Wenn Freiheit zum Zwang wird
„Die Kommune“ ist Thomas Vinterbergs stringentester, zwingendster Film seit „Das Fest“ - und er ist sein zynischster. Trine Dyrholm spielt darin eine Frau, deren Idealvorstellungen mit menschlichen Realitäten kollidieren. Bei der Berlinale wurde sie dafür sehr verdient mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin gewürdigt.
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In einer Szene ungefähr in der Mitte des Films sitzen Anna (Dyrholm) und Erik (Ulrich Thomsen) im Bett. Sie hatten gerade guten Sex, und während Anna raucht, erzählt Erik, dass er schon seit Längerem eine Affäre mit einer jungen Studentin namens Emma hat. Mit einem Zug von ihrer Zigarette atmet Anna aus: „Okay. Aber du verlässt mich nicht, ja?“ - und küsst ihn zärtlich auf die Schulter.
Das Sonnenlicht in den Bildern vom Anfang des Films ist da schon längere Zeit verschwunden, aber die Stimmung trägt noch, es sind immerhin die 1970er Jahre in Kopenhagen. Man will lieben, nicht besitzen, man will teilen, nicht verstecken. Aber was vermag man wirklich? Kann man lieben, wenn die Liebe zum Prinzip erklärt wird?

Polyfilm
Die Kommune: Bunt und fröhlich war sie - am Anfang
Gemeinsam kapitalistisch
Der Architekt Erik hat die schmucke Villa seiner Eltern in einer Nobelgegend der Stadt geerbt und beschlossen, mit Anna und seiner Teenagertochter Freja (Martha Sofie Wallstrom Hansen) dort einzuziehen. Simpler Pragmatismus bedingt alles Weitere, naiver Idealismus hält es einige Zeit am Laufen: Um sich die Instandhaltungskosten leisten zu können, gründen Anna und Erik eine WG oder, wie man es damals nannte, eine Kommune.
In einem Anfangsschwung euphorisierenden Befreiungsgefühls, jetzt, Ende 40, Anfang 50, in der richtigen Zeit und am richtigen Ort, scheinen Anna und Erik alle gesellschaftlichen Konventionen endlich ablegen zu können. Es werden Bewerbungsgespräche mit Freunden und Bekannten geführt, um sie auf ihre Fähigkeit zur Basisdemokratie abzuklopfen. Bereits diese Szenen sind tragikomisch und lassen Abgründe erahnen, in die Vinterberg verlässlich führt.
Herdentiere
Als man schon seit einiger Zeit in der Kommune zusammenwohnt, schlägt Anna nicht lange nach Eriks Geständnis vor, Emma solle doch zu ihnen ziehen. Sie will Neues wagen, sie will dafür ein bisschen naiv sein und ausblenden, dass sie es eigentlich besser weiß. Sie will, und auch damit ist sie nicht alleine, Mittelmäßigkeit vermeiden.
Erik findet diesen Plan toll, doch die anderen Bewohner reagieren überraschenderweise einstimmig dagegen. Zum Schutz von Anna, oder auch zum Schutz ihres eigenen, tief sitzenden konventionellen und konservativen Bedürfnisses nach Sicherheit, nach Unversehrtheit, nach Monogamie. Erik setzt seinen Willen dennoch durch.
Wankende Gefüge
Bürgerliche Ideale und wie sie auf Familiengefüge drücken konnte Vinterberg am besten in seinem Dogma-95-Film „Das Fest“ aus dem Jahr 1998 beschreiben. Und seitdem bearbeitete er seine Auffassung über die dänische Gesellschaft, die er selbst immer wieder als „harmoniesüchtig“, „konfliktscheu“ und „gnadenlos höflich“ beschreibt, in all seinen Filmen, jedoch immer wieder sehr konstruiert und meistens zu forciert.
Sein Film „Die Kommune“ wirkt dagegen ähnlich frei, direkt und authentisch wie „Das Fest“ und ist ebenfalls getragen von einem exzellent agierenden Ensemble. Vor allem aber ist das Vinterbergs lang gereifte, unverhohlen selbstbewusste, zynische Abrechnung mit gesellschaftlichen Normen. Nicht nur mit den Normen des konservativen Bürgertums - sondern auch mit den Normen jener, die sich bewusst in Opposition stellen.
