Schrumpfende Zahlen zur Unzeit
Die schwedische Exekutive verliert reihenweise ihre Beamten. Vor allem Polizisten unter 40 Jahren verlassen in Scharen den Staatsdienst und sorgen heuer für eine Kündigungswelle in Rekordhöhe, so das Onlinemagazin „The Local“. Dabei schrumpft der schwedische Polizeiapparat insgesamt zusehends.
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In Summe reichten 2015 832 Beamte die Kündigung ein, 2014 waren es mit 678 noch deutlich weniger gewesen. In erster Linie sehen jüngere Polizisten in ihrem Beruf keine Perspektive mehr, im laufenden Jahr quittierten bereits jetzt fast so viele Beamte den Dienst wie 2013 über das ganze Jahr verteilt.
Damals hatten 70 mehr oder weniger jüngere Beamte gekündigt, im darauffolgenden Jahr 2014 waren es 95, 2015 verabschiedeten sich bereits 121. Allein bis März 2016 waren es nun schon 60 Personen, die nicht mehr im Dienste der Polizei arbeiten wollten. Geht es in diesem Tempo weiter, könnte es laut der Vorsitzenden der schwedischen Polizeigewerkschaft, Lena Nitz, zu „einem Massenexodus“ kommen.
Auch ältere Polizisten kündigen häufiger
Dieser für die Exekutive besorgniserregende Trend kann auch bei älteren Polizeiangestellten beobachtet werden. Waren es vor drei Jahren noch 100 Beamte im Alter von 40 bis 60 Jahren, die ihr Angestelltenverhältnis vorzeitig beendeten, gehen polizeiliche Schätzung von etwa 180 für heuer aus. „Das ist eine ernste Angelegenheit“, so Nitz gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur Tidningarnas Telegrambyra. „Wir haben heute einen Mangel an Polizisten, und es wird immer dringlicher.“
Gegenüber dem liberalen Blatt „Dagens Nyheter“ teilte Kajsa Möller, Leiterin der Personalabteilung der Polizei, diese Besorgnis: „Wir nehmen diese Zahlen ernst und gehen dieser Entwicklung Monat für Monat nach.“ Dennoch gebe es für sie „keinen Grund zur Panik“, denn obwohl weniger neue Polizisten ausgebildet werden, sei die Exekutive nach wie vor in der Lage, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Exekutive fordert mehr Beamte
Für Schweden kommen die schrumpfenden Zahlen dennoch zur Unzeit, fordern doch mehrere Parteien des skandinavischen Landes, aber auch der schwedische Polizeipräsident Dan Eliasson, Tausende neue Beamte. Bereits im Februar warnte Polizeisprecher Lars Alvarsjö im liberal-konservativen „Svenska Dagbladet“ angesichts der Flüchtlingssituation und Terrorbedrohung vor einem Zusammenbruch des Rechtssystems.
Denn mit 20.000 Polizisten gehört Schweden gemessen an der Einwohnerzahl zu den Ländern mit den wenigsten Einsatzkräften in Europa. Gleichzeitig müssten diese laut Alvarsjö auch aufgrund der Grenzkontrollen in der Flüchtlingskrise viele neue Aufgaben wahrnehmen und wegen der erhöhten Terrorgefahr zusätzlich für Sicherheit bei Sportevents, Staatsbesuchen oder Demonstrationen sorgen.
Nachwuchs bleibt aus
Alvarsjö zufolge brauchte die Polizei mit rund 10.000 Beamten um die Hälfte mehr an Personal, um ihre Arbeit verantwortungsvoll wahrnehmen zu können. In vielen Vorstädten bestimmten bereits kriminelle Banden die Spielregeln, so der Kommissar: „In diesen Gegenden ist es Alltag, dass Polizisten mit Steinen oder Molotowcocktails beworfen und bedroht werden oder auf andere Formen von Gewalt treffen.“
Doch nicht die schwierigen Arbeitsbedingungen allein sorgen innerhalb der Polizistenschaft für Unmut. Dieser sei vor allem der laut Gewerkschaft schlechten Bezahlung der Exekutivbeamten geschuldet. Nicht zuletzt deshalb haben die Ausbildungsstätten große Schwierigkeiten, neue Polizeischüler zu rekrutieren. Und viele Neulinge bleiben, so sie sich doch für den Polizeidienst entschieden haben, nicht lange im Job.
Auch Reorganisation sorgt für Unmut
Schon früher hatte die Gewerkschaft ihren Ärger darüber zum Ausdruck gebracht, dass es die Polizeileitung nicht geschafft hatte, ihr Versprechen von einem Mindestgehalt von 24.500 Schwedischen Kronen (2.640 Euro) einzuhalten. Auch die letztes Jahr vorgenommene Umgestaltung der Strukturen innerhalb der Polizeibehörde sorgte für negative Reaktionen seitens der Beamten.
Angestrebt waren modernisierte Abläufe im Arbeitsalltag und eine insgesamt effektivere Exekutive. Doch bei einer Umfrage, die die Gewerkschaft unter 2.500 Polizisten durchführte, hatte die Behörde für keinen der Befragten ihr Ziel erreicht. Stattdessen gaben viele zu Protokoll, dass sie nun mehr Stress hätten, und bezeichneten die Reorganisation als kontraproduktiv, hätten die Beamten doch nun kaum noch Zeit, etwas zu essen oder gar auf die Toilette zu gehen.
Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sveriges Radio sagte die stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende Anna Nellberg Dennis, dass die Moral quer durch alle Reihen am Boden sei: „Wir sind auf so vielen Ebenen unterbesetzt, und das Arbeitspensum ist sehr hoch.“
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