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Europaskeptiker fühlen sich bestätigt

Reaktionen von extrem erfreut bis zu extremen Bedenken - und mittendrin eine EU-Kommission, die „keine Meinung“ hat: Am Tag nach dem ersten Durchgang der Präsidentenwahl in Österreich ist das Ergebnis auch in Brüssel Thema. Die Stichwahlkandidaten Norbert Hofer (FPÖ) und Alexander Van der Bellen vertreten sehr konträre Positionen in fast allen Fragen - die Distanz ist aber vor allem bei EU-Themen besonders groß.

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Van der Bellen will die EU stärken, Hofer macht keinen Hehl daraus, dass er - wie vor 22 Jahren - gegen einen Beitritt Österreichs stimmen würde. Dass nun ein derart EU-skeptischer Kandidat mit rund 14 Prozent Vorsprung in die Stichwahl einzieht, lässt die großen Fraktionen im EU-Parlament fast genauso unglücklich zurück wie die heimischen Parlamentsparteien.

Alexander Van der Bellen

Reuters/Heinz-Peter Bader

Van der Bellen positioniert sich im Wahlkamp pro Europa

Ergebnis „zwingt zu weitreichender Reflexion“

Für Gianni Pitella, den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im EP ist das Wahlergebnis „beunruhigend“, wie er gegenüber ORF.at kommentierte. Es zwinge „zu einer weitreichenden Reflexion, wie man die Zunahme von xenophobischen und extremen Bewegungen in Österreich und in ganz Europa aufhalten“ könne. „Es müssen nun alle proeuropäischen Kräfte in Österreich zusammenstehen, um die europäischen Werte und Prinzipien zu erhalten“, so Pitella.

Als Auftrag an die eigene Partei sieht auch die SPÖ-EU-Delegationsleiterin Evelyn Regner das schlechte Abschneiden des SPÖ-Kandidaten Rudolf Hundstorfer. „Wir müssen uns ernsthaft und nachhaltig mit den Gründen für dieses historisch schlechte Ergebnis beschäftigen. Tatsache ist, dass wir in Europa gewaltige Probleme zu lösen haben.“ Eine deutliche Wahlempfehlung für die Stichwahl geben die SPÖ-EU-Abgeordneten entgegen der offiziellen Parteilinie auch ab: „In der Stichwahl werden wir Alexander Van der Bellen wählen. Er ist ein überzeugter Europäer, gewissenhaft und kompetent. Österreich wäre bei ihm in guten Händen.“

Schlechtes Abschneiden von ÖVP selbst verschuldet?

Ziemlich ähnlich wie die Sozialdemokraten sehen die europäischen Volksparteien im EP das schlechte Ergebnis für den ÖVP-Kandidaten Andreas Khol als teilweise von der ÖVP selbst verschuldet. „Es ist politischer Selbstmord, Populisten nachzulaufen und auf offensichtlichen Stimmenfang zu gehen“, kritisierte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, am Montag.

Norbert Hofer

Reuters/Leonhard Foeger

„Mehr Österreich, weniger EU“ ist das Credo von FPÖ-Kandidat Hofer

„Die Menschen honorieren Glaubwürdigkeit und einen klaren Kurs und wählen im Zweifel das Original. Die Regierungsparteien sind dafür abgestraft worden, dass sie mit den sogenannten Freiheitlichen in einen Bieterwettbewerb um einfache Lösungen eingetreten sind“, so Reul. „Nun haben wir eine Situation, in der sich große Teile der Wählerschaft aus der Mitte der Gesellschaft für einen Kandidaten entscheiden müssen, der nicht ihrer eigentlichen parteipolitischen Verortung entspricht. Die Lektion für Volksparteien überall in Europa muss lauten: Kurzfristige taktische Überlegungen bei der inhaltlichen Positionierung von Kandidaten bergen mehr Risiken als Chancen.“

„Populismus und Nationalsozialismus“

Dramatische Worte findet der stellvertretende Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP), Esteban Gonzalez Pons. Er warnt vor einer „Wiedergeburt des Populismus und des Nationalsozialismus“ in Europa. „Das, was in Österreich, Spanien, Irland und anderswo geschieht, bezeugt, dass die EU eine sehr gefährliche Phase erlebt“, sagte Pons.

