Blau gegen Grün im Mai
Es ist ein historisches Wahlergebnis: Zum ersten Mal seit 1945 wird kein von SPÖ oder ÖVP unterstützter Kandidat in die Hofburg einziehen. Die Stichwahl um die Bundespräsidentschaft am 22. Mai bestreiten FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der von den Grünen unterstützte Alexander Van der Bellen. Nach seinem deutlichen Sieg vom Sonntag sehen Politexperten Hofer nun in der Favoritenrolle.
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Hofer kommt laut Hochrechnung des Instituts SORA für den ORF auf 35,3 Prozent. Die Briefwahlstimmen, die erst am Montag ausgezählt werden, sind in der Hochrechnung bereits berücksichtigt. Der von den Grünen unterstützte Van der Bellen erreicht 21,3 Prozent - vor allem dank guter Ergebnisse in Wien. Irmgard Griss kommt auf 19,0 Prozent, in den ersten Hochrechnungen hat sich noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei abgezeichnet.

SORA/ORF
Abgestraft wurden die Regierungskandidaten: Andreas Khol (ÖVP) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ) kommen auf 11,1 bzw. 10,9 Prozent. Richard Lugner erhält 2,3 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber der letzten Präsidentschaftswahl 2010 deutlich gestiegen. Laut SORA schritten 68,1 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen. Im Jahr 2010 lag die Beteiligung bei 53,6 Prozent.
Hofer als Favorit
Van der Bellen werde es „sehr schwer haben“, meinte Politikberater Thomas Hofer zur APA. Meinungsforscher Peter Hajek (Public Opinion strategies) sieht Hofer als „erklärten Favoriten“. Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM) meinte, mit seinen jüngsten Auftritten im TV habe sich Hofer demütig, dankbar und bescheiden inszeniert und damit wieder das Erscheinungsbild des „freundlichen Gesichts der FPÖ“ bestätigt.
Hofer brauche auch Stimmen von bürgerlicher und sozialdemokratischer Seite, merkte er an. Dazukommen könnte eine „Jetzt erst recht“-Stimmung, wenn es nun wieder eine internationale Debatte über Österreich gebe, meinte Politikberater Hofer.
ORF-TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher
Wie ist diese Wahl einzuschätzen? Hat Norbert Hofer die Stichwahl schon in der Tasche? TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher analysiert.
Nationaler Schulterschluss?
Van der Bellen werde wohl Versuche eines nationalen Schulterschlusses gegen einen blauen Präsidenten starten, glauben Hajek und Hofer. Manche Beobachter fühlen sich ein wenig an die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2002 erinnert. Damals hatte Jean-Marie Le Pen von der Front National völlig überraschend den Sprung in die Stichwahl geschafft. Daraufhin gaben Sozialisten und andere linke Gruppierungen eine Wahlempfehlung für den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac ab. Auch wenn die FPÖ mit der Front National nur bedingt vergleichbar ist, wäre es für Van der Bellens Team eine mögliche Strategie, an diese Wahl zu erinnern.
SPÖ für Van der Bellen?
Abzuwarten bleibt, wie SPÖ und ÖVP reagieren, die für Bachmayer eine „eklatant schallende Ohrfeige“ bekommen haben. Die ÖVP kündigte an, keine Empfehlung für die Stichwahl abzugeben. In der SPÖ gibt es schon erste - wenn auch nicht offizielle - Wahlbekundungen für Van der Bellen, sogar von Parteichef und Bundeskanzler Werner Faymann.
Analyse des Politologen Filzmaier
Wer für die Stichwahl am 22. Mai die bessere Ausgangslage hat und ob die Wahl für Van der Bellen de facto nicht schon gelaufen ist, analysiert Politologe Peter Filzmaier.
Irmgard Griss wollte sich am Wahlabend nicht festlegen, ob und wenn ja für wen sie eine Empfehlung aussprechen wird. Sie werde das mit ihrem Team bereden, meinte sie mehrfach. Dabei hatte Van der Bellen Griss und ihre Wählerinnen und Wähler schon früh umworben. Noch bevor sein Einzug in die Stichwahl feststand, sagte er, er würde Griss mit aller Kraft unterstützen, wenn sie es statt seiner schaffe.
Van der Bellen in Wien voran
Seinen Platz in der Stichwahl hat Van der Bellen vor allem dem Ergebnis in Wien zu verdanken. In der Bundeshauptstadt liegt der ehemalige Parteichef der Grünen laut Hochrechnung inklusive Briefwahlstimmen mit 33 Prozent auf dem ersten Platz. Hofer folgt mit 27,8 Prozent, Griss mit 19,3 Prozent. Hundstorfer kommt in Wien laut Hochrechnung nur auf 11,9 Prozent, Khol gar nur auf sechs Prozent.

