Die großen Pläne des Präsidenten
Es hätte zu gut ins Bild gepasst: Die Allmachtspläne von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit - und jetzt auch noch ein Vorstoß für Verankerung des Islam in der neuen türkischen Verfassung. Doch die Aussage von Parlamentspräsident Ismail Kahraman wurde von Erdogan prompt zurückgewiesen.
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Kahraman habe nur seine „persönliche Meinung“ geäußert, sagte Erdogan letzte Woche bei einem Besuch in Zagreb. Der türkische Staat halte die gleiche Distanz zu allen Religionen. „Das ist Säkularismus.“
Gegen „militante“ Trennung von Staat und Religion
Zuvor hatte sich schon Ministerpräsident Ahmet Davutoglu distanziert. Auch im neuen Verfassungsentwurf werde „der Grundsatz des Säkularismus vertreten sein, der den Individuen Religions- und Glaubensfreiheit zusichert“, sagte er. Die Verfassung werde zudem garantieren, dass „der Staat den gleichen Abstand zu allen Glaubensgruppen hält“.
Der Parteisprecher der AKP, Ömer Celik, sagte, das Prinzip des Säkularismus solle nach den Vorstellungen der AKP auch Eingang in die neue Verfassung finden. Die AKP sei aber für einen „libertären Säkularismus“, nicht für eine „militante“ Trennung von Staat und Religion.
Schwächung der laizistischen Kräfte
Und genau diese Formulierung trifft den Kern. Denn in den vergangene Jahrzehnten galt das Militär als Hüter des Laizismus. Die AKP versuchte daher von Beginn an, die kritischen Kräfte dort zu schwächen - kein Wunder hatte es doch in der Türkei 1960, 1971 und 1980 einen Militärputsch gegeben.
Immer wieder kam es zu Verhaftungen. 2013 wurden 275 hohe Militärs, Journalisten und Akademiker im sogenannten Ergenekon-Prozess „wegen gewaltsamen Umsturzversuches“ zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Die Angeklagten wiesen alle Vorwürfe zurück und bezeichneten Ergenekon als eine Erfindung der Regierung. Und sie bekamen vergangene Woche recht: Das höchste türkische Berufungsgericht hob die Urteile auf.
Derzeit keine Mehrheit
Beobachter weisen darauf hin, dass es Erdogans islamisch-konservative AKP derzeit auch gar nicht schaffen würde, den Islam in der Verfassung zu verankern. Dazu ist im Parlament eine Zweidrittelmehrheit nötig, die man nicht hat. Und selbst bei einem Teil der AKP-Anhänger würde der Schritt auf Widerstand stoßen, wäre es doch eine Kehrtwende der Doktrin von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, der die Republik als streng laizistisch angelegt hatte. Den Säulenheiligen des Landes völlig zu stürzen schafft Erdogan nicht - wohl aber, ihn langsam zu demontieren.
Aufweichung im Alltag
Seiner AKP ging es in den vergangenen Jahren darum, die Säkularisierung im Alltag aufzuweichen: Das Kopftuchverbot an Schulen und Universitäten wurden aufgehoben, der Alkoholverkauf eingeschränkt und die Imam-Hatip-Schulen gefördert, die moderne Bildung mit religiösen Kursen mischen.
Die Regierung weist den Vorwurf der Islamisierung der Gesellschaft seit jeher zurück und beruft sich eher auf die Wünsche ihrer Wähler: Man setze sich lediglich gegen die Diskriminierung religiöser Bevölkerungsschichten ein.
Präsidialsystem als Ziel
Dass nun die Verfassung ins Spiel gekommen ist, sehen Kommentatoren dennoch nicht als Zufall. Denn um Erdogans Ziel, ein Präsidialsystem zu installieren und damit dem Präsidenten - also im Idealfall sich selbst - umfassende Rechte zu geben, wurde es zuletzt recht still. Einen ersten Rückschlag hatte er im Juni des Vorjahrs erlitten, als die AKP mit entsprechenden Plänen in die Parlamentswahl zog und überraschend abgestraft wurde.
Nachdem eine Regierungsbildung gescheitert war, setzte Erdogan eine Neuwahl durch, bei der die AKP wieder gestärkt wurde - von der nötigen Mehrheit für eine Verfassungsänderung ist man aber weiter deutlich entfernt.
Alles neu bis 2023
Drängender wurde für Erdogan die Frage wieder, nachdem das Verfassungsgericht im Februar die Freilassung von zwei verhafteten Journalisten durchgesetzt hatte. Der Gerichtsbeschluss sei eine Entscheidung gegen die Türkei und ihr Volk gewesen, kommentierte Erdogan die Entscheidung.
In allzu großer Eile scheint der Präsident mit seinen Plänen aber nicht zu sein, denn das große Ereignis, zu dem alle Bestrebungen durchgesetzt sein sollen, kommt erst in einigen Jahren - das 100. Republikjubiläum im Jahr 2023. Erdogan denkt und plant in großen Dimensionen, nicht zufällig weckte er immer wieder Assoziationen zum Osmanischen Reich. Zumindest symbolisch will er an dieses anknüpfen - er will wohl auch 2023 noch im Amt sein, und die Ära Atatürk soll neben ihm verblassen.
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