„Die drei Gespenster, gegen die Europa nach dem Krieg wiedererrichtet worden war, sind wieder zurück: Nationalismus, Populismus und Xenophobie. Doch keiner scheint daran zu denken“, sagte der 51-Jährige im Interview mit der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ am Montag. Pons führt den Aufstieg des Populismus auch auf den Niedergang der Zeitungen zurück. „In Zeitungen konnte man besser komplexe Probleme erklären. Im Fernsehen und im Internet ist alles oberflächlicher und schneller“, so Pons.

Karas gegen Schuldzuweisung und Rechtfertigung

Für den ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas zeigt das Wahlergebnis, „dass es in allen Parteien zu viele gibt, die sich an Problemen profilieren und zu wenige, die für gemeinsame Lösungen kämpfen“. Das führe zu einem politischen Klima, das simple Botschaften, Extreme und Desinformation stärkt. Trotzdem appelliere er dafür, so Karas, „nicht mit Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen auf das Wahlergebnis zu reagieren“.

Die ÖVP-Delegation im Europäischen Parlament werde sich in ihrer nächsten Sitzung mit den Auswirkungen des Wahlergebnisses auf ihre Arbeit befassen. Eine Wahlempfehlung ist den ÖVP-EU-Mandataren nicht zu entlocken, seine persönliche Wahl verrät Karas gegenüber ORF.at aber doch: „Niemanden, der mich kennt, kann es überraschen, dass Alexander Van der Bellen meinem persönlichen politischen Selbstverständnis näher ist.“

Mlinar hält Wahlempfehlung für „überflüssig“

Ähnlich äußert sich auch die NEOS-EU-Abgeordnete Angelika Mlinar auf ORF.at-Anfrage: „Eine Wahlempfehlung als solche halte ich für überflüssig. Nachdem Alexander Van der Bellen für einen klaren Pro-Europa-Kurs steht und vor allem auch für ein tolerantes offenes Österreich, ist es für mich vollkommen klar, dass er am 22. Mai meine Stimme bekommt.“

Anders als die Parteien in Österreich sind sich die EU-Abgeordneten in Brüssel damit einig, was den Schulterschluss gegen Hofer betrifft. Ulrike Lunacek, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EP hält einen Wahlsieg Van der Bellens in der Stichwahl für möglich: „Dafür ist es nötig, dass alle Österreicher, die eine Politik des Miteinanders wollen, nicht der Konfrontation, ihn auch wählen.“

Europaskeptiker sehen sich bestätigt

Bei den europaskeptischen Parteien ist die Stimmung erwartungsgemäß euphorisch. Die FPÖ sitzt im Europaparlament in der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit, dem Zusammenschluss rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien. Von dort kam schon am Sonntag prominente Gratulation: Die Kovorsitzende der Fraktion und Chefin der rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen konstatierte, dass das Volk nun eingesehen habe, dass die EU „in Wahrheit eine Struktur der Unterwerfung der Völker“ sei, so Le Pen.

Marine Le Pen

APA/AFP/Chantal Briand

Marine Le Pen gratuliert Hofer

Auch Franz Obermayr, österreichischer FPÖ-Abgeordnete im EP in Brüssel, sieht das Ergebnis als Zeichen „gegen die immer weitere Beschneidung mitgliedsstaatlicher Entscheidungsbefugnisse“. Hofer könnte als Bundespräsident „entscheidende Akzente setzen: Mehr Österreich statt immer mehr Brüssel“, so Obermayr gegenüber ORF.at. „Ein Bundespräsident Hofer ist für uns also ein klares Zeichen gegen eine EU der großen Konzerne, gegen Bürokratisierung und für mehr Bürgernähe.“

Die Kommission hat „keine Meinung“

Die von der FPÖ und den rechtsgerichteten Parteien in Europa massiv kritisierte EU-Kommission enthielt sich am Montag erwartungsgemäß jeden Kommentars: „Wir haben dazu keine Meinung“, so Chefsprecher Margaritis Schinas im täglichen Mittagsbriefing. Man werde die Stichwahl abwarten, bevor es eine offizielle Aussage von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu geben werde.

Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel

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