Themenüberblick

„Kolossale humanitäre Krise“

Zwölf syrische Flüchtlinge, sechs davon Kinder, haben Papst Franziskus nach seinem Besuch in einem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos überraschend zurück in den Vatikan begleitet. Die drei Familien aus Damaskus und Deir al-Sor sollen künftig dort versorgt werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Es handle sich um eine „Geste des Willkommens für Flüchtlinge“, erklärte der Vatikan. Die Familien seien vor dem Inkrafttreten des umstrittenen Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei auf Lesbos angekommen, weswegen sie nicht in die Türkei zurückgeführt werden. Den Angaben zufolge handelt es sich bei den Menschen um Muslime.

Sie seien in ihrer Heimat ausgebombt worden und stammten zum Teil aus Gebieten, die von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) besetzt seien. Sie werden vorerst von der Gemeinde Sant’Egidio in Rom betreut, der Vatikan kommt dafür auf. Der Entschluss sei eine rein „humanitäre Entscheidung“ gewesen, sagte der Papst. „Aufgenommen zu werden ist kein Privileg, sie sind alle Kinder Gottes“, sagte er während des Rückflugs. „Es ist vielleicht nur ein Tropfen im Wasser, aber das Meer wird danach nicht mehr dasselbe sein“, zitierte der Papst Mutter Teresa.

Lesbos „trage ganze Last Europas“

Bei seinem viel beachteten Besuch im Aufnahmelager von Moria sprach der Papst mit Dutzenden Flüchtlingen, von denen die meisten auf eigene Faust die gefährliche Überfahrt aus der Türkei zu den griechischen Inseln gewagt hatten, wie das griechische Fernsehen (ERT) berichtete. Einige berichteten dem Pontifex über die schlimmen Erfahrungen während der Flucht, mit einigen aß er zu Mittag. „Dies ist eine von Traurigkeit gezeichnete Reise, eine traurige Reise“, erklärte Franziskus. Lesbos trage die ganze Last Europas.

Papsbesuch im Flüchtlingscamp von Lesbos

APA/AP/Filippo Monteforte

Im Lager warteten Hunderte Menschen auf den Pontifex

Viele der Flüchtlinge trugen Plakate mit dem Spruch „Wir wollen Freiheit“ und „Du bist unsere Hoffnung“. Unter ihnen waren Jesiden, Pakistaner und Kurden. Danach ging es weiter in ein Zelt, wo der Papst mit Flüchtlingsfamilien sprach. Kinder zeigten und schenkten dem Pontifex Zeichnungen aus ihrem Leben.

Flüchtlinge erzählten über dramatische Flucht

Das katholische Kirchenoberhaupt begrüßte Frauen nur mit einem freundlichen Kopfnicken, die Hand gab er ihnen wohl aus Rücksicht auf kulturelle Gepflogenheiten in der islamischen Welt nicht. Männern gab er dagegen die Hand. Lange legte er die Hand auf den Kopf eines weinenden jungen Mannes, der immer wieder auf Englisch sagte „Vater, gib mir Deinen Segen“.

Frau hält ein Plakat

AP/Filippo Monteforte

Eine Frau im Flüchtlingscamp begrüßt den Papst

Einige Flüchtlinge schilderten dem Papst schlimme Erfahrungen, die sie vor ihrer Flucht gemacht hatten. Andere sagten, sie säßen auf der Insel fest, während ihre Familien in Deutschland seien. Hilfsorganisationen nennen die Unterbringung der rund 3.000 Flüchtlinge in dem „Hotspot“ menschenunwürdig.

„Verliert nicht die Hoffnung!“

„Wir sind hierher gekommen, um die Aufmerksamkeit der Welt wieder auf diese schlimme humanitäre Krise zu lenken und um um eine Lösung zu bitten“, sagte der Papst. Er lobte das „griechische Volk, das trotz seiner eigenen Schwierigkeiten großzügig auf Eure Nöte geantwortet hat.“ Zugleich sprach er den Flüchtlingen Mut zu: „Das ist die Botschaft, die ich Euch heute vermitteln will: Verliert nicht die Hoffnung!“, appellierte das Kirchenoberhaupt an die Flüchtlinge.