ORF
Bestes FPÖ-Ergebnis auf Bundesebene
Für den Dritten Nationalratspräsidenten Hofer ist es jedenfalls das beste Ergebnis, das die Freiheitlichen jemals bei einer Bundeswahl erreicht haben. Das bisher beste stammte von der EU-Wahl 1996, als die FPÖ 27,53 Prozent der Stimmen erhielt. Bei Präsidentschaftswahlen kam Willfried Gredler 1980 auf knapp 17 Prozent.
Diesmal war der Kandidat der Freiheitlichen in allen Ländern außer Wien deutlich voran. In der Steiermark, dem Burgenland und Kärnten konnte er sogar die 40-Prozent-Marke überschreiten. Abgesehen von den Großstädten gibt es nur wenige Einsprengsel in der blau gefärbten Österreich-Karte der Gemeindeergebnisse.
Wesentlich bunter wird die Karte, wenn der oder die Zweitplatzierte dargestellt wird. So zeigt sich etwa, dass Griss im Süden Österreichs punkten konnte.
Hofer „dankbar und voller Demut“
Die Reaktionen der Kandidaten spiegelten natürlich das Ergebnis wider. Wahlsieger Hofer gab sich in einer ersten Reaktion bescheiden. „Dankbar und voller Demut“ sei er, sagte der Freiheitliche, der erst lange zu einem Antreten überredet werden musste. Er wolle jedenfalls ein Präsident für alle Österreicher sein, seine Prinzipien und Standpunkte aber nicht aufgeben. Auch betonte der FPÖ-Kandidat, als Präsident wolle er sich stärker auf EU-Ebene einbringen. So werde er auch zu den Treffen des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs reisen - „nicht immer, aber das wird einige Mal der Fall sein“.
Hofer will TTIP nicht unterschreiben
In der ZIB2 sagte Hofer, er würde das derzeit zwischen der EU und den USA in Verhandlung stehende Freihandelsabkommen TTIP nicht unterzeichnen, auch wenn das österreichische Parlament für das Abkommen stimmen sollte. Er werde auch in diesem Fall auf einer Volksabstimmung bestehen. Einmal mehr betonte er, bei einem Staatsvertrag könne der Bundespräsident politisch entscheiden - und nicht nur die Verfassungsmäßigkeit überprüfen. Er sei sich sicher, dass die Mehrheit der Österreicher gegen das Abkommen stimmen würde.
Norbert Hofer zu seinem Triumph
Klare Antworten und die Abkehr von Politsprech seien für seinen Erfolg mit ausschlaggebend, sagt Norbert Hofer, Hofburg-Kandidat der FPÖ und Sieger im ersten Wahlgang.
Van der Bellen: Karten neu gemischt
Für Van der Bellen sind nach dem Wahlsonntag „die Karten neu gemischt“. Für die Stichwahl rechnet er mit einem intensiven Wahlkampf. Für ihn sei das Ergebnis „nicht überraschend“, sagte er am Sonntag beim Eintreffen in der Hofburg. „Ich habe immer gesagt, ich bin ein Außenseiter.“ Noch bevor der Einzug in die Stichwahl fix war, meinte Van der Bellen, er würde, falls er Dritter werde, Griss unterstützen. Sein Wahlkampfmanager Lothar Lockl hatte sich zuvor bereits ähnlich geäußert.
Van der Bellen über seine Aussichten
Hofer und er würden von null starten, und er habe die besten Chancen, den zweiten Wahlgang für sich zu entscheiden, so Alexander Van der Bellen.
„Das war der erste Durchgang, und den können wir heute feiern“, meinte er am Abend auf seiner Wahlparty. Jetzt müsse man all jenen ein Angebot machen, die enttäuscht vom Abschneiden ihrer eigenen Kandidaten seien. Dann sei es wie beim Skifahren. „Man muss nicht der Erste im ersten Durchgang sein, um den zweiten zu gewinnen.“
Griss will weitermachen
Griss gratulierte nach der ersten Hochrechnung dem Wahlsieger Hofer. Sie überlegt sich zudem, ihre Bewegung weiterzuführen. Entsprechende Angebote erhielt sie postwendend von NEOS. Sie wolle sich zunächst mit ihrem Team besprechen, bevor sie weitere Schritte bekanntgebe.
Mit dem sich abzeichnenden Ergebnis der Wahl sieht Griss eine Antwort auf die Regierungspolitik, die abgestraft worden sei. Griss geht es laut eigener Aussage nun darum, eine Spaltung zu überwinden. Die ehemalige OGH-Präsidentin sprach von einer schrecklichen Entwicklung. Die Bundespräsidentenwahl sollte nicht dazu führen, dass Gräben vertieft werden. Sie warnte vor einem Lagerwahlkampf bei der Stichwahl.
Ergebnis für Griss „großartig“
Es sei ein großartiges Ergebnis, da sie bei Null begonnen, keinen Parteiapparat und keine Parteimittel hinter sich habe. Das sei nur mit Hilfe vieler Freiwilliger möglich gewesen, sagt Irmgard Griss.