Unterhöhltes Bürgertum
Es liegt nahe, Vinterberg, der selbst in einer Kommune aufwuchs, den Zugang des strukturlosen Anarchisten zu unterstellen, doch diese Beschreibung würde zu kurz greifen. Es ist nicht ein 70er-Jahre-Sponti-Diskurs, den er hier aufgreift - sondern es sind Schlagworte aus der zeitgenössischen Diskurs-Cloud wie Harmoniesucht, Kompromissmanie, Versöhnungskultur als Konzept und Political Correctness, die Vinterberg auffädelt.
Die mit diesen Ideen einhergehende Angst vor Ehrlichkeit, die Furcht vor den eigenen Instinkten und die Verdammung derselben, ein hohler und alles unterhöhlender Puritanismus, die daraus resultierende allgemeine Verunsicherung, die sich in völlig falsch verstandenen Respekt steigert, und die in Distanznahme anstatt in Annäherung mündet, all das überträgt Vinterberg in diesem Film geschickt auf seine Figuren und die dramaturgische Konstellation des arrangierten Zusammenlebens.
Interessanter aber noch als die Bestandsaufnahme der Pattsituation von Konvention und Trieb, ist die Frage nach den Möglichkeiten der Liebe. Dyrholm stattet Anna maßgeblich mit der essenziellen Würde aus, die sie zuerst in ihrer Selbstaufgabe und später in ihrer Selbstermächtigung in jeweils gleichem Maße glaubwürdig sein lässt.

Polyfilm
Trine Dyrholm als Anna, im Hintergrund Ulrich Thomsen als Erik
Entmenschlichend
Die Einsamkeit, in die Anna schlittert, nachdem Emma tatsächlich eingezogen ist und Erik sie ignoriert und neben ihr mit einer anderen Frau lebt, zersetzt sie innerlich wie äußerlich, und irgendwann meint Anna, den Respekt ihres Mannes verdiene sie gar nicht. Als sie eines Abends zum Abendessen am Tisch erscheint, wo alle beisammensitzen, desintegriert sie sich vor aller Augen regelrecht auch physisch auf ihrem Sessel, wie sie da mit zerzausten Haaren und zittrigen Händen versucht, sich aus der gemeinsamen Schüssel ein paar Erbsen zu klauben.
Annas Tiefpunkt ist erreicht, als in dieser Runde thematisiert wird, wie das Zusammenleben mit Emma funktioniert. Hier spricht die sonst so stille Tochter Freja, die in all dem Chaos ihrer Eltern doch mit ihrer eigenen Pubertät und der ersten Liebe beschäftigt ist, laut und deutlich: „Mama, du musst ausziehen.“ Das ist der Aufprall, den Anna gebraucht, ja offenbar gesucht hat.
Überheblichkeit, ins Gesicht geschrieben
Irgendwann, da sind sie schon getrennt, treffen Anna und Erik einander spätabends in einem Imbisslokal. Sie sitzen sich an einem kleinen Tisch gedrängt gegenüber, das Licht ist fahl und körnig, und es riecht ziemlich sicher nach kalten Pommes und verschüttetem Erdbeershake. Erik wirkt nicht so glücklich, wie er vermutlich dachte, dass er wirken würde, nachdem er doch sein Leben genau so ändern konnte, wie er es wollte.
Er ist noch immer ein Arschloch, das merkt man an seinen überheblich gespannten Mundwinkeln, die alle seine bisherigen Entscheidungen wie rückbestätigend in sein Gesicht zu pinnen scheinen - auf dass ihm ja keine Emotion entkomme, wenn Anna mit ihm spricht. Die blickt ihn an, und man sieht: Sie will noch immer mit ihm leben.
Es ist erstaunlich, wozu das Herz fähig ist, wenn der Verstand es lässt, und als sich die mittlerweile zersplitterte WG für ein Wiedersehen im Haus trifft, dann folgerichtig nur wegen eines Begräbnisses: Das kleine Kind der Mitbewohner ist an einem Herzfehler gestorben, und man steht am Steg und weint ins Wasser. Deplatziert und übertrieben kitschig wirkt dieser romantische Symbolismus am Schluss des Films. Aber wahr ist auch: Wer das nicht aushalten kann, den hat die Liebe selbst noch nie ver-rückt.
Alexandra Zawia, ORF.at
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