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Wie verträgt sich Humor und Politik?

Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann muss zwar einerseits eine Anklage auf Betreiben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fürchten, andererseits bekommt er zunehmend Schützenhilfe - aus der Politik, von Künstlern, anderen Comedians und aus Medien. Ihre Kritik an der türkischen Politik meinten einige auch im Stile Böhmermanns vortragen zu müssen.

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So stiftete etwa Kai Diekmann, Herausgeber der „Bild“-Zeitung, mit einem angeblichen Interview mit Böhmermann am Mittwoch Verwirrung. „Ich sag’ es mal in den Worten des falschen Böhmermann: ‚Das ganze Leben ist Satire. Man muss sie nur erkennen‘“, schrieb Diekmann auf Twitter.

Fake erst spät erkannt

Das angebliche Gespräch zwischen Böhmermann und Diekmann war auf Facebook mit den Worten übertitelt: „Jan Böhmermann bricht sein Schweigen! Das große Interview zum Erdogan-Eklat!“ Der ZDF-Moderator wird unter anderem auf die Frage nach dem Grund seiner Satire mit den Worten zitiert: „Wie gehen wir mit schrecklichen Regimen um, auf die wir angewiesen sind? Mit ‚Traumschiff‘ und ‚Forsthaus Falkenau‘ treten Sie solche Debatten nun mal nicht los. Das ZDF sollte mir dankbar sein. Das ist meine Botschaft. Making ZDF great again, wie Donald Trump sagen würde!“

Dass Diekmanns Tweet von deutschen Medien als gelungene Aktion bezeichnet wurde, liegt vielleicht daran, dass die meisten von ihnen Diekmann zunächst auf den Leim gingen und die Meldung ungeprüft veröffentlichten. Zudem teilten etliche Journalisten die Meldung über das Interview sofort auf Twitter und Co..

Axel Springer schnell hinter Böhmermann

Schon zuvor hatte Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, dem Mutterverlag von „Bild“, für Böhmermann Partei ergriffen. „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“, schrieb er in einem offenen Brief. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht“, so Döpfner - und erklärte: „Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja - wenn ich es richtig verstanden habe - der Sinn der Sache.“

Das wiederum forderte Max Uthoff und Claus von Wagner, die Moderatoren der ZDF-Kabarettsendung „Die Anstalt“, heraus. Sie fragten im „Spiegel“ (Onlineausgabe): „Wäre es nicht möglich, eine eventuelle Haftstrafe von Döpfner absitzen zu lassen?“ Die beiden sprechen bei dem Gedicht von einem „pädagogischen Versuch“ Böhmermanns, „Erdogan den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik zu erläutern“.

Humoristische Trittbrettfahrer

Humoristisch versuchte sich auch der grüne Tübinger Bürgermeister Boris Palmer. Er entschuldigte sich auf Facebook in ironischem Ton bei Erdogan für die „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Eine „angemessen harte Strafe“ sei „nur möglich“, „wenn sie in der Türkei erfolgt“, schrieb Palmer und forderte schließlich die Entmannung Böhmermanns. Seine Satire kam nur bedingt gut an.

Schon zuvor hatte Didi Hallervorden auf den Zug aufspringen wollen. Er veröffentlichte einen erdogankritischen Song. Darin heißt es etwa: „Ich sing’ einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt.“ Das Lied beginnt mit der Zeile „Erdogan, zeig’ mich bitte auch mal an“. Das heimische Satireportal Die Tagespresse schrieb wiederum von einem ihm „zugespielten Sex-Tape mit Erdogan und Ziege“, das man aber aus rechtlichen Gründen nicht zeigen werde.

„Vollkommen absurde Staatsaffäre“

Andere Satiriker und Comedians wiesen in den vergangen Tagen eher auf die politische Debatte hin. „Diese ganze vollkommen absurde Staatsaffäre um die kleine poetische Verbalentgleisung des dünnen blassen Jungen weitet sich gerade zu einer der bizarrsten, erschreckendsten und für unsere Meinungs- und Redefreiheit auch gefährlichsten Diskussionen seit langem aus“, schrieb Oliver Kalkofe auf Facebook.

Man müsse die Aktion von Böhmermann nicht mögen, man dürfe sie sogar komplett misslungen finden. Wichtig sei, dass man den Fall Böhmermann deshalb nicht zur Staatsaffäre machen dürfe. Denn bei einem Prozess stünde das Recht auf Satire und Meinungsfreiheit an sich vor Gericht.

Kritik an Merkel

Der Moderator der ZDF-Satiresendung „heute-show“, Oliver Welke, übte scharfe Kritik an der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Erst zur Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara zu einem Lied über Erdogan in der NDR-Sendung „extra3“ zu schweigen „und sich dann quasi als oberste deutsche Fernsehkritikerin zu Böhmermann äußern, das geht gar nicht“, sagte Welke. Das werfe „ein schlimmes Licht auf die Prioritäten von Frau Merkel und überspitzt gesagt auf ihr Verhältnis zu den Grundrechten“.

Merkel hatte am Dienstag Stellung genommen und den Spagat versucht, indem sie einerseits die Grundrechte verteidigte und andererseits die EU-Flüchtlingspolitik mit der Türkei als davon „völlig abgekoppelt“ bezeichnete. Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert musste am Mittwoch erneut ausrücken, um über das Warten auf die ausständige Antwort Berlins zum Antrag Erdogans auf strafrechtliche Verfolgung Böhmermanns zu vertrösten. Die Regierung drücke sich nicht davor, die Entscheidung werde fallen.

Künstler erklären sich solidarisch

Zahlreiche Schauspieler und Künstler solidarisierten sich indes in einem in der Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichten offenen Brief mit Böhmermann. In dem Schreiben fordern sie ein Ende der Ermittlungen gegen den Satiriker durch die Staatsanwaltschaft Mainz. „Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal“, heißt es darin.

Zu den Unterzeichnern zählen nach Angaben der „Zeit“ unter anderen die Schauspieler Matthias Brandt, Jan Josef Liefers, Peter Lohmeyer und Katja Riemann, der Pianist Igor Levit, die Schriftstellerin Thea Dorn und der Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf.

Tageszeitung „Österreich“ vor Presserat

Zumindest am Rande erreichte die Diskussion Ende der Woche auch Österreich. Die Union Europäischer Türkischer Demokraten (UETD) legte eine Beschwerde beim Presserat gegen die Tageszeitung „Österreich“ ein. Der Teilabdruck des Schmähgedichtes von Böhmermann sei eine „skandalöse Herabwürdigung“ des türkischen Präsidenten und verstoße gegen den Pressekodex, hieß es am Freitag auf der Facebook-Seite der UETD.

Im „Österreich“-Artikel vom 13. April, in dem das Gedicht unter dem Titel „Ist dieses wirre Gedicht Kunst oder Skandal?“ abgedruckt wurde, seien die Grenzen der „zulässigen Satire und Berichterstattung überschritten“ und die Meinungsfreiheit verletzt worden. Die UETD wurde vor rund zwölf Jahren in Deutschland gegründet und gilt als verlängerter Arm von Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP.

„Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner verteidigte das Vorgehen seiner Redaktion und betonte, dass die Zeitung das Gedicht „in kritisch distanzierter Form“ abgedruckt habe und „in jeder Form“ dem Ehrenkodex des österreichischen Presserates und der österreichischen Rechtsprechung entspreche.

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