszeit sei „von großen internationalen Krisen überschattet“ gewesen, sagte Bures mit Blick auf die Wirtschaftskrise und die Flüchtlingsbewegung. Diese Herausforderungen habe Faymann „ohne Sozialabbau und ohne Sparpakete bewältigt“.
Die ÖVP nimmt Faymanns Rücktritt zur Kenntnis. Für Dienstag berief Mitterlehner einen ÖVP-Bundesvorstand ein, „um über die Konsequenzen aus der neuen Lage zu beraten“. Er sehe aber keinen Grund für Neuwahlen, so Mitterlehner vor Journalisten, ebenso soll es keine Änderungen in der Asylpolitik geben. Wichtig sei nun im Sinne der Koalition, dass „wir stabil bleiben, was die Arbeit anbelangt“. Der neue SPÖ-Chef sei reine Angelegenheit des Koalitionspartners. Bei der Kür des nächsten Bundeskanzlers wolle sich die ÖVP aber „genau anschauen, wer das in Zukunft machen soll“.
NEOS-Chef Matthias Strolz sieht die Entwicklung als Möglichkeit, „Österreich zu verändern und das Machtkartell von SPÖVP zu beenden“. Der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda glaubt mit Faymanns Rücktritt an eine Chance für einen Neustart. Von einem „schönen Tag für Österreich“ sprach hingegen FPÖ-EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sieht mit Faymanns Rücktritt die „grundsätzlichen Probleme der SPÖ nicht gelöst“. Die Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, sieht den Wechsel als „letzte Chance“ für Regierung.
Neuwahl frühestens im September
Eigentlich ist die nächste Nationalratswahl erst für 2018 geplant. Sollte es aufgrund von Faymanns Rücktritt zu einer vorgezogenen Wahl kommen, ginge das frühestens Anfang September. Für die Vorbereitung einer Nationalratswahl müssen drei Monate zwischen der Fixierung des Wahltermines und dem Termin liegen. Für einen Neuwahlbeschluss braucht man zunächst eine Nationalratssitzung und Beschlüsse von Ministerrat und Hauptausschuss.
Faymann selbst will laut einem Interview mit der Tageszeitung „Österreich“ aus der österreichischen Politik völlig ausscheiden. Er wolle auf keinen Fall „ein Balkon-Muppet werden, das ständig dazwischengscheiterlt“. Faymann überlegt, „etwas im Rahmen der EU“ zu machen. Vorerst wolle er sich „mal zwei, drei Monate von all dem Stress erholen und gar nichts machen. Nachdenken.“ Kanzleramtsminister Josef Ostermayer habe ihm versprochen, in der Regierung zu bleiben.
Faymanns Rücktritt könnte auch zu einer größeren Regierungsumbildung führen. Infrastrukturminister Gerald Klug und Staatssekretärin Sonja Steßl sagten, es sei gute Tradition, dass ein neuer Kanzler sein Team aussuche. Sozialminister Alois Stöger meinte zur Frage, ob er denn in seinem Amt bleibe, bloß: „Alles kein Thema jetzt.“
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