Im Wahlergebnis spiegelt sich für Griss wider, was die Regierung in der Flüchtlingspolitik versäumt hat. Die „martialische Rhetorik“, die in letzter Zeit zugenommen habe, habe nur der FPÖ und Hofer genützt. Griss: „Ich hoffe sehr, dass die Regierungsparteien das jetzt wohl oder übel begreifen werden.“
Khol dankt Helfern
Äußerst knapp kommentierte Khol seine deutliche Niederlage. „Der Tag ist nicht so ausgegangen, wie wir es uns gewünscht hätten“, sagte Khol bei einem kurzen Auftritt in der Parteizentrale. Die Stimmung unter den Funktionären war dem Ergebnis entsprechend gedrückt, Khol selbst wurde von den wartenden Journalisten abgeschirmt.
Er sei mit Freude in den Wahlkampf gegangen, und es sei ein Persönlichkeits-, ein Themen- und auch ein „Protestwahlkampf“ geworden, sagte Khol. Er dankte seinen Unterstützern und seinen Wählern, bevor er doch noch „in die Hofburg“ aufbrach, wie er sagte - wenn auch nicht ins Amt, sondern nur „ins Fernsehen“, also zum in der Hofburg eingerichteten Medienzentrum. „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“, sagte Khol und kündigte dort seinen Rückzug in die Position des „Elder Statesman“ an. Seiner Partei wolle er nicht als „Balkon-Muppet“ Ratschläge erteilen.
Gesprächsrunde der Kandidaten
In der Hofburg geben die Kandidaten ihre Stellungnahmen zum Wahlausgang ab: Norbert Hofer (FPÖ), Alexander Van der Bellen, Irmgard Griss, Rudolf Hundstorfer (SPÖ), Andreas Kohl (ÖVP) und Richard Lugner.
Hundstorfer: „Regierungsamt war Rucksack“
SPÖ-Kandidat Hundstorfer bedauerte, dass vom Wähler die „Extreme“ gestärkt worden seien und seine vermittelnde Rolle nicht so geschätzt worden sei. Der Inhalt seiner Kampagne - nämlich für Zusammenhalt zu sorgen - habe „heute nicht die Unterstützung bekommen“. Auch sei seine Vergangenheit als Minister eine Bürde gewesen: „Was auch klar ist: Das Regierungsamt war doch ein Rucksack.“
Gleichzeitig verwies er darauf, dass es derzeit „auf allen Ebenen“ politische Veränderungen gebe, wie er etwa mit Blick auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Burgenland meinte. Er wolle trotz des Wahlergebnisses allen danken, die seine Kampagne unterstützten, sagte er bei seinem ORF-Auftritt in der Hofburg.
Die Verlierer der Wahl
Das Ergebnis der Wahl könnte man auch als Zertrümmerung des traditionellen politischen Systems in Österreich sehen. Noch nie hatten die Großparteien SPÖ und ÖVP so schlecht abgeschnitten.
Was seine persönliche Zukunft nun bringen wird, konnte Hundstorfer am Wahlabend nicht beantworten: „Ich habe wirklich keinen Plan B.“ Er werde nun den Abend einmal vorbeigehen lassen und erst dann Überlegungen anstellen. Eine Wahlempfehlung für die Stichwahl wollte er nicht abgeben. Klar sei aber, dass er FPÖ-Kandidat Hofer nicht unterstütze.
„System“ Rot-Schwarz „am Ende“
Das Abschneiden von Khol und Hundstorfer dürfte in den Regierungsparteien jedenfalls noch für reichlich Gesprächsstoff sorgen: „Dramatischer geht’s kaum“, kommentierte auch Politikberater Hofer die Situation der Koalition. „Die Zweite Republik, so wie wir sie kennen - als hegemoniale Aufteilung von Rot und Schwarz -, dieses System ist ans Ende gekommen.“ An baldige Neuwahlen auf Bundesebene glaubt aber keiner der drei Experten: „Die Niederlagen schweißen umso mehr zusammen, je schwerer sie sind“, sagte Bachmayer. Eine Neuwahl „wäre im Prinzip politischer Selbstmord mit Anlauf“, so Hajek.
Zweifel wurden am Wahltag einmal mehr an der Meinungsforschung laut. „Wir sind keine Wahrsager“, sagte Bachmayer. Man habe die Trends richtig erkannt, in der letzten OGM-Umfrage sei Hofer auch als eindeutiger Sieger ausgegeben worden - nur der große Sprung Hofers sei nicht vorhersehbar gewesen. Man habe keine verlässlichen Muster mehr, sagte Hajek.
Lugner bereut „Kasperl“-Image
Lugner machte die Umfragen und den Dreikampf für sein Abschneiden verantwortlich. Er räumte aber auch eigene Fehler ein: „Des mit dem Kasperl ist nicht gut angekommen.“ Eine Wahlempfehlung für die Stichwahl will Lugner „sicher nicht“ abgeben, ein neuerliches Antreten in sechs Jahren schloss er aus. Lugner rechnet mit einem Schock für die traditionelle Parteienlandschaft: „Wir stehen vor einer politischen Wende.“
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