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Der Versuch eines Spagats

Lange hat sich die deutsche Regierung mit ihrer Entscheidung Zeit gelassen. Am Freitag gab die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nun bekannt, einem Strafverfahren gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann zuzustimmen. Für Merkel ist das eine Entscheidung im Sinne eines starken Rechtsstaats. Auch viele Kommentatoren sehen das so - aber eben nicht alle.

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Wegen seines Schmähgedichts gegen den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan könnte auf Böhmermann nun ein Verfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zukommen, wie es in Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches festgeschrieben ist.

Angela Merkel

APA/AP/Markus Schreiber

Merkel hielt sich in ihrer Rede strikt an ihr - später veröffentlichtes - Skript

Gemäß dem in Deutschland auch als Schah-Paragraf bekannten Gesetzestext kann die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe geahndet werden, bei verleumderischer Absicht sogar mit bis zu fünf Jahren.

Alles auf den Rechtsstaat gesetzt

Das sind harte Strafen, weshalb die deutsche Justiz das Verfahren auch nur aufnehmen darf, wenn die Regierung dem zustimmt. Entsprechend heikel ist die Entscheidung, die Merkel und ihr Regierungsteam nun fällten. Und entsprechend bemüht war die deutsche Kanzlerin am Freitag, den Regierungsentscheid und die Überlegungen dahinter möglichst umfassend darzustellen.

Schah-Paragraf

Der Paragraf 103 ist in Deutschland auch als Schah-Paragraf bekannt. In den 1960er Jahren hatte sich der persische Schah Mohammed Reza Pahlevi wegen Karikaturen mehrmals auf den Paragrafen berufen.

„Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“, sagte Merkel. Gleich sechsmal kam das Wort „Rechtsstaat“ in der rund fünfminütigen Rede der Kanzlerin vor - immerhin dreimal sprach sie von der „unabhängigen Justiz“. Das alles hatte ein Ziel: zu zeigen, dass die nun erteilte Ermächtigung keine Vorverurteilung, sondern vielmehr ein Vertrauensbeweis an die Justiz sei.

Zwischen Nähe und Kritik

Damit allein konnte es Merkel aber nicht bewenden lassen. In irgendeiner Weise musste sie auch die Türkei ansprechen - und tat es auch. Merkel verwies drauf, wie eng und freundschaftlich Deutschland und die Türkei verbunden seien - nur um drei Sätze später die rechtsstaatlichen Defizite der Türkei zumindest anzuschneiden. „Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf allen Ebenen die Postulate von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei anmahnen“, so Merkel.

Es war der Versuch eines Spagats: den - gerade in der Flüchtlingsfrage und im internationalen Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) - wichtigen Partner Türkei nicht vor den Kopf zu stoßen. Und zugleich den Kritikern im eigenen Land möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Die türkische Regierungspartei AKP begrüßte jedenfalls den Beschluss der deutschen Regierung. „Diese Entscheidung ist zweifellos eine richtige“, sagte AKP-Sprecher Ömer Celik nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag in Ankara. „Eine Beleidigung unseres Präsidenten ist eine Respektlosigkeit gegenüber unserer Nation und unserem Staat.“

„Völlig richtig entschieden“

Merkels Argumentation fiel auch in Deutschland durchaus auf fruchtbaren Boden - zuvorderst bei den Vertretern der Justiz. Für ihn sei es "Zeichen eines starken und funktionierenden Rechtsstaates, effektiven Rechtsschutz zu gewähren“, sagte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg. Gerade bei der Abgrenzung von Kunst- und Pressefreiheit einerseits und dem Persönlichkeitsrechtsschutz des Einzelnen anderseits könne sich Deutschland auf die hohe Kompetenz seiner Gerichte verlassen.

Auch in zahlreichen Kommentaren in deutschsprachigen Medien fand die Entscheidung der Kanzlerin ein positives Echo. „Vor dem Rechtsstaat muss sich keiner fürchten“, titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“). Der „Münchner Merkur“ erklärte in einem Meinungsstück: „Darum hat Merkel vollkommen richtig entschieden.“ In Österreich hieß es in einem Kommentar des „Standards“, „die Politik muss nicht eingreifen, weil sie in Deutschland auf die unabhängige Justiz vertrauen kann“.

Schonungslose Kritik

Allerdings - das gestanden auch die wohlmeinenden Kommentatoren durch die Bank ein - der Vorwurf eines Kniefalls vor Ankara stand zumindest im Raum. Neben Lob für die Kanzlerin fand sich eben auch jede Menge Kritik. Merkel habe sich „zum Büttel eines zweitklassigen Diktators“ gemacht, urteilte ein weiterer Kommentar im „Münchner Merkur“. Und der Berliner „Tagesspiegel“ hielt fest, „eine andere Haltung wäre möglich“.

Jan Böhmermann

APA/AP/dpa/Henning Kaiser

Böhmermann beschäftigt - einmal mehr - die deutsche Innenpolitik

Ähnlich scharf fiel das Urteil der Opposition aus. Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, sprach auf Twitter von einem „unerträglicher Kotau“. „Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland.“ Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sah in der Entscheidung eine „Blamage“ und eine „Falle“, die „sich Merkel selbst gestellt“ habe.

Außenpolitischer vor koalitionärem Frieden?

Aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verlautete bereits am Dienstag: „Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann.“ Und tatsächlich traf Merkels Union die Entscheidung am Ende im Alleingang. Die Unionsminister überstimmten gemeinsam mit der Kanzlerin ihre SPD-Kollegen. In Merkels Erklärungsrede klang das dann so: „Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD.“

Wie umfassend diese tatsächlich waren, zeigten die Reaktionen des Koalitionspartners. Noch bedächtig fiel die Kritik der SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas aus. „Im Spannungsfeld zwischen öffentlich in Medien geäußerter Satire und dem Schutz der Ehre einzelner Personen ist in besonderem Maße die Zurückhaltung der Bundesregierung geboten“, so die beiden Minister. Weitaus schärfere Worte fand SPD-Vorsitzender Thomas Oppermann. „Strafverfolgung von Satire wegen ‚Majestätsbeleidigung‘ passt nicht in moderne Demokratie“, so Oppermann auf Twitter.

Ein Erfolg für Böhmermann

Dabei ist noch offen, ob es überhaupt zu einer Anklage gegen Böhmermann kommt. Es ist nun Aufgabe der Justiz zu prüfen, ob Böhmermanns Schmährede durch Kunst- und Pressefreiheit geschützt ist oder nicht. Momentan gehen die meisten Beobachter davon aus, dass das Gericht keine Anklage erheben wird. Und selbst wenn, bedeute das nicht, dass Böhmermann zwangsläufig verurteilt werde, sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, am Freitag. Die Entscheidung der deutschen Regierung lehnte er dennoch ab.

Wie auch immer die Sache für Böhmermann ausgeht, ein Erfolg - ob gewollt oder nicht - scheint ihm bereits sicher. Denn in einer Sache waren sich Union und SPD doch einig. Der Paragraf sei nach Auffassung der Regierung „für die Zukunft entbehrlich“, so Merkel. Noch in dieser Wahlperiode werde ein entsprechender Gesetzesentwurf verabschiedet, der 2018 in Kraft treten solle.

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