Neben dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras nahm auch der Patriarch der Orthodoxen Kirche von Konstantinopel, Bartholomaios I., und der orthodoxe Erzbischof Hieronymus II. an den Treffen teil. Nach den Gesprächen unterzeichneten die drei Kirchenführer eine gemeinsame Erklärung. Europa stehe vor einer der größten humanitären Krisen seit Ende des Zweiten Weltkriegs, heißt es darin. „Die Welt kann die kolossale humanitäre Krise nicht ignorieren.“

„Bankrotterklärung der Menschlichkeit“

Unzählige Menschen würden wegen ihrer Religion oder als ethnische Minderheiten verfolgt; ihre Würde und ihre fundamentalen Rechte würden verletzt. „Wir appellieren an alle politischen Führer, mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass jeder Einzelne und alle Gruppen inklusive der Christen in ihrer Heimat bleiben und in Frieden und Sicherheit leben können“, hieß es in der Erklärung weiter.

Papst nach seiner Ankunft am Flughafen

Reuters/Alkis Konstantinidis

Papst Franziskus wurde von Erzbischof Hieronymus II empfangen

Zeichen der Solidarität

Der griechisch-orthodoxe Erzbischof Hieronymus II. hat die Flüchtlingskrise als „Bankrotterklärung der Menschlichkeit und Solidarität“ Europas bezeichnet. Es bedürfe nicht vieler Worte - man müsse dazu nur in die Augen der kleinen Kinder blicken, die er und Papst Franziskus getroffen hätten. Die Rede wurde am Samstag live vom griechischen Staatsfernsehen übertragen. Der Besuch knapp einen Monat nach Inkrafttreten des umstrittenen Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei soll als Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingen gelten.

„Wir sind alle Flüchtlinge“

Am Nachmittag gedachte der Papst der Hunderten Flüchtlinge, die im Mittelmeer ums Leben kamen. Das katholische Kirchenoberhaupt, Patriarch Bartholomaios I. und Erzbischof Hieronymus II., warfen im Hafen der Hauptortschaft Mytilini drei Kränze ins Meer. „Wir sind alle Flüchtlinge“, sagte der Papst. Zuvor hatten die drei Geistlichen für die Seelen der Menschen und vor allem der Kinder gebetet, die „es nie geschafft haben“, wie der griechische Erzbischof sagte.

Mehr als eine halbe Million Flüchtlinge war vergangenes Jahr über Lesbos nach Griechenland eingereist. Seit Beginn des Jahres trafen nach UNO-Angaben bereits knapp 90.000 Menschen auf der Ägäis-Insel ein, davon ein Drittel Kinder. Laut dem Flüchtlingspakt mit der Türkei werden seit dem 20. März aber sämtliche Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt, deren Asylantrag in Griechenland nicht angenommen wurde.

Im Gegenzug für die Rücknahme der Flüchtlinge haben die EU-Länder zugesagt, für jeden zurückgeschickten Syrer auf legalem Wege einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufzunehmen - bis zu einer Obergrenze von 72.000.

„So viel Schmerz gesehen“

Am Sonntag berichtete der Papst den Gläubigen auf dem Petersplatz im Vatikan beim sonntäglichen Angelus-Gebet bewegt von seinen Erlebnissen im Flüchtlingslager. „Wir haben rund 300 von ihnen jeweils einzeln gegrüßt“, sagte der Papst. „Es gab so viele Kinder, manche von ihnen haben zugesehen, wie ihre Eltern und Freunde gestorben, wie sie ertrunken sind.“ Er habe „so viel Schmerz gesehen“.

